03.07.2025
Kambodschas Grenzstreit mit Thailand eskaliert

Der hohe Preis der Mangostan

Kambodscha und Thailand streiten sich um den Grenzverlauf. Der Handel zwischen den Ländern wurde unterbrochen, genauso wie der Personenverkehr.

Phnom Penh. Kambodschas Grenzstreit mit Thailand hat sich weiter verschärft: Am Montag hat die kambodschanische Regierung sämtliche Importe aus dem Nachbarland ausgesetzt. Umstritten ist, welches der beiden Länder die Hoheit über bestimmte Gebiete entlang der über 800 Kilometer langen Grenze besitzt. Die Grenzziehung stammt noch aus der französischen Kolonialzeit, trotz des Vorliegens zweier Karten aus den Jahren 1904 und 1907 konnte keine Einigung über den genauen Grenzverlauf erzielt werden und der Streit flammte immer wieder auf.

Im Februar hatte eine Gruppe Kambodschaner den historischen Khmer-Hindu-Tempel Ta Moan besucht, der von beiden Seiten beansprucht wird, und zum Missfallen der thailändischen Grenztruppen patriotische Lieder gesungen. Im Gefolge wuchsen die Spannungen, am 28. Mai kam es zu einem zehnminütigen Feuergefecht zwischen Truppen beider Länder, bei dem ein kambodschanischer Soldat starb. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, das Feuergefecht angefangen zu haben, wobei der Anlass weiterhin im Dunkeln liegt. Offiziell wirft die thailändische Armee den Kambodschanern vor, einen neuen Graben in dem umstrittenen Gebiet ausgehoben zu haben, was diese bestreiten und sich darauf berufen, diese Position schon seit 2009 besetzt zu haben. Kurz nach dem Zwischenfall gab es eine inoffizielle Einigung, dass beide Länder ihre Soldaten aus dem umstrittenen Gebiet zurückziehen.

In Kambodscha hat sich nationaler Eifer entwickelt. Etwa 150.000 Menschen kamen zu einem »Solidaritätsmarsch« zusammen, um ihre Unterstützung für die Soldaten an der Grenze zu bekunden.

Die militärische Lage beruhigte sich umgehend, aber eine Lösung ist nicht in Sicht. Kambodscha will den Internationalen Gerichtshof über den Grenzverlauf entscheiden lassen, Thailand lehnt das ab. So bekriegt man sich nun mit Worten und unternimmt diplomatische Schritte gegen den jeweils anderen. Anfang Juni ließ sich Hun Sen, der ehemalige langjährige kambodschanische Ministerpräsident und derzeitige Senatsvorsitzende, zu der unsinnigen Aussage hinreißen: »Wenn wir das Gericht nicht entscheiden lassen, wird diese Angelegenheit wie der Gaza-Streifen zwischen Palästina und Israel sein – nie gelöst, mit ständigen Kämpfen.« Er setzte damit den Ton für die kommenden Wochen.

»Es ist wahrscheinlich, dass die thailändische Innenpolitik zu dieser Situation geführt hat«, erläutert der Politikwissenschaftler Rahman Yaacob vom australischen Think Tank Lowy Instit­ute. Die in Thailand mächtige Armee habe Probleme mit der Regierung der Ministerpräsidentin Paetongtarn Shinawatra. Deren Vater, der ehemalige Ministerpräsident Thaksin Shinawatra, wurde vor 20 Jahren durch einen Militärputsch gestürzt. Am Dienstag hat das Verfassungsgericht Paetongtarn vorläufig ihres Amts enthoben. »Die Spannungen zwischen der Regierung und dem Militär könnten dieses dazu veranlasst haben, Maßnahmen an der thailändisch-kambodschanischen Grenze zu ergreifen, die zu den anhaltenden Unstimmigkeiten und der willkürlichen Aufstockung der Armee führten, die wir derzeit erleben«, so Yaacob.

In den folgenden Wochen wurden thailändische Filme aus dem kambodschanischen Fernsehen verbannt und Thailänder durften nicht mehr an Boxkämpfen in Kambodscha teilnehmen. Als Thailand drohte, inländische Anbieter anzuweisen, Breitband- und Mobilfunkverbindungen nach Kambodscha einzustellen und Stromlieferungen auszusetzen, kam die Regierung in Phnom Penh dem zuvor und trennte die Internetverbindung ihrerseits. Auch die Stromimporte aus dem Nachbarland wurden eingestellt. Im weiteren Verlauf wurden zuerst die Öffnungszeiten der Grenzübergänge von den thailändischen Militärs eingeschränkt, worauf Kambodscha mit einem Importverbot von Gemüse und Früchten reagierte und die über eine Million kambodschanischen Arbeitsmigranten aufrief, aus dem Nachbarland zurückzukommen.

