Der Hausherr trug Pantoffeln aus Seide und scherzte abfällig über Juden
Nicht ohne Grund wird Luzern als »Musikstadt der Schweiz« vermarktet. Die Schönheit der Landschaft und zahlreiche Klassikfestivals ziehen Musikliebhaber aus der ganzen Welt an. Dabei wandeln sie auf den Spuren Sergej Rachmaninows und Richard Wagners, die zeitweilig nahe Luzern am Vierwaldstättersee residierten. Wagners Domizil beherbergt heutzutage ein Museum, das nun in einer Sonderausstellung den notorischen Antisemitismus des Komponisten kritisch thematisiert.
Am idyllischen Tribschenhorn nahe Luzern mietete Wagner 1866 ein prächtiges Landhaus mit Seegarten, das er sechs Jahre lang mit seiner Frau Cosima und den gemeinsamen Kindern bewohnte. Er vollendete hier »Die Meistersinger von Nürnberg« und den »Siegfried«, setzte die Arbeit an »Götterdämmerung« fort und komponierte den »Huldigungsmarsch« sowie das »Siegfried-Idyll«. An diesem wunderbaren Ort überarbeitete er auch seinen Aufsatz über »Das Judenthum in der Musik«, der als ein zentrales Dokument des deutschen Antisemitismus gilt.
In Wagners repräsentativem Domizil trafen sich seine prominenten Förderer und Bewunderer wie der bayerische König Ludwig II., Cosimas Vater Franz Liszt oder Friedrich Nietzsche. 1931 erwarb die Stadt Luzern das Haus und richtete dort das Richard-Wagner-Museum ein. Durch Schenkungen, Käufe und Leihgaben wurden viele Objekte aus Wagners Zeit in das Haus zurückgebracht.
»Über die Juden Gehässigkeiten auszutauschen, sich lachend miteinander in Abfälligkeiten zu verständigen, war eine immer wiederkehrende Situation zwischen Cosima und Wagner.« Sabine Zurmühl
Im Erdgeschoss, vor allem im Salon mit Seeblick, sind heute wieder antike Möbel zu sehen, es dominieren vergoldete Rahmen, schwere Stoffe und bunte Muster, die einen Eindruck von den üppig dekorierten Wohnräumen des Komponisten bieten. An den Wänden hängen Werke Franz von Lenbachs, die Cosima und ihren ersten Ehemann Hans von Bülow zeigen. Die ursprüngliche Ausstattung der Räume war noch prächtiger. Wagner hatte eine Obsession für edle Stoffe wie Samt und Seide sowie für extravagante Kleidung. Dank großzügiger Unterstützung des Königs von Bayern konnte er seine Prunksucht in der Villa Tribschen voll ausleben. Davon zeugen im Museumsbestand unter anderem seine seidenen Hausschuhe. Das Schmuckstück der Sammlung ist Wagners Pariser Érard-Flügel, der bei Führungen auch zum Einsatz kommt.
Ob in Luzern oder später in Bayreuth – das geistige Klima im Hause Wagner war vom Antisemitismus geprägt. Auch Cosima, die von einer konservativen katholischen Erziehung und dem Antisemitismus Hans von Bülows beeinflusst war, ließ keine Gelegenheit aus, gegen Juden zu hetzen. »Über die Juden Gehässigkeiten auszutauschen, sich lachend miteinander in Abfälligkeiten zu verständigen, war eine immer wiederkehrende Situation zwischen Cosima und Wagner«, resümiert Sabine Zurmühl in ihrer Biographie »Cosima. Ein widersprüchliches Leben«.
Lange Zeit berücksichtigte das Wagner-Museum den Antisemitismus kaum. Das antijüdische Pamphlet des Komponisten wurde in der Dauerausstellung zwar gezeigt, allerdings unkommentiert. In den vergangenen Jahren drängte das Luzerner Stadtparlament das städtische Museum dazu, die antijüdische Haltung des Komponisten sowie die eigene Gründungsgeschichte endlich aufzuarbeiten. Mit dem Saisonstart des Museums im Frühjahr dieses Jahres wurde die von Franziska Gallusser kuratierte Sonderausstellung »Tabu Wagner? Jüdische Perspektiven« eröffnet, die die Hintergründe und Wirkung von Wagners berüchtigter Schrift untersucht. Auch wird die historische Kontroverse angesprochen, ob und inwieweit der Antisemitismus des damaligen Hausherrn auch abseits seiner Pamphlete werkbestimmend gewesen sei.
