Keine besten Freunde
Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen gelten als Antipoden innerhalb der deutschen Soziologie: Hier der jüdische Intellektuelle, der sich, an Hegel, Marx und Freud geschult, der (Dialektik der) Aufklärung verschrieben und stets die Emanzipation des Individuums im Blick hatte. Dort der skeptische Konservative, der dem Individuum nicht traute und die Institutionen für unabdingbar hielt, um dem Menschen als »Mängelwesen« den nötigen Halt zu geben. Hier der Emigrant, der vor den Nationalsozialisten flüchten musste, dort der »Gebliebene«, der schon im Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war und im »Dritten Reich« Karriere machte.
Der Kultursoziologe Thomas Wagner kommt in seinem Buch »Abenteuer der Moderne. Die großen Jahre der Soziologie 1949–1969« zu dem einigermaßen überraschenden Schluss, dass beide Denker einander trotz aller Unterschiede durchaus schätzten. Eine Konstellation, so legt es das Buch oft anhand von Anekdoten nahe, die in der Intellektuellengeschichte der frühen Bundesrepublik zwar eine Seltenheit, aber keine Ausnahme gewesen sei. Auch habe Adorno mit Gottfried Benn ausgerechnet einem frühen Apologeten des Nationalsozialismus etwas abgewinnen können. »Benn hat politisch Greuel angerichtet«, schreibt Adorno am 13. Februar 1964 an den Schriftsteller Peter Rühmkorf, »aber in einem höheren politischen Sinn hat er immer noch mehr mit uns zu tun, als sehr viele andere.«
Es verwundert kaum, dass das Verhältnis Adornos zu Gehlen in der Frühzeit der BRD keineswegs so ungetrübt war, wie es es sich in besagtem Radiogespräch 1965 darstellt.
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