Es ist ihre Stadt
Sie sind groß, bunt und nicht zu übersehen: Graffiti dreier Köpfe zieren eine Mauer in der Montague Street im Birminghamer Stadtteil Digbeth. Serieninteressierte dürften die Dargestellten erkennen. Es handelt sich um die Konterfeis von Cillian Murphy, Sophie Rundle und Tom Hardy in ihren Rollen als Thomas Shelby, Ada Shelby and Alfie Solomons, bekannt aus der britischen Serie »Peaky Blinders. Gangs of Birmingham«. Ergänzt wird das Anfang 2025 fertiggestellte Wandgemälde des Graffiti-Künstlers Mr Murals von dem Schriftzug: »Peaky Blinders, welcome home. This is your city by order of Digbeth Loc. Studios.«
Die Wandmalerei befindet sich nicht zufällig dort. Die Mauer gehört zu den Digbeth Loc. Studios, einem 2023 von Steven Knight gegründeten Filmstudio. Knight ist der Drehbuchautor und Produzent der Serie »Peaky Blinders«, deren sechs Staffeln die BBC zwischen 2013 und 2022 zeigte und die der Streaming-Anbieter Netflix weltweit bekannt machte. Die Rolle des Familien- und Gang-Oberhaupts Thomas Shelby, das in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Birmingham aus mittels Diebstahls, Raubs, illegalen Glücksspiels, Schmuggels und anderer beliebter Gangstertätigkeiten ein kriminelles Imperium aufbaut, war Cillian Murphys berühmteste – bis der Schauspieler dann 2024 für seine Darstellung des wankelmütigen Atombombenbauers Robert Oppenheimer den Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt.
In der gewalttätigen Jugendsubkultur von Small Heath taten sich die Peaky Blinders nicht nur modisch, sondern auch mit besonderer Brutalität hervor.
Graffiti von Murphy in der Rolle des Thomas Shelby sind noch an weiteren Stellen in Birmingham zu finden. Wandgemälde der historischen Gang, die als Vorbild für die Serie diente und der diese sogar ihren Namen verdankt, fehlen hingegen. Die Zeitung Birmingham Mail erwähnte im März 1890 in einer Meldung zum ersten Mal eine Straßenbande namens Peaky Blinders: Diese hatte einen Mann überfallen und ihm unter anderem einen Schädelbruch zugefügt. Ihre Mitglieder kamen aus Small Heath, einem von Armut und Erwerbslosigkeit geplagten Birminghamer Arbeiterviertel. Jugendliche und junge Männer, die keine Aussicht darauf hatten, ihren Lebensunterhalt mit Lohnarbeit zu verdienen, schlossen sich dort zu Gangs zusammen, die sich mit Raub und Taschendiebstahl Geld beschafften und sich die Langeweile mit Revierkämpfen, sogenannten post code battles, gegen andere Gruppen vertrieben.
Die Peaky Blinders legten sich in dem Bandenwirrwarr ein Erkennungsmerkmal zu: Die Mitglieder trugen Mäntel mit Revers, maßgeschneiderte Anzüge mit geknöpften Westen und Schiebermützen, um sich so mit demonstrativer Eleganz von anderen Gangs abzusetzen – was die Macher der Serie dankbar übernahmen. Der Birminghamer Historiker und Autor Carl Chinn vermutet, der Bandenname leitet sich von der Spitze der Schiebermütze (»peaky«) und dem gestriegelten Aussehen der Anzugträger ab: »Blinder« ist ein in Birmingham gebräuchliches Wort für eine Person mit äußerst gepflegtem, also blendendem Aussehen.
In der gewalttätigen Jugendsubkultur von Small Heath taten sich die Peaky Blinders jedoch nicht nur modisch, sondern auch mit besonderer Brutalität hervor. Das war zwar der körperlichen Unversehrtheit ihrer Gegner und etlicher Unbeteiligter abträglich, verhalf der Gang aber zur Vorherrschaft in Birmingham. Auch vor Auseinandersetzungen mit der Polizei schreckten die Peaky Blinders nicht zurück. So warf der 19jährige George »Cloggy« Williams, eines ihrer Mitglieder, dem Wachtmeister George Snipe 1897 einen Backstein an den Kopf, während dieser versuchte, ein anderes Mitglied festzunehmen. Der Polizist überlebte dies nicht, Williams erhielt eine lebenslängliche Zuchthausstrafe.
Dem Historiker Chinn zufolge befanden sich die Peaky Blinders zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer Macht in der Stadt. Zu ihren kriminellen Geschäftstätigkeiten gehörten Schmuggel, Raub, Schutzgelderpressung, Betrug, illegale Pferdewetten und Entführungen. Für den Machterhalt bestachen sie Geschäftsleute, Juristen, Richter und Polizisten. Das bewahrte die Gang jedoch nicht davor, nach einer etwa 20 Jahre anhaltenden Vorherrschaft von den rivalisierenden Birmingham Boys verdrängt zu werden. Ab den Zwanzigern war die Zeit der Peaky Blinders vorüber – während die Handlung der Serie dann erst einsetzt.
