03.07.2025
Der SPD-Parteitag offenbarte politische Orientierungslosigkeit

Zwischen Selbstaufgabe und Neuaufstellung

Was soll aus der SPD werden nach der Wahlniederlage? Diese Frage prägte den Bundesparteitag am Wochenende. In der Sinnsuche wurde die Orientierungslosigkeit der Partei indes nur umso deutlicher.

»Willkommen, soweit es die Bahn zuließ«, begrüßte der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil am Wochenende seine Genossen in Berlin und eröffnete damit den Bundesparteitag der SPD. Altkanzler Olaf Scholz und auch den ehemaligen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, begrüßten die Anwesenden mit stehenden Ovationen, den Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil hingegen minder euphorisch: eine Abstrafung für den Mann, der einst als strategisches Wunderkind gefeiert wurde.

Sechs Stunden und fast 80 Diskussionsbeiträge später schlug sich dieser karge Applaus in Zahlen nieder: Mit 64,9 Prozent wurde Klingbeil zwar als Parteivorsitzender bestätigt, aber es war ein sehr schwacher Ausgang; die Enttäuschung war ihm anzusehen. Seine neue Co-Vorsitzende, Arbeitsministerin Bärbel Bas, hingegen erhielt 95 Prozent.

Arbeitsministerin Bärbel Bas feierte die Mindestlohnkommission, obwohl deren Empfehlung unter dem SPD-Wahlkampfziel liegt.

Ein »katastrophales Ergebnis« hatte Klingbeil auf dem Parteitag die präzedenzlos klare Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl genannt. Am 23. Fe­bruar habe es für ihn nur zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder er höre auf oder er gehe »voll in die Verantwortung«. Während Klingbeil in kultivierter Zerknirschtheit sprach, beschworen Delegierte die Größe der SPD, als ließe sich der Absturz durch Gebete ungeschehen machen. Hinter den Kulissen schnurrte der Apparat weiter: Flügel-Deals, Klüngel, Postenvergabe – Inhalte hätten nur die innere Machtbalance gestört.

Das zeigte sich beim Konflikt um das sogenannte Russland-Ukraine-Manifest, in dem zwei Wochen vor dem Parteitag prominente Sozialdemokraten wie Mützenich Gespräche mit Russland gefordert hatten. Klingbeil dozierte, Friedenspolitik 2025 sei etwas anderes als in den Achtzigern, Wladimir Putin sei nicht Michail Gorbatschow. Verteidigungsminister Boris Pistorius nannte Forderungen nach Verhandlungen mit Putin Realitätsverweigerung. Ralf Stegner, der das Manifest mit verfasst hatte, mahnte, »wahnsinnige Aufrüstung« sei nicht der Weisheit letzter Schluss. Danach Pistorius: Frieden ja, aber nicht um jeden Preis. Debatte beendet.

Ähnlich schnell ging es bei anderen Themen, für die die Sozialdemokratie einst angetreten war. Bas lobte Kassiererinnen, wetterte gegen den »Klassenkampf von oben« und versprach, Sozialkahlschlag werde es mit ihr nicht geben. Gleichzeitig feierte sie die Mindestlohnkommission, obwohl deren Empfehlung von 14,60 Euro pro Stunde unter dem von der SPD ausgegebenen Wahlkampfziel von 15 Euro liegt. Hauptsache kämpferische Rhetorik, ohne aber Streit zu suchen – Bas-Stil.

Betroffen und gleichzeitig ratlos

Der eigentliche Konflikt bleibt: Wofür steht die SPD noch, wenn sie als Regierungspartei soziale Kürzungen hinnimmt oder gar verordnet? Scholz umging diese Frage in seiner Abschiedsrede und versprach stattdessen, ein Altkanzler zu sein, über den sich die Partei immer freue – ein Seitenhieb auf Gerhard Schröder, für den es Applaus gab. Auch bildete er sich ein, nur die SPD sorge dafür, dass »eine Kassiererin mit 67 sagen kann: Das ist gut gelungen.« Eine Kassiererin mit 1.200 Euro netto nach 40 Arbeitsjahren würde ihn dafür wohl eher ohrfeigen.

Die Debatte über Israel und die Hamas präsentierte die SPD in ihrem üblichen Zustand: betroffen und gleichzeitig ratlos. Der Parteitag beschloss, die Taten der Hamas zu verurteilen und Israel aufzufordern, das Völkerrecht zu wahren. »Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, aber auch die Pflicht, das Völkerrecht zu achten«, hieß es. Israel müsse »Annexionen, Vertreibungen und völkerrechtswidrigen Siedlungsbau« beenden.

Gleichzeitig dürfe »die Hamas nie wieder eine Bedrohung für Israel darstellen und die palästinensische Zivilbevölkerung unterjochen«. Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur warf der SPD vor, zu lange gezögert zu haben. »Während in Gaza Menschen sterben, haben wir vielleicht zu lange um Worte gerungen«, sagte sie. Sie meinte wohl: zu lange gezögert, um Wähler zufriedenzustellen, die Israel gerne angeprangert sehen.

Die SPD will alles sein – Regierungspartei, Friedenspartei, Modernisierungspartei, linke Volkspartei. 

Was hat der Parteitag sonst beschlossen? Nichts, was das Elend der Partei lindern könnte. Der Wehrdienst solle attraktiver werden. Falls es nicht genug Freiwillige gibt, will man allerdings eine gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger einführen. Aber »am Ende entscheidet die Regierung«, so ein Verteidigungspolitiker lakonisch. Pistorius hatte allerdings Forderungen aus der Union eine Absage erteilt, die Wehrpflicht möglichst schnell wiedereinzuführen. Man verwarf einen Antrag gegen das sogenannte Fünfprozent­ziel der Nato, bekannte sich lauwarm zur Unterstützung der Ukraine und setzte eine Arbeitsgruppe für ein AfD-Verbotsverfahren ein. Immerhin war man sich hier einig.

Vielleicht ist das bitterste Fazit zugleich das banalste: Die SPD will alles sein – Regierungspartei, Friedenspartei, Modernisierungspartei, linke Volkspartei. Doch sie ist bis auf Ersteres nichts davon wirklich. Statt Aufbruch bleibt Selbstaufgabe in sanften Formulierungen. Ob die Partei noch eine eigenständige politische Kraft ist oder längst nur sozialdemokratisches Feigenblatt einer konservativen Regierung unter Friedrich Merz, wird sich zeigen. Der Parteitag jedenfalls gab darüber keine Auskunft.