09.10.2025
Der Terrorangriff auf ­Besucher einer Synagoge in Manchester

Tödlicher Antisemitismus

Am 2. Oktober wurde ein Terrorangriff auf Besucher einer Synagoge in Manchester verübt, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen und drei weitere verletzt wurden. Der Anschlag ist der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Welle antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 in Großbritannien.

Am Morgen des 2. Oktober 2025 wurde ein terroristischer Anschlag auf die Besucher einer Synagoge der Heaton Park Hebrew Congregation im Stadtteil Crumpsall in Manchester verübt; zur Tatzeit fand dort ein Gottesdienst zum jüdischen Feiertag Yom Kippur. Bei dem Anschlag kamen zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde ums Leben, drei weitere Personen wurden schwer verletzt.

Yom Kippur ist der höchste Feiertag des jüdischen Kalenders und die Syn­agoge in Crumpsall war an diesem Morgen gut gefüllt. Zeugenberichten zufolge legte sich um 9.20 Uhr ein Mann mit dem Sicherheitspersonal an, das ihm den Zugang zur Synagoge verweigerte. Er ging weg und fuhr zehn Minuten später mit einem schwarzen Auto absichtlich auf die Passanten am Eingangstor der Synagoge zu. Eine Person wurde vom Fahrzeug erfasst.

Der Attentäter Jihad al-Shamie soll während des Versuchs, sich Zutritt zur Synagoge zu verschaffen, gerufen haben: »Das kriegt ihr für das Töten unserer Kinder!«

Anschließend stieg der später als Jihad al-Shamie identifizierte Fahrer aus und begann, mit einem Messer auf die umstehenden Menschen einzustechen. Sein erstes Opfer war Melvin Cravitz, ein 66jähriger Sicherheitsmitarbeiter der Synagoge. Zeugen berichteten, Cravitz habe versucht, dem Täter den Zugang zur Synagoge zu verwehren. Das kostete ihn das Leben. Eine weitere Person wurde von Shamie mit dem Messer schwer verletzt.

Shamie soll während seines Versuchs, in die Synagoge einzudringen, gerufen haben: »Das kriegt ihr für das Töten unserer Kinder!« Die Gottesdienstbesucher reagierten jedoch schnell. Angeführt vom Gemeindemitglied Adrian Daulby begaben sie sich zum Eingang und blockierten die Tür.

Um 9.31 Uhr ging der erste Notruf bei der Polizei ein. Wenige Minuten später erreichten die ersten Polizisten die Szene und meldeten eine marauding terror attack (to maraud ist hier im Sinne von Gräueltaten begehen zu verstehen). Dadurch wurde eine sogenannte Operation Plato eingeleitet – eine koordinierte Reaktion mehrerer Sicherheitsbehörden im Fall von Terrorangriffen.

»Tragische und unvorhergesehene Konsequenz«

Um 9.38 Uhr erreichten bewaffnete Polizisten das Synagogengelände und erschossen den Täter. Da er einen Gürtel mit Gegenständen trug, die an einem Sprenggürtel von Selbstmordattentätern erinnerte – was sich später als Fehleinschätzung herausstellte –, meinte die Polizei, schnell handeln zu müssen.

Durch die Schüsse der Polizisten wurde jedoch auch Daulby, der von innen die Tür zuhielt, tödlich getroffen, sowie eine weitere Person schwer verletzt. Die Greater Manchester Police bezeichnete dies später als »tragische und unvorhergesehene Konsequenz« des Polizeieinsatzes.

Die ermittelnden Behörden bezeichneten die Tat schnell als terroristischen Anschlag. Sie gehen davon aus, dass Shamie »möglicherweise durch islamistische Ideologie beeinflusst wurde«. Den Antiterrorbehörden war er nicht bekannt. Nachbarn in Prestwich, wo er zuletzt wohnte, berichteten allerdings von einer Radikalisierung seit der Zeit der Covid-19-Pandemie. Er habe angefangen, traditionelle islamische Kleidung zu tragen, und versucht, Kindern in der Nachbarschaft den Koran zu predigen. Shamie war 35 Jahre alt, hatte syrische Wurzeln und war 2006 eingebürgert worden; seit dem vergangenen Jahr war er Vater.