Grenzen komplett geschlossen

An den Grenzübergängen wurden schnell mobile Arbeitsvermittlungen eingerichtet und auf der Seite des Arbeitsministeriums täglich die Stellenangebote aktualisiert. Allerdings sagt ein Mitarbeiter einer Arbeitsvermittlung am Grenzübergang Kamrieng in der westlichen Provinz Battambang, der anonym bleiben will, der Jungle World: »Wir warten hier auf Rückkehrer, aber es kommen keine.«

Mittlerweile wurden auf Anweisung der thailändischen Regierung die Grenzen komplett geschlossen, woraufhin Kambodscha den Import von Öl und Benzin einstellte – was Kambodscha vor größere wirtschaftliche Herausforderungen stellt, auch wenn die Regierung unter Ministerpräsident Hun Manet die Probleme herunterspielt. So schrieb er in einem Facebook-Post, der Schritt sei Teil eines umfassenderen Wandels in der Handelspolitik.

Vor allem auf den Märkten macht sich das Fehlen von Obst und Gemüse aus Thailand bemerkbar. Hout Lon, eine Händlerin auf dem Großmarkt in Battambang, erzählt, dass Gemüse nun aus Vietnam käme und deutlich teurer sei. Sie hofft auf ein baldiges Ende des Konflikts: »Ich möchte, dass thailändisches Gemüse wieder zugelassen wird, damit wir es zu einem niedrigeren Preis verkaufen können.« Dem stimmt die Händlerin Chan Kaju zu: »Die meisten Früchte sind teurer geworden, wie zum Beispiel die violette Mangostan, die normal für bis zu 700 Riel (0,14 Euro) pro Stück verkauft wird. Aber jetzt ist der Preis auf bis zu 1.300 Riel (0,26 Euro) gestiegen.«

Mehrere Millionen Dollar Verlust täglich

Raphael Göpel von der Kölner Stiftung Asienhaus schätzt den wirtschaftlichen Verlust durch die Handelseinschränkungen auf mehrere Millionen Dollar täglich: »Wie so oft trifft das dann am ärgsten die Ärmsten in der Bevölkerung, hier Kleinbäuer:innen und den informellen Handel über die Grenzen.« Für diese seien wegfallendes Einkommen oder höhere Preise im Alltag »direkt schmerzlich spürbar«.

Yaacob befürchtet, dass sich die Lage noch verschlimmert, sollten die Kämpfe wieder aufflammen: »Beide Seiten werden wirtschaftlich dar­unter leiden. Die Beschränkungen der Grenzübergänge beeinträchtigen den Personen- und Warenverkehr zwischen den beiden Staaten.« Auch die Tourismusindustrie ist stark betroffen. Zum einem kamen dem kambodschanischen Tourismusministerium zufolge im vergangenen Jahr über zwei Millionen thailändische Touristen, zum anderen reisten 56 Prozent der internationalen Touristen über Land ein.

»Das Regime bedient starke nationalistische Emotionen, die fast alle Kambodschaner besitzen.« Markus Karbaum, Politologe und Südostasien-Experte

In Kambodscha hat sich nationaler Eifer ungeahnten Ausmaßes entwickelt. So kamen am 18. Juni etwa 150.000 Menschen zu einem »Solidaritätsmarsch« zusammen, um ihre Unterstützung für die Soldaten an der Grenze zu bekunden. Die Regierungspartei Cambodian People’s Party profiliere sich gerade als Hüter der nationalen Interessen, sagt Markus Karbaum, Politologe und Südostasien-Experte. »Das Regime bedient starke nationalistische Emotionen, die fast alle Kambodschaner besitzen. Sie hegen Erwartungen, die oft noch radikaler sind als die Rhetorik der Spitzenpolitiker«, so Karbaum. Diese könnten jedoch schnell enttäuscht werden, »da der Konflikt wohl kaum mit einem großen ›Sieg‹ – wie auch immer der aussehen möge – für Kambodscha enden dürfte.«

An eine schnelle Lösung im Grenzstreit glaubt Karbaum nicht: »Dennoch tippe ich darauf, dass sich dieser Konflikt bis Ende des Jahres wieder beruhigt haben wird, ohne dass die Ursachen dafür beseitigt wurden.«