03.07.2025
Nach dem islamistischen Anschlag auf die Sankt-Elias-Kirche in Damaskus

Jihad made in Syria

An einem Anschlag auf die Damaszener Sankt-Elias-Kirche im Juni waren nach Medienberichten frühere islamistische Weggefährten des Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa beteiligt, die ihm Verrat vorwerfen. Mittlerweile finden direkte Verhandlungen zwischen Israel und Syrien statt.

Syrien kommt nicht zur Ruhe: Am vorvergangenen Sonntag wurde die griechisch-orthodoxe Kirche Sankt Elias in Damaskus von einem Terroranschlag erschüttert. Mindestens ein Jihadist eröffnete das Feuer auf anwesende Christen und detonierte einen Sprengstoffgürtel, 25 Menschen fanden den Tod, mehr als 60 wurden verletzt. Die öffentliche Anteilnahme für die Opfer des Anschlags ist groß.

Der Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, der zahlenmäßig größten christlichen Kirche in Syrien, Johannes X., warf der Übergangsregierung in einer Rede bei der Beerdigung der Opfer vor, die Minderheit nicht ausreichend zu schützen. Die Regierung hatte ihr Beileid bekundet und den Anschlag verurteilt, dies sei aber »nicht ausreichend«.

Der nationale Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Tzachi Hanegbi, bestätigte, dass Syrien Kandidat für eine Normalisierung sein könnte.

Die Beziehungen zwischen der neuen Regierung und den Oberhäuptern der christlichen Kirchen gelten als angespannt; dies hat auch mit deren Unterstützung des im Dezember 2024 zusammengebrochenen Regimes unter Präsident Bashar al-Assad zu tun, das sich als Schutzmacht der Minderheiten gegen den islamistischen Terrorismus inszenierte. Der Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa wiederum führte früher die Nusra-Front, den syrischen Ableger von al-Qaida, an, bis er sich ab 2016 schrittweise vom Jihadismus lossagte, als Milizenchef zur bestimmenden Figur aufstieg und nun als Präsident eine eher pragmatische Politik verfolgt.

Wegen seiner extremistischen Vergangenheit bleibt jedoch gerade bei den religiösen Minderheiten ein gewisses Misstrauen, das den Demokratisierungsprozess im Land erschwert. Der Anschlag befeuert dieses Misstrauen ebenso wie Übergriffe islamistischer Milizen auf die drusische und alawitische Minderheit.

Die Übergangsregierung beschuldigte zunächst den »Islamischen Staat« (IS), hinter dem Anschlag zu stecken, ließ bereits einen Tag später Razzien gegen IS-Sympathisanten vornehmen und beschlagnahmte Sprengstoff und Waffen. Am Folgetag übernahm anstelle des IS jedoch eine andere syrische jihadistische Gruppe, Saraya Ansar al-Sunna (SAS), die Verantwortung für den Anschlag. SAS hatte sich Anfang Februar gegründet und verfolgt das Ziel, die Nichtsunniten gewaltsam aus Syrien zu vertreiben. Dafür hat sie bereits zuvor Angehörige religiöser Minderheiten getötet. Sie sympathisiert nachweislich mit dem IS, ob sie mit diesem direkt kooperiert, ist jedoch unklar.

Verrat an islamistischen Idealen

Pikant dabei: SAS besteht nach Angaben des Online-Mediums The New Arab und des Analysten Aymenn Jawad al-Tamimi unter anderem aus ehemaligen syrischen Kämpfern von HTS, der Gruppierung, die al-Sharaa einst leitete. Seit al-Sharaa HTS aufgelöst hat und als Übergangspräsident fungiert, sieht er sich mit Attacken jihadistischer Dissidenten aus den einst eigenen Reihen konfrontiert, die seine Politik als Verrat an islamistischen Idealen darstellen.

SAS erwähnt häufig namentlich Mitglieder der Regierung und beschimpft sie als »Abtrünnige«. Auch die Verlautbarung von SAS zu dem Anschlag nahm Bezug auf die Regierung: Diese hatte ein lokales Verbot islamistischer Missionierung erlassen, nachdem es bei der Sankt-Elias-Kirche zu einem derartigen Vorfall gekommen war. Mit dieser »Provokation« begründete die Terrorgruppe den Anschlag.

Die Regierung versucht nun, die Verbindungen der Täter zu HTS herunterzuspielen, und stritt gar ab, dass SAS überhaupt mit dem Anschlag in Verbindung stehe; diese sei nicht eigenständig, sondern eine Zweigorganisation des IS.

Gespanntes Verhältnis zwischen beiden Seiten

Hingegen betonte die Regierung die Mitverantwortung der prokurdischen Syrian Democratic Forces (SDF), die die de facto autonomen Gebiete im Nordosten Syriens dominieren. Zwei der gefassten Mitglieder der Terrorzelle seien einst aus dem zunächst insbesondere für IS-Gefangene eingerichteten Internierungslager al-Hol in Nordostsyrien gekommen und irakischer Nationalität. Die Regierung warf der prokurdischen Autonomieregierung vor, durch Fahrlässigkeit den Anschlag ermöglicht zu haben. Die Presseabteilung der SDF in Nordostsyrien wies die Kritik jedoch zurück – die Beschuldigten seien nie in al-Hol gewesen – und betonte die Verantwortung der Regierung.

