Die Kokette
Als Barbra Streisand im Februar 2024 den Preis für ihr Lebenswerk von der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft entgegennahm, erinnerte sie in ihrer Dankesrede an die Gründer von Hollywood: Szmul Gelbfisz, Lazar Meir und die Wonskolaser-Brüder, die alle in die USA kamen, so Streisand, um den Vorurteilen zu entfliehen, unter denen sie in Osteuropa gelitten hatten. Aus ihnen wurden Samuel Goldwyn und Louis B. Mayer (Metro-Goldwyn-Mayer) und die Warner-Brüder (Warner Bros.).
Man darf annehmen, dass dies Streisands subtiler Kommentar zum neu aufflackernden Antisemitismus in den USA nach dem 7. Oktober war. Sie verband sie die Flucht der späteren Studiogründer vor den Problemen, mit denen sie unweigerlich konfrontiert waren, mit der märchenhaft anmutenden Kraft des Kinos: »Für ein paar Stunden können Menschen in einem Kinosaal sitzen und den eigenen Problemen entkommen. Was für eine Idee!«
Die selbst aus einer jüdischen Familie stammende Barbra Streisand hat viele Rekorde gebrochen: Als sie 1969 den Oscar gleich für ihre erste Filmrolle in »Funny Girl« erhielt, musste sie sich diesen mit Katharine Hepburn teilen – schuld war ein Stimmgleichstand in der Jury, der einzige in der Geschichte des Preises. 1970 war sie der erste Mensch, der auf der Leinwand »Fuck« sagte, und zwar in der Rolle der aufsässigen Prostituierten Doris in »The Owl and the Pussycat«. Und 1984 war sie die erste Frau, die mit einem Golden Globe in der Regiekategorie prämiert wur de, und zwar für »Yentl«.
Streisands Modernität, gepaart mit ihren Rollen und Filmen, die schon zur Zeit der Veröffentlichung Patina angesetzt zu haben schienen, das macht den Charme der Schauspielerin aus.
Kein Wunder, dass sie »vierzig Jahre lang« von Verlegern immer wieder gebeten wurde, ihre Autobiographie zu schreiben, doch stets ablehnte – bis vor kurzem. »Mein Name ist Barbra« erschien Ende vergangenen Jahres auch auf Deutsch, Streisand hat sie also doch geschrieben, obwohl sie zu beginn des Buches beteuert, »lieber in der Gegenwart« zu leben, »als in der Vergangenheit zu schwelgen«. So ganz passt diese Aussage aber nicht zu den ganzen rund 1.200 Seiten, die Streisand schlussendlich vorgelegt hat.
Streisand, 1942 in New York City geboren, lernte ihren Vater nie wirklich kennen. Er starb, als sie gerade ein Jahr alt war. Sie wuchs in Brooklyn auf, der Plan ihrer Mutter für ihre Tochter: Tippenlernen und als Sekretärin zu arbeiten so wie sie, um bezahlten Urlaub zu bekommen.
Doch Streisand hatte schon in jungen Jahren andere Pläne: »Deshalb ließ ich mir die Nägel so lang wachsen … damit ich nie tippen müsste.« Als 14jährige, etwas burschikose Außenseiterin besuchte sie eine Broadway-Produktion über das Leben von Anne Frank und dachte sich: »Anne ist 14; ich bin vierzehn. Sie ist Jüdin; ich bin Jüdin. Warum sollte ich die Rolle nicht spielen können?«
Von da an sah sie sich »praktisch jeden Samstag« ein Stück an, und es führte sie auch bald zum Film, wie sie erzählt: »Das Kino war meine Flucht. Ich wollte zum Film, nur um Marlon Brando zu küssen!«
Streisand zog es so stark zur Schauspielerei, dass sie mit 15 Jahren in einem Theater anheuerte und dort unentlohnt kleine Tätigkeiten verrichtete. Einer der dortigen Schauspieler war Allan Miller, der bei Lee Strasberg studiert hatte. Dessen berühmte Method-Acting-Schauspielschule hatte Streisand abgelehnt, nun lernte sie bei Miller: »Ich erinnere mich an eine ganz spezielle Übung, bei der Allan uns aufforderte, einen unbelebten Gegenstand auszuwählen und ihm Leben einzuhauchen. Ich entschied mich, ein Schokoladensplitter zu sein.« Schließlich begann sie, sich Gedanken über ihren Namen zu machen, denn tatsächlich heißt sie gebürtig Barbara. »Dann fiel mir ein, dass ich einfach das mittlere a in Barbara herausnehmen könnte. Dann wäre ich Barbra … das war anders und einzigartig.«
Und so begann die Karriere der mittlerweile 18jährigen Streisand, allerdings nicht auf der Theaterbühne oder der Leinwand, sondern im Nachtclub »Bon Soir« in Greenwich Village, wo sie engagiert war, um zu singen, und in kürzester Zeit solche Erfolge feierte, dass sie schon bald auch als Sängerin in Fernsehshows auftrat. Doch ihr war klar: »Ich bin eine Schauspielerin und ich mache das nur, weil mich niemand als Schauspielerin engagiert.« Dafür war sie als Sängerin umso gefragter: 1963 erschien ihr Debütalbum »The Barbra Streisand Album«, für das sie in fünf Grammy-Kategorien nominiert wurde und prompt zwei Preise bekam. Zu spielen bekam sie in der Zeit nur eine kleine Rolle als Sekretärin im Broadway-Musical »I Can Get It for You Wholesale«, an der Seite ihres späteren Ehemanns Elliott Gould. Ihren Durchbruch als Schauspielerin feierte sie 1964, ohne dabei ganz ohne das Singen auszukommen, im Broadway-Musical »Funny Girl«.