Im September 2024 hatte er Privatinsolvenz angemeldet und war zur Tatzeit arbeitslos gemeldet. Aufgrund eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Vergewaltigung war er auf Kaution frei und der Polizei zudem wegen kleinerer Vergehen bekannt.

Indizien für ein islamistisches Motiv des Täters

Zudem wird untersucht, ob Shamie die Person war, die 2012 eine Morddrohung an einen damaligen Unterhausabgeordneten der Tories, John Howell, geschickt hatte. In einer E-Mail mit dem Absender »Jihad al-Shamie« stand: »Leute wie Sie verdienen zu sterben.« Wie die Jerusalem Post berichtete, wurde Howell damals wegen seiner pro­israelischen Haltung angegriffen und hatte aufgrund der Drohungen Angst um sein Leben.

Im Namen der ganzen Familie distanzierte sich der Vater des Attentäters, Faraj al-Shamie, von der Tat seines Sohnes auf Facebook. Der Chirurg, der bereits für das Rote Kreuz in Kriegsgebieten tätig war, verurteilte die Tat als »abscheulich«. Angeblich soll der Vater 2023 auf Facebook aber auch den 7. Oktober als ein »Wunder in jeder Hinsicht« bezeichnet haben, das von »Männern Gottes« vollbracht worden sei.

Für die Behörden gibt es einige Indizien für ein islamistisches Motiv des Täters, die Ermittlungen dauern jedoch noch an. Dabei geht es auch um die Frage, ob Shamie einer terroristischen Zelle angehörte. Im Zuge der Ermittlungen wurden sechs Personen aus seinem Umfeld festgenommen. Zwei davon wurden bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die übrigen vier Verdächtigen, zwei Männer im Alter von 30 beziehungsweise 32 Jahren sowie zwei Frauen im Alter von 46 beziehungsweise 61 Jahren, befinden sich weiterhin in Polizeigewahrsam.

Grassierender Antisemitismus in Großbritannien

Der Anschlag in Manchester steht im Kontext des grassierenden Antisemitismus in Großbritannien. Seit dem 7. Oktober 2023 haben antisemitische Vorfälle nach Angaben jüdischer Organisationen wie des Community Security Trust dramatisch zugenommen. Der Anschlag heizte zudem die Debatte über die Förderung des Antisemitismus durch die regelmäßig stattfindenden »propalästinensischen« Demonstrationen weiter an, bei denen Anhänger der inzwischen verbotenen Gruppierung Palestine Action teilnehmen und antiisraelische Hetze verbreiten.

Die britische Regierung rief dazu auf, von den geplanten »propalästinensischen« Demonstrationen in den nächsten Tagen abzusehen, um den Jüdinnen und Juden in Großbritannien die Gelegenheit zur Trauer und Verarbeitung des Geschehenen zu geben und Polizeiressourcen, die für den Schutz der jüdischen Gemeinden, auch um den Jahrestag des 7. Oktobers, benötigt werden, nicht anderweitig zu binden.

Viele Jüdinnen und Juden nehmen die derzeitige israelfeindliche Stimmung, auch innerhalb der Labour-Regierung, als Nährboden für Antisemitismus wahr. Bei einer Trauerfeier für die Verstorbenen von Manchester wurde der anwesende stellvertretende Premierminister und Justizminister, David Lammy, ausgebuht. Er war bis vor kurzem Außenminister und hatte Israel vorgeworfen, internationales Recht zu brechen.

Am Wochenende fanden in Manchester und London jedoch erneut Demonstrationen für und mit Palestine Action statt. In London wurden dabei knapp 500 Personen festgenommen.