Teenager als Bombenleger
Am 19. Mai 2025 meldete der Inlandsgeheimdienst Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) die Festnahme eines 17jährigen Jugendlichen in Kiew, der verdächtigt wird, einen Terroranschlag vorbereitet zu haben. Er sollte auf Anweisung russischer Geheimdienste mit Hilfe eines selbstgebauten Sprengkörpers eines der für die Mobilisierung Wehrpflichtiger zuständigen Militärkommissariate in die Luft sprengen.
Der Jugendliche war bereits zuvor wegen Brandstiftung an Fahrzeugen von Militärangehörigen festgenommen worden. Er stand unter Hausarrest, als er Kontakt zu seinen russischen Verbindungsführern aufgenommen und sich bereit erklärt haben soll, einen neuen Anschlag vorzubereiten.
Eine Woche darauf, am 26. Mai, meldete der SBU die Festnahme einer Gruppe russischer Geheimdienstagenten, die in mehreren Regionen der Ukraine Informationen gesammelt haben sollen. Einer der Festgenommenen ist erst 16 Jahre alt, der älteste ist 23.
»Fallt nicht auf ihre Tricks rein. Lasst nicht zu, dass sie euch in eine Waffe gegen euer Heimatland verwandeln.« Oleksandr Usyk, ukrainischer Schwergewichtsboxer
Im März starb ein 17jähriger in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk und sein 15jähriger Partner wurde schwer verletzt, als ihre selbstgebauten Bomben auf der Straße explodierten, bevor sie diese an dem Zielort ablegen konnten. Zwei Passanten trugen ebenfalls Verletzungen davon. Auch diese beiden Jugendlichen sollen vom russischen Geheimdienst per Telegram für eine Bezahlung von umgerechnet rund 1.700 Euro rekrutiert worden sein. Der SBU teilte mit, die Detonation hätten die Auftraggeber per Fernzünder ausgelöst.
Seit vergangenem Jahr ist in der Ukraine die Zahl der Jugendlichen stark angestiegen, die beschuldigt werden, Brandanschläge auf Militärfahrzeuge oder Sabotageakte an militärischen Einrichtungen (meistens im Zusammenhang mit der Mobilisierung) verübt zu haben. Auf Anfrage der Financial Times teilte der SBU mit, dass seit Frühling vergangenen Jahres 700 Personen in der Ukraine wegen Spionage, Brandstiftung und geplanten oder ausgeführten Bombenanschlägen festgenommen worden seien, ein Viertel davon minderjährig.
In den meisten Fällen erfolgte die Rekrutierung über soziale Medien, insbesondere Telegram-Kanäle. Es kann mit vergleichsweise harmlosen Aufgaben losgehen, wie dem Anbringen von ein paar Postern oder dem Malen oder Sprühen von prorussischen Symbolen. Dafür wird eine kleine Belohnung von einigen Hundert Hrywnja angeboten (100 Hrywnja sind umgerechnet circa zwei Euro).
Spannendes »Spionagespiel«
Dann werden die Aufgaben schwieriger, zum Beispiel militärische Objekte zu finden und zu fotografieren, Daten über die Arbeit der Flugabwehr, die Lage von Gebäuden der Mobilisierungsbehörde oder die Arbeit von Rekrutierern zu sammeln, die auf der Straße nach Wehrpflichtigen suchen. Damit steigt auch die Vergütung auf mehrere Tausend Hrywnja. Die Anwerber versuchen, die Jugendlichen mit dem Argument zu überzeugen, dass ihnen keine Strafe drohe, da sie minderjährig sind.
Das Problem ist derart gravierend, dass die ukrainischen Behörden Aufklärung unter anderem in Schulen betreiben. Bei einer Online-Veranstaltung für Schüler sagte der bekannte Schwergewichtsboxer Oleksandr Usyk: »Fallt nicht auf deren Tricks rein. Lasst nicht zu, dass sie euch in eine Waffe gegen euer Heimatland verwandeln.«
Dem Anwalt Dmytro Zyplizkyj zufolge, der häufig Minderjährige in solchen Verfahren vertritt, ist das Motiv der Jugendlichen nicht immer nur Geld. In einem Interview mit der Online-Zeitung Rubrika nennt er Beispiele, bei denen den Jugendlichen ihre Taten wie ein spannendes »Spionagespiel« präsentiert wurden. Und wenn Jugendliche erst einmal gewisse Taten ausgeführt haben, können die Anwerber sie erpressen, um sie zu ernsthaften Sabotageakten zu zwingen.
93 Jugendliche in Terroristen- und Extremistenlisten
Die Verbindungsführer der russischen Geheimdienste bringen den Jugendlichen bei, wie man selbst eine Brandmischung herstellt, wo man die dafür nötigen Stoffe kaufen kann und wie man einen Sprengkörper baut. In dieser Phase kann die »harmloseste« Aufgabe darin bestehen, eine Schaltanlage der Eisenbahn oder ein Militärauto in Brand zu setzen. Ernstere Aufgaben reichen bis zur Sprengung von Militärobjekten.
Die ukrainischen Behörden werfen den russischen Geheimdiensten vor, mit dieser Kampagne systematisch Minderjährige in Sabotageaktivitäten zu verwickeln. Aber auch in Russland werden immer mehr Jugendliche im Zusammenhang mit terroristischen oder sabotageartigen Aktivitäten angeklagt.