Figur des Übergangs
Streisand war eine Figur des Übergangs. Als die Filmadaption von »Funny Girl« 1968 in die Kinos kam, war das Genre des Musical-Films bereits passé. Während in den Filmen des aufkommenden New Hollywood »Bonnie & Clyde« Banken überfielen und die »Easy Rider« die Highways der USA unsicher machten, spielte Streisand in ihrem Debütfilm die historische Figur Fanny Brice, die aus ärmlichen Verhältnissen stammende jüdische Schauspielerin – »Das ist meine Geschichte«, erinnert sich Streisand im Buch.
»Funny Girl« ist mit seiner klassischen Story, seinen imposanten Studiobauten, seiner überbordenden Ausstattung und vor allem dank seiner Hauptdarstellerin, deren Aussage »Ich hatte die Rolle buchstäblich 1.000 Mal gespielt, bevor ich den Film drehte« erklärt, wieso sie darin so eine perfekte Figur machte, ein großartiger Film. Bei Erscheinen war die Tatsache, dass der ägyptische Co-Star Omar Sharif nicht nur selbst einen Juden spielte, sondern Streisand, eine Jüdin, küsste, ein solcher Skandal in seinem Herkunftsland, dass dort alle seine Filme verboten wurden. Und doch wirkt »Funny Girl«, gar nicht mal auf negative Weise irgendwie angestaubt, fast sogar anachronistisch.
Dieses Charakteristikum zieht sich durch Streisands Schaffen. Immer wieder wirkt sie wie aus der Zeit gefallen, auch ganz buchstäblich, denn die meisten ihrer bekannten Filme spielen in der Vergangenheit: Ihr zweiter»Hello, Dolly!« von 1969, wieder ein Musical und ein Kostümfilm, ist richtiggehend altmodisch. Dasselbe gilt auch für »The Way We Were« von 1973 und insbesondere für »Yentl« (1983), dessen Handlung gar um die Jahrhundertwende angesiedelt ist.
Trotz Streisands Behauptung zu Beginn, am liebsten in der Gegenwart zu leben, lockt es sie immer wieder in die Vergangenheit – ein Motiv, dass sich durch die Memoiren zieht, zum Beispiel dann, wenn sie erzählt, in »Funny Girl« in die Vierziger zurückgekehrt zu sein, »als Heroinnen klug und frech und stark waren«, sie vom Art-déco-Stil schwärmt oder preisgibt, ihre gesamte Garderobe in Second-Hand-Läden gekauft zu haben. Sie war von Beginn an eine emanzipierte Frau, eine der ersten, denen man volle künstlerische Kontrolle gewährte, hatte trotz ihres dem rigiden Schönheitsideal nicht entsprechenden Äußeren (im Buch scherzt sie: »Manchmal hatte ich das Gefühl, meine Nase bekam mehr Presse als ich selbst.«) enormen Erfolg, kurz: Sie war modern. Diese Modernität, gepaart mit ihren Rollen und Filmen, die schon zur Zeit der Veröffentlichung Patina angesetzt zu haben schienen, machen den Charme von Streisand aus.
Nicht ganz so charmant wirkt dagegen die kokette Art Streisands, der man im gesamten Buch begegnet: Angefangen damit, dass sie ständig beteuert, nicht kochen zu können (»Ich kann Wasser anbrennen lassen«) über das andauernde Ausbreiten ihrer Selbstzweifel (»Ist mein Talent nicht genug?«) bis hin zu ihrer ausgestellten Bescheidenheit (»Ich wurde zufällig mit einer guten Stimme geboren«, »Ich war ein Star am Broadway, aber ich habe mich selbst nie als Star betrachtet«).
»Elektrisierende Persönlichkeit«
Bizarr sind diese Aussagen, wenn man bedenkt, wie oft Streisand in ihrem Buch dafür andere zitiert, die voll des überschwänglichen Lobes für sie sind. Der Choreograph Jerome Robbins schwärmt von Streisands »in Erstaunen versetzender Schönheit«, die Schauspielerin Lauren Bacall attestiert ihr eine »elektrisierende Persönlichkeit« und selbst die notorisch strenge Filmkritikerin Pauline Kael hatte freundliche Worte für Streisand übrig, die diese wie die anderen für ihr Buch geradezu kompiliert hat. Wirkt ein wenig arrogant? Streisand kennt diesen Vorwurf und antwortet darauf lapidar, sie sei nur »ehrlich«.
