75 Jahre Hass
Paris. Rivarol wankt. Die 1951 gegründete pétainistische und antisemitische Wochenzeitung bittet um Spenden, denn es ist fraglich, ob sie nächstes Jahr noch ihren 75. Geburtstag feiern kann. Das Blatt steht kurz vor dem Bankrott. Ende Mai sah ihr Herausgeber und stellvertretende Chefredakteur Jérôme Bourbon düster in die Zukunft. »Helfen Sie uns!« flehte er pathetisch in einem Video. Mit seinem blassen, rundlichen Gesicht, der strengen Brille, stets schlecht sitzendem Anzug und graumelierten Schläfen gibt sich der mehrfach vorbestrafte Journalist – fast 20 Verurteilungen wegen Anstiftung zum Rassenhass oder Leugnung von Verbrechen gegen die Menschheit – um Worte ringend, die hart genug sind, um die »Verfolgung« zu beschreiben, der er sich ausgesetzt sieht.
Seit Jahren hat Rivarol eine magere Auflage von weniger als 5.000 Exemplaren. Als wollte er diesen seinen Misserfolge rechtfertigen, prangert Bourbon in einer kaum verschlüsselten Botschaft »eine Printpresse an, die sich im Besitz von Milliardären befindet, die oft aus der Levante stammen«. Er selbst habe »keine Kette um den Hals«, wie er sagt, und rühmt sich, frei über »den Völkermord in Gaza, Geschichtsrevisionismus, die Judenfrage, Freimaurerei, das Judentum« sprechen zu können. Eine Aufzählung, die aus einem Handbuch klassischer rechtsextremer Propaganda stammen könnte. Shoah-Leugnung und Verteufelung von Zionismus, Talmud und Freimaurern – Bourbon hakt seine Obsessionen ab wie andere ihre Einkaufsliste. All dies sind für ihn »brisante oder verbotene Themen«, mit denen er einen Kreuzzug gegen die »politische Korrektheit« und »freiheitsfeindliche und gedächtnisvernichtende Gesetze« führt, insbesondere gegen das 1990 verabschiedete Gayssot-Gesetz, das in Frankreich die Leugnung von Verbrechen gegen die Menschheit, insbesondere die Leugnung des Holocaust, unter Strafe stellt.
Der Herausgeber Jérôme Bourbon rühmt sich, frei über »den Völkermord in Gaza, Geschichtsrevisionismus, die Judenfrage, Freimaurerei, das Judentum« sprechen zu können.
Diese radikalisierte Linie vertritt Bourbon bei Rivarol seit 2010, als er die Leitung der Zeitung übernahm. Er entließ die alte Führung und verwandelte das Blatt in eine persönliche Plattform. Er brach mit dem Front national unter Marine Le Pen, den er als »fehlgeleitet« und sogar »degeneriert« bezeichnete, und schloss sich einer katholisch-fundamentalistischen, antisemitischen und ultrareaktionären Linie an, ähnlich der von Bruno Gollnisch, einem ehemaligen Schützling von Marines Vater Jean-Marie Le Pen. Gollnisch ist für seine negationistischen Verbindungen bekannt und ging bei der Wahl zum Parteivorsitzenden auf dem Parteitag in Tours 2011 gegen Marine Le Pen mit 32,35 Prozent der Delegiertenstimmen gegenüber ihren 67,65 Prozent unter.
Bourbon verfasst allein fast ein Drittel der Zeitung, die er mit langen, obsessiven Leitartikeln füllt. Zu den wenigen Mitarbeitern von Rivarol gehört die Zeichnerin Chard (Françoise Pichard), die mit 83 Jahren weiterhin die Seiten des Blatts illustriert. Sie hatte sich 2006 mit dem zweiten Preis beim Holocaust-Karikaturenwettbewerb in Teheran einen Namen gemacht und dem deutschen Neonazi und Holocaustleugner Ernst Zündel ein Buch gewidmet.
Bourbons Blattlinie hat allerdings ihren Preis – das Ende staatlicher Subventionen für Printmedien. Im Jahr 2022 drehte der Staat der Zeitung endlich den Geldhahn zu: Streichung der Pressezuschüsse, Ende der Post- und Steuervergünstigungen. Das Blatt verschwand aus Kiosken, Bahnhöfen und Supermärkten … und fährt so einen Verlust von etwa 100.000 Euro pro Jahr ein.
Doch es hatte einiger Historiker bedurft, die im März 2022 an die Öffentlichkeit traten, damit der Staat endlich aufwachte. In einem in Le Monde veröffentlichten offenen Brief, unterzeichnet von Beate und Serge Klarsfeld und etwa 30 Wissenschaftlern, wurden die »indirekten staatlichen Beihilfen« für Rivarol angeprangert. »Indem Rivarol historische Fakten leugnet, bereitet er den Boden für Völkermörder, beleidigt die Überlebenden, die Familien der Opfer und ihr Andenken«, schrieben sie.