Durch und durch unangenehme Zeitgenossen
Nach Festnahmen angefertigte Polizeifotos von Mitgliedern der Peaky Blinders wie Harry Fowler, Ernest Bayles, Stephen McHickie und Thomas Gilbert sind im West Midlands Police Museum in Birmingham zu sehen. Mit ihnen als Vorlage ließen sich also ohne Weiteres Graffiti anfertigen. Darauf dürfte allerdings niemand großen Wert legen, denn anders als bei Thomas Shelby und seiner Serienfamilie handelte es sich bei den Originalen um durch und durch unangenehme Zeitgenossen, die vor allem ihr eigenes Umfeld terrorisierten.
»Egal in welchem Teil der Stadt man spazieren geht, man sieht Banden von ›Peaky Blinders‹, die sich oft nichts dabei denken, Passanten, ob Mann, Frau oder Kind, grob zu beleidigen«, beschwerte sich beispielsweise ein anonymer Schreiber im Juli 1898 in einem Brief an die Birmingham Mail. David Cross, ein im West Midlands Police Museum arbeitender Historiker, gab BBC News zum Serienstart 2013 Auskunft über die Vorgehensweise der Peaky Blinders: »Sie griffen jeden an, der verletzlich oder der nicht stark oder fit wirkte.« Ihren Opfern, Männern wie Frauen, Kindern wie Alten, hätten sie alles genommen, was diesen genommen werden konnte.
Zu den bevorzugten Waffen bei Überfällen auf offener Straße gehörten demnach außer Messern und Hämmern auch Gürtel mit schweren Schnallen, mit denen sich die Opfer offenbar gut traktieren ließen. Zudem rekrutierten die Peaky Blinders auch Kinder verarmter Familien. Davon zeugt unter anderem die Akte von David Taylor, der im Alter von 13 Jahren wegen Schusswaffenbesitzes festgenommen wurde.
Die Bandenherrschaft der realen Peaky Blinders war also, wenig überraschend, eine hässliche Angelegenheit. Hässlicher Realismus allein trägt allerdings keine Serie, die einem Massenpublikum zusagen soll, weshalb sich die Macher von »Peaky Blinders« einer Ambivalenz bedienten, die im Gangster-Genre verbreitet ist: Thomas Shelby und seine »Peaky Blinders« tun zwar böse Dinge, schleppen dabei aber auch ihre eigenen Traumata mit sich herum. Sie stehlen, betrügen und töten, sind dabei aber auch keine schlimmeren Gestalten als die brutalen Polizisten, korrupten Politiker und skrupellosen Fabrikbesitzer, die in der Serie ihr Unwesen treiben. Im Gegenteil: Die »Peaky Blinders« erscheinen menschlich, denn manchmal lassen sie sogar Gnade vor Unrecht ergehen. Und sie sehen dabei stets gut aus.
Sie sehen stets gut aus
Mit diesem Rezept wurde die Serie bei Publikum und Kritikern derart beliebt, dass als Fortsetzung der sechs veröffentlichten Staffeln im vergangen Jahr der Spielfilm »The Immortal Man« produziert wurde, wieder mit Cillian Murphy in der Rolle des Thomas Shelby; auf Netflix soll er noch dieses Jahr zu sehen sein. Anders als die Serie, die nicht in Birmingham gedreht wurde, entstand zumindest der Film in der Stadt der ursprünglichen Peaky Blinders, in den Digbeth Loc. Studios von Steven Knight.
Obwohl Seriendrehorte wie Liverpool und Manchester mit ihren Originalschauplätzen stärker vom Besuch von Fans von »Peaky Blinders« profitieren, versucht man sich auch in Birmingham am Thementourismus: Interessierte können in einem Peaky-Blinders-Escape-Room Rätsel lösen, sich auf einer Stadtführung die Geschichte der historischen Gang erzählen lassen oder am Flughafen in einem Restaurant namens »Shelby & Co. Bar and Kitchen« Burger essen.
Die richtige Atmosphäre dürfte jedoch, von Stadtpolitik und -gesellschaft wahrscheinlich alles andere als gewollt, weiterhin in Small Heath aufkommen, wo die Peaky Blinders Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. War das Viertel damals ein Arbeiterslum, gehört es einem fact sheet der Stadt Birmingham zufolge auch heutzutage noch zu den ärmsten Stadtteilen. Die Arbeitslosenquote liegt über dem Durchschnitt der Stadt. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die in Armut leben, ist hoch. Vielleicht gründen einige von ihnen ja irgendwann eine Gang.