09.10.2025
Marina Chernivskys »Bruchzeiten« untersucht das jüdische Leben nach dem 7. Oktober

Lemberg, Jerusalem, Berlin

Die Psychologin und Beraterin Marina Chernivsky verknüpft in ihrem Buch »Bruchzeiten. Leben nach dem 7. Oktober« autobiographische Berichte mit gesellschaftlichen Beobachtungen.

Autosoziologische Schriften haben häufig das Problem, entweder die Biographie hinter dem Allgemeinen verschwinden zu lassen oder das Allgemeine auf ein Ornament der Biographie zu reduzieren. Ganz mühelos verknüpft dagegen Marina Chernivsky in ihrem Buch »Bruchzeiten. Leben nach dem 7. Oktober« autobiographische Berichte mit gesellschaftlichen Beobachtungen. Die Autorin ist Psychologin und Mitgründerin einer Beratungsstelle gegen antisemitische Gewalt.

Ihre professionelle Perspektive bereichert die biographische und umgekehrt. Auch da, wo sie poetisch wird, ringt sie um sprachliche Präzision. Das Buch ist von Suchbewegungen strukturiert, es wirft Fragen auf, deren Antworten womöglich in der eigenen Erzählpraxis liegen. Beispielsweise fragt die Autorin: »Wie wird eine Erfahrung kollektiv, auch für jene, die woanders waren?«

»Nach dem 7. Oktober scheint es, als wären die zeitlichen und generationalen Grenzen durchlässiger geworden«, schreibt Chernivsky. Das jüdische Leben sei »geprägt, aber nicht bestimmt von der Gewaltgeschichte«.

Die biographischen Stationen der Autorin – Lemberg, Jerusalem, Berlin – spiegeln Erfahrungen von Gewalt. Der Schrecken des 7. Oktober reaktiviert eine traumatische Geschichte von Verfolgung und Vernichtung. Chernivsky schreibt über die Gespräche, die sie mit Juden und Jüdinnen über den 7. Oktober führte, und fühlt sich davon an ein Interview erinnert, das sie in Israel mit einem Überlebenden des Anschlags auf die Diskothek »Dolfi« in Tel Aviv während der Zweiten Intifada führte. Das bringt sie zurück ins Jahr 2001, als sie in Berlin davon erfuhr, und, 20 Jahre danach, zum Prozess gegen den rechtsterroristischen Attentäter von Halle.

»Nach dem 7. Oktober scheint es, als wären die zeitlichen und generationalen Grenzen durchlässiger geworden«, schreibt Chernivsky. Das jüdische Leben sei »geprägt, aber nicht bestimmt von der Gewaltgeschichte«. Bestimmend seien die »Wehrhaftigkeit« und die »ungeheure Kraft des Überlebens«. Es ist eine der Stärken des Buchs, widerständige Stimmen laut werden zu lassen.


Buchcover

Marina Chernivsky: Bruchzeiten. Leben nach dem 7. Oktober. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2025, 176 Seiten, 24 Euro