Verteidigungsrede für Adolf Eichmann
Dass überhaupt Zuschüsse an Rivarol ausgeschüttet wurden, war umso unverständlicher, als die Charta der Commission paritaire des publications et des agences de presse (CPPAP), die diese Beihilfen verwaltet, unter anderem »Veröffentlichungen, die den Holocaust leugnen, zu Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit aufrufen«, ausschließt. Rivarol, das in jeder Ausgabe Juden, Freimaurer und andere Figuren des paranoiden Pantheons Bourbons attackiert, hatte sich wenige Monate zuvor sogar eine Verteidigungsrede für Adolf Eichmann geleistet.
In dem Video, das nun Ende Mai veröffentlicht wurde und in dem Bourbon 150.000 Euro von seinen Anhängern fordert, spricht er von »vier laufenden Gerichtsverfahren«. Eines davon ging jüngst zu Ende: Am 12. Juni verbot ein Pariser Gericht Rivarol die Verwendung eines Bilds, das »Martine« zeigt, die titelgebende Heldin aus den seit den fünfziger Jahren beliebten Kinderbüchern des Verlags Casterman. Ohne Zustimmung des Verlags zeigte die Zeichnung das Mädchen bei der Lektüre von Rivarol. Das Gericht wertete das als Urheberrechtsverletzung.
Nun, zur Zeit der Gay-Pride-Paraden, bringt Rivarol erneut seine Wahnvorstellungen gegen »Homosexualismus« und »LGBT-ismus« zum Ausdruck. Als Leitmotiv dient dabei ein abgewandelter Ausspruch von Jean-Marie Le Pen, mit dem er einst Vorwürfe des Rassismus abwehrte: »Was soll ich denn tun? Einen Schwarzen heiraten, der homosexuell ist und Aids hat?« Auch bei Rivarol verschmelzen wie beim Gründer des Front national Abneigungen gegen Homosexuelle, Einwanderer und Juden in einem vielgestaltigen, hartnäckigen Ressentiment.
Für Bourbon ist Gaza schlimmer als Auschwitz
Kann es da verwundern, dass bei Bourbon antisemitischer Hass und Revisionismus in seine Ansichten über die Verhältnisse im Gaza-Streifen einfließen? Vorigen Monat, als er auf eine Äußerung von Thierry Ardisson – einem Fernsehmoderator, der die palästinensische Enklave mit einem Nazi-Konzentrationslager verglichen hatte – einging, fehlten ihm fast die Worte … nicht vor Empörung, sondern vor Unzufriedenheit. »Der Vergleich hinkt sehr«, korrigierte er. Dann legte er seine ganz persönliche Sichtweise dar: »In Auschwitz gab es, abgesehen von den letzten Monaten des Kriegs, etwas zu essen. Ich sage nicht, dass es wie im Club Méditerranée war, aber es gab keine organisierte Hungersnot wie dort« – im Gaza-Streifen.
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers in Israel, zeigt Bourbon in seinen Kolumnen eine seltsame Vorliebe für Jean-Luc Mélenchon, den Gründer der linkspopulistischen Partei La France insoumise. Im Oktober 2023 lobte Rivarol »einen gewissen Mut, ja sogar einen entschiedenen Mut« Mélenchons, den dieser bei der Verurteilung der »zionistischen Entität« zeige. Die Überschrift lautete: »Mélenchon wird verteufelt wie gestern Le Pen«. Der Artikel prangerte die »Menschenjagd« an, der der de facto-Kopf von LFI zum Opfer falle, und stellte ihn als Verteidiger der Menschenwürde dar, der sich darin von einer französischen Politikerklasse unterscheide, die »einer ausländischen Macht unterworfen« sei.
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers in Israel, zeigt Bourbon in seinen Kolumnen eine seltsame Vorliebe für Jean-Luc Mélenchon, den Gründer der linkspopulistischen Partei La France insoumise.
Umso schmeichelhafter ist dies für den líder máximo von La France insoumise, als Jean-Marie Le Pen als geistiger Vater von Bourbon gelten kann. Im Alter von 14 Jahren trat der derzeitige Herausgeber von Rivarol dem Front national bei, beeindruckt von »den unkonventionellen Ideen« von Jean-Marie Le Pen.
Rivarol steht vor dem Abschied wie sein verstaubter Antisemitismus à la Pétain. Nach der Schließung der zwei rechtsextremen Publikationen Minute (1962–2020) und Présent (1975–2022) ist die 1951 gegründete Wochenzeitung der letzte Repräsentant einer rechtsextremen Presse, die den Antigaullismus pflegte und das mit den Nazis kollaborierende Regime des Marschalls Pétain rehabilitieren wollte.