Tatsächlich hatten die SDF in den Monaten zuvor einige Häftlinge aus dem überfüllten Lager entlassen und dies als humanitäre Geste dargestellt, allerdings in Koordination mit der syrischen Regierung und dem Irak. Damit reagierten die SDF auf die Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die die Haftbedingungen in dem Internierungslager mit 40.000 Menschen scharf verurteilt hatten.

Die gegenseitigen Vorwürfe zeigen das weiterhin gespannte Verhältnis zwischen beiden Seiten. Es gibt ein Abkommen über die Integration der SDF-Gebiete in den syrischen Staat im Austausch für kurdische Minderheitenrechte, doch dessen Verwirklichung ist ins Stocken geraten. Die SDF haben ihre Waffen bislang nicht aufgegeben, und wie die SDF-Mitglieder in die syrische Armee integriert werden sollen, ist nicht eindeutig geklärt.

Erste Schritte zur Vorbereitung einer Parlamentswahl

Doch an anderer Stelle bewegt sich politisch etwas. Seit dem Sturz des Assad-Regimes regiert al-Sharaa weitgehend per Dekret, er stellte eine Übergangsverfassung mit einer starken Exekutive, Grundrechten und Bezügen auf die Sharia auf. Nun sollen erste Schritte zur Vorbereitung der Wahl eines Parlaments, der »Volksversammlung«, erfolgen; unter Assad gab es nur ein Scheinparlament.

Die Situation ist immer noch instabil, es gib mehr als sieben Millionen Binnenflüchtlinge und es mangelt an Parteien und einer Infrastruktur für Wahlen. Deshalb hat al-Sharaa Mitte Juni ein Komitee eingesetzt, um die Wahl eines Übergangsparlaments vorzubereiten. Die Abgeordneten sollen zu einem Drittel vom Präsidenten ernannt und zu zwei Dritteln nach einem regionalen Schlüssel von lokalen Aktivist:innen gewählt werden, wobei vor allem Ex­pert:innen und lokale Notabeln berufen werden sollen. Es soll dann vorläufige Gesetze verabschieden, die von einem späteren demokratisch gewählten Parlament wieder zurückgenommen werden könnten.

Obwohl derzeit eine schwere Dürre das Land heimsucht, stabilisiert sich die Wirtschaft des Landes allmählich, durchaus mit Unterstützung ausländischer Staaten. So konnte die Regierung einen Weltbankkredit zur Restaurierung des syrischen Stromsystems erlangen. Im April beglichen Saudi-Arabien und Katar syrische Schulden bei der Weltbank in Höhe von 15 Millionen US-Dollar.

Friedensvertrag mit Israel?

Mitte Juni konnte eine syrische Bank die erste internationale Finanztransaktion des Landes seit langem ausführen, da Syrien nach dem Ende internationaler Sanktionen nun schrittweise wieder ans internationale Finanzsystem Swift angeschlossen wird.

Als US-Präsident Donald Trump im Mai auf Drängen der arabischen Golfstaaten die US-Sanktionen gegen Syrien aufhob, deutete er auch die Erwartung an, Syrien könne zu einem späteren Zeitpunkt einen Friedensvertrag mit Israel aushandeln. Die israelische Regierung stand al-Sharaa wegen dessen jihadistischer Vergangenheit jedoch zunächst misstrauisch gegenüber. Israel zerstörte syrische Militärgüter und Waffenlager und forderte eine entmilitarisierte Zone im Süden des Landes. Zu diesem Zweck intervenierte Israel auf Seiten drusischer Milizen, die sich Gefechte mit Regierungssoldaten lieferten.

Seit Mai finden indirekte Gespräche zwischen syrischen und israelischen Gesandten statt. Sporadische israelische Bodenoperationen im Grenzgebiet dauern an, die Luftangriffe haben seitdem jedoch aufgehört. 

Daraufhin bat die syrische Regierung die Vereinigten Arabischen Emirate um Vermittlung; diese unterhalten di­plomatische Beziehungen mit Israel. Seit Mai finden auf diesem Weg indirekte Gespräche zwischen syrischen und israelischen Gesandten statt. Sporadische israelische Bodenoperationen im Grenzgebiet dauern an, die Luftangriffe haben seitdem jedoch aufgehört. Zudem erlaubte Israel der syrischen Regierung, nahe der Pufferzone gegen proiranische Milizen vorzugehen, die vor einigen Wochen Raketen auf Israel abgefeuert hatten.

Die gemeinsame Feindschaft zum Iran und proiranischen Milizen, die auf Geheiß des Iran das Assad-Regime gestützt hatten, hilft beiden Seiten, aufeinander zuzugehen. So verurteilte Syrien es nicht, dass israelische Kampfjets den syrischen Luftraum nutzten, um iranische Atomanlagen und Raketenfabriken anzugreifen; gleichzeitig sicherte Syrien die eigenen Grenzen gegen pro­iranische Milizen aus dem Irak und dem Libanon.

Der Nationale Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Tzachi Hanegbi, bestätigte vor dem vertraulich tagenden parlamentarischen Ausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik in der vergangenen Woche, dass die indirekten Verhandlungen nun ins Stadium direkter Gespräche gelangt seien und dass Syrien sowie der Libanon Kandidaten für eine Normalisierung sein könnte, in einem ähnlichen Rahmen wie dem der Abraham-Abkommen.