Besonders faszinierend sind die drei Kapitel in »Mein Name ist Barbra«, die sich mit dem Film »Yentl« beschäftigen. Streisand trug die Idee dafür ganze 15 Jahre mit sich herum, nachdem sie eine Kurzgeschichte über ein jüdisches Mädchen in Osteuropa gelesen hatte, dass den Talmud studieren will, das allerdings aufgrund ihres Geschlechts nicht darf und darum als Mann verkleidet eine Jeschiwa besucht. Streisand wollte selbst die Hauptfigur spielen, wurde aber immer älter.
Schließlich, als sie 40 Jahre alt war, rannte ihr die Zeit davon und sie entschloss sich, das Projekt zu realisieren. Doch kein großes Studio interessierte sich für den Stoff (den Streisand ein »realistisches Märchen« nennt), mehr als das jüdische Thema machte ihnen zu schaffen, dass Streisand eine Hosenrolle spielen und das Thema des Films Geschlechtergerechtigkeit sein würde.
»Wenn man die verschiedenen Meinungen zweier Rabbis diskutiert, sagt der Talmud oft, dass beide recht haben. Der Talmud löst die Widersprüche nicht auf. Er stellt sie einfach fest.« Barbra Streisand, nachdem sie für den Film »Yentl« verschiedene Rabbis konsultiert hatte
Und auch die Suche nach einem Regisseur war nicht leicht, bis Miloš Forman, der ein Kandidat war, Streisand schließlich fragte: »Warum führst du nicht selbst Regie?« Doch dabei blieb es nicht: Streisand spielte am Ende nicht nur die Titelrolle, sondern führte Regie, schrieb das Drehbuch und produzierte. »Großartig. Drei Leute weniger, mit denen ich diskutieren muss«, erinnerte sie sich im Buch, was sie darüber dachte.
Um sich auf den Film vorzubereiten, konsultierte Streisand verschiedene Rabbis. So führt sie die Leserin in die faszinierende Talmudgelehrtheit ein: »Wenn man die verschiedenen Meinungen zweier Rabbis diskutiert, sagt der Talmud oft, dass beide recht haben. Der Talmud löst die Widersprüche nicht auf. Er stellt sie einfach fest.«
Auch auf die Frage danach, ob Eva denn nun laut sexistischer Übersetzung der Bibel aus der Rippe Adams geschaffen wurde, gibt es hier eine Antwort, denn wie Streisand während ihrer Beschäftigung herausfindet, ist das, was später als »Rippe« übersetzt wurde, lediglich das Wort für »Seite«: »Aber wenn Eva tatsächlich aus Adams Seite gemacht wurde, ist das ein ganz neues Konzept. Das erhebt sie sofort zu seiner ebenbürtigen Partnerin. Sie ist seine andere Hälfte.« Vielmehr ist es sogar so, dass Adam laut Auslegung ohne Eva gar kein Geschlecht besaß – oder eben zwei, bis die eine Seite zu Eva wurde. Streisand nennt das die »göttliche Androgynität der Seele«, die »entscheidend für das Drehbuch wurde, das ich schrieb«.
»Oscar, can you hear me«
»Yentl« ist ein genialer Film, die finale Szene eine der besten in der Geschichte des Kinos (deren schwierige Aufnahme im Buch detailliert geschildert wird). Streisand war die erste Frau, die so viele Positionen auf einmal bei einem Film besetzte. Bei den Oscars war sie dennoch nicht nominiert – weder für den besten Film noch für die beste Regie, beste Schauspielerin oder für das beste Drehbuch. Feministinnen mobilisierten gegen die Verleihung, auf einem ihrer Schilder stand, in Anlehnung an den Song »Papa, Can You Hear Me?« aus dem Film: »Oscar, can you hear me.«
Dem Buch merkt man stark an, wie es wohl entstanden ist: Die verschlungenen, ausschweifenden Ausführungen mit den vielen Details, sie sind wohl von Streisand mit ihrer unnachahmlichen Stimme auf Tonband eingesprochen worden. Oft ist es aber auch zu viel des Guten: Wer seine Doktorarbeit über das Showbusiness der sechziger und siebziger Jahre schreibt, wird hier fündig – wer nicht jeden Namen eines jeden Produzenten, Agenten oder Friseurs wissen muss, kann sich schon mal von dem über tausend Seiten langen Werk erschlagen fühlen. Vielleicht ist dieses Buch ein wenig wie das, was Streisand in der Schauspielschule improvisierte: ein Schokoladensplitter – mit ein wenig zu viel Zucker.
Barbra Streisand: Mein Name ist Barbra. Aus dem amerikanischen Englisch von Raimund Varga. Luftschacht-Verlag, Wien 2024, 1.200 Seiten, 46 Euro