Einflüsse Heinrich Heines und Giacomo Meyerbeers auf Wagners Werk
Auffällig ist, dass er sowohl die erste anonyme Zürcher Fassung seines antisemitischen Essays von 1850 wie auch die namentlich gekennzeichnete Überarbeitung, die 1869 in Luzern entstand, jeweils in Situationen des Exils und der Isolation verfasste, in denen er sich als Opfer von Machenschaften fühlte, hinter denen er Juden vermutete. Indem er Juden pauschal die künstlerische Schaffenskraft absprach, vertuschte er zugleich die starken inhaltlichen und musikalischen Einflüsse Heinrich Heines und Giacomo Meyerbeers auf sein eigenes Werk.
1873 nahm Wagner den Text in die erste Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften und Dichtungen« auf. Die mittel- und vor allem langfristige Wirkung auf Künstler und Intellektuelle war erheblich. Wagner bestärkte oder prägte viele deutsche Künstler, Musiker, Journalisten und Musikwissenschaftler der Ära 1870 bis 1933 in ihren antisemitischen Vorstellungen. Sie glaubten, ein geheimes jüdisches Wirken im Kulturleben aufdecken und die so enttarnten Juden ausgrenzen zu müssen.
Zudem diente eine Hermeneutik des Verdachts als Mittel im verschärften Konkurrenzkampf. Erfolglose Künstler konnten ihre Lage auf die vermeintliche Dominanz jüdischer Netzwerke zurückführen. Interessanterweise wurde der Antisemitismus Wagners im Nationalsozialismus nur schwach rezipiert; für die Propaganda war er zu widersprüchlich, nicht zuletzt weil sein Leben und Werk durch zahlreiche Bezüge auf und Kontakte zu Juden geprägt war.
Theodor Herzl hörte den »Tannhäuser« zur Entspannung
Die im Untertitel der Sonderschau versprochenen »jüdischen Perspektiven« berücksichtigt die Ausstellung durch zum Teil kuriose Zitate prominenter Juden. Theodor Herzl beispielsweise hörte den »Tannhäuser« zur abendlichen Entspannung, als er an seiner Schrift »Der Judenstaat« arbeitete.
Albert Einstein gab zu Protokoll, er könne Wagners Musik nur »mit Abscheu« hören. Leonard Bernstein sprach den Meister direkt an: »Ich hasse dich, aber ich hasse dich auf meinen Knien.« Marcel Reich-Ranicki meinte, auch wenn viele Wagners musikalisches Genie priesen, könne man ihm das Pamphlet »Das Judenthum in der Musik« nicht vergeben.
In Israel gilt die Aufführung von Werken Wagners bis heute als Tabu. Zwar gibt es seit 1981 für öffentlich-rechtliche Sender keine diesbezüglichen Auflagen mehr, doch die wenigen Aufführungen seiner Werke stießen stets auf heftigen Widerstand.
In der Ausstellung kommen auch jüdische Musiker und Intellektuelle der Gegenwart zu Wort. Manche können mit Wagner nichts mehr anfangen, andere sind von seinem Pathos befremdet oder empfinden seine Musik als manipulativ – schließlich konzipierte der gescheiterte Revolutionär Wagner seine Kunst durchaus als politisches Erziehungsinstrument.
In Israel gilt die Aufführung von Werken Wagners bis heute als Tabu. Zwar gibt es seit 1981 für öffentlich-rechtliche Sender keine diesbezüglichen Auflagen mehr, doch die wenigen Aufführungen seiner Werke stießen stets auf heftigen Widerstand. Das 1936 gegründete gegründete Palestine Symphony Orchestra (heute Israel Symphony Orchestra) hatte anfangs noch Werke Wagners im Repertoire, nahm diese jedoch nach der »Reichspogromnacht« aus dem Programm.
Die Einträge im Gästebuch zeigen, dass das internationale Musikpublikum überwiegend positiv auf den kritischen Ansatz der Ausstellung reagiert, wenngleich auch viele Zitate zu lesen sind, die an der traditionellen Wagner-Verehrung festhalten.
Tabu Wagner? Jüdische Perspektiven. Richard-Wagner-Museum, Luzern. Bis 25. November