Nach Angaben der Deutschen Welle nahm die zuständige russische Bundesbehörde Rosfinmonitoring im Jahr 2024 93 Jugendliche in ihre Terroristen- und Extremistenlisten auf, die höchste Zahl der vergangenen sechs Jahre. Viele von ihnen wurden wegen Brandstiftung an Militärkommissariaten oder Relaiskästen an Eisenbahnstrecken, wegen des Fotografierens von Militärobjekten oder wegen anderer Handlungen »im Auftrag der ukrainischen Geheimdienste« angeklagt oder verurteilt.
Hohe Haftstrafen
Diesen Jugendlichen drohen teils hohe Haftstrafen. So wurde im April vergangenen Jahres in der westsibirischen Stadt Kemerowo ein 16jähriger wegen Brandstiftung an einem Relaiskasten der Eisenbahn zu fünfeinhalb Jahren Erziehungsanstalt verurteilt. Der Anklage zufolge wurde er über soziale Medien für Geld angeworben.
Die jüngsten Teenager, die in Russland wegen Terrorismus verurteilt wurden, waren Artemij Doronin und Jegor Lauskis, die im September 2023 ebenfalls wegen Brandstiftung an einem Schaltschrank festgenommen wurden. Doronin war zum Zeitpunkt seiner Festnahme 14 Jahre und zehn Monate alt, er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Lauskis ist ein halbes Jahr älter als sein Freund und wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt.
In vielen Fällen behaupten russische Strafverfolgungsbehörden, dass die Jugendlichen entweder von ukrainischen Geheimdiensten oder von Vertretern der in Russland verbotenen Legion »Freiheit Russlands« und dem »Russischen Freiwilligenkorps« rekrutiert worden seien. Beide Organisationen kämpfen auf der Seite der Ukraine und stehen in Verbindung mit dem ukrainischen Militärnachrichtendienst HUR.
Dämonisierung verdächtiger Jugendlicher
Nach Angaben russischer Menschenrechtler sind der Öffentlichkeit jedoch keine Beweise für solche Verbindungen zugänglich. »Der FSB (russischer Inlandsgeheimdienst; Anm. d. Red.) hält solche Fälle auf sehr professionelle Weise unter Verschluss: Weder Verwandte noch Anwälte noch die Festgenommenen selbst beschweren sich irgendwo. Sie glauben, dass den Festgenommenen das Schweigen in der Öffentlichkeit hilft«, zitiert der Kaukasus-Dienst des in Prag ansässigen Radio Liberty einen Menschenrechtler. »Wie die Praxis der Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen tatsächlich aussieht, ist schwer zu sagen, da sie meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden: Die an dem Fall beteiligten Anwälte unterliegen einer Geheimhaltungsvereinbarung und Journalisten werden nicht zugelassen.«
Auch in der Ukraine können die betroffenen Jugendlichen wie Erwachsene angeklagt werden, für Anklagen wie Hochverrat können langjährige Haftstrafen drohen. Insbesondere wenn keine Menschen zu schaden kamen, können die Strafen allerdings auch milder ausfallen. In Dnipro wurde im Februar ein Minderjähriger für das Anzünden eines Militärautos zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Dem Berufsschüler, ein Waise ohne Vormund, waren von Unbekannten im Internet 2.000 US-Dollar für die Tat versprochen worden.
In der Ukraine sprechen Menschenrechtler von einem weiteren Problem, mit dem beschuldigte Minderjährige konfrontiert sind. Es geht um die Dämonisierung verdächtiger Jugendlicher in der Öffentlichkeit und die Veröffentlichung ihrer Fotos oder anderer persönlicher Daten in den Medien.
Obwohl sich die Ukraine und Russland gegenseitig der Rekrutierung von Minderjährigen beschuldigen, die an sich schon ein Kriegsverbrechen darstellt, steht dieses Thema bisher nicht im Mittelpunkt der internationalen öffentlichen Aufmerksamkeit.
»Wenn ein Kind sofort zum Verbrecher erklärt wird, kann dies eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen«, sagt Katerina Raschewska, Juristin der NGO Regionales Zentrum für Menschenrechte. Ihrer Meinung nach setzt die Offenlegung der Identität eines Minderjährigen diesen nicht nur der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen aus, sondern schafft auch Probleme für die Reintegration in die Gesellschaft. »Man muss verstehen, warum diese Kinder eine Straftat begangen haben. Man darf sie nicht dämonisieren, sondern muss sich um die Prävention solcher Straftaten kümmern.«
Jugendliche, die wegen Sabotage oder Terroranschlägen angeklagt sind, werden weder als Kriegsgefangene noch als Kombattanten oder Kollaborateure anerkannt. Dementsprechend können sie nicht an Russland (oder umgekehrt an die Ukraine) überstellt werden, wie dies bei Erwachsenen im Rahmen von Gefangenenaustauschen geschieht. Nach Ansicht von Dmytro Lubinets, dem ukrainischen Ombudsmann für Menschenrechte, wäre ein solcher Austausch von Minderjährigen im Rahmen des Völkerrechts nicht möglich.
Obwohl sich die Ukraine und Russland gegenseitig der Rekrutierung von Minderjährigen beschuldigen, die an sich schon ein Kriegsverbrechen darstellt, steht dieses Thema bisher nicht im Mittelpunkt der internationalen öffentlichen Aufmerksamkeit oder der Verhandlungen zwischen den beiden Ländern. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Minderjährige laufen deshalb Gefahr, in die verdeckten Operationen der Geheimdienste hineingezogen zu werden.