16.10.2025
Das rechtsextreme Milieu in Russland und die Bewegung »Nordischer Mensch«

Slawische Arier in Putins Reich

Die extrem rechte Bewegung »Nordischer Mensch« verfügt bereits über 45 Ortsgruppen in Russland und die Unterstützung der Gouverneure in drei Regionen. Generell ist das rechtsextreme, ultranationalistische Milieu erstarkt.

Rapper, Sportler, Influencer, Denunziant und militanter Rassist – Misha Mavashi ist eine ebenso facettenreiche wie umstrittene Persönlichkeit des ­öffentlichen Lebens im heutigen Russland. Michail Niz, wie der 1985 in so­wjetischen Kasachstan geborene Gründer der Bewegung »Nordischer Mensch« (Sewernyj Tschelowek) mit bürgerlichem Namen heißt, hat 277.000 Follower auf Telegram, er eilt von Ort zu Ort, um vor immer neuen Ortsgruppen von »Nordmenschen« zu sprechen. Es soll mehr als eine Organisation sein, »Nordmenschen« sollen Gemeinschaften bilden, in denen russische Kinder ihren Eltern beim Kampfsporttraining und bei anspruchsvollen Diskussionen zusehen sollen und ohne das aufwachsen, was Mavashi für schädlichen Einfluss hält.

Mavashi machte erstmals 2009 auf sich aufmerksam. Er rappte über den harten Kampf auf der Straße, den junge russische Männer gegen die »Zersetzung« der Bevölkerung durch Drogen, Migration und LGBT zu führen hätten. In der rechten Szene wurde er zunächst ambivalent aufgenommen – einerseits machte er rechte Inhalte über seine Musik und Trainingstipps populär, andererseits blieb Rap bei vielen russischen Rechtsextremen als »schwarze« Musik verpönt. Hinzu kam sein nichtrussischer Nachname.

2022 wurde die »Russische Gemeinschaft« gegründet, etwas weniger militant agieren die Gesellschaft »Doppeladler« und der »Bund des russischen Volkes«.

Zudem musste Mavashi seine Karriere 2016 vorläufig beenden, um sich ­einem Drogenentzug zu unterziehen. Doch die Imageprobleme scheinen ­inzwischen der Vergangenheit anzugehören. 2022, in einem Klima verschärfter politischer Repression, durfte sich die Bewegung »Nordischer Mensch« offiziell registrieren. Nach eigenen – mit Sicherheit übertriebenen Angaben – umfasst sie heutzutage circa 186.000 Menschen. Unter dem Slogan »Verstand, Stärke, Einheit!« agieren ­inzwischen 45 Ortsgruppen, in den Regionen Astrachan, Wladiwostok und Wologda bekam die Bewegung bereits öffentliche Unterstützung von den jeweiligen Gouverneuren.

Als Ziele werden die »Konsolidierung der Staatsbürger auf der Grundlage der slawischen Ethnie«, Solidarität und gegenseitige Hilfe zwischen Russen proklamiert – der Kampf um die politische Macht, Parteigründungen und Wahlbeteiligung werden abgelehnt. Stattdessen organisiert die Bewegung Razzien gegen Migranten, interveniert gewaltsam in möglichst viele Auseinandersetzungen zwischen Russen und Nichtrussen auf der Seite der Erstgenannten und macht alle derartigen Vorfälle so publik wie irgend möglich. Dabei wird verlautbart, dass man sich lediglich um die Durchsetzung geltenden Rechts bemühe und den staatlichen Organen helfen wolle. Andere Arbeitsfelder sind die Denunziation von »inneren Feinden« im Kulturbereich sowie das Sammeln von Spenden für die Frontkämpfer der »Spezialoperation« in der Ukraine.

Mavashis »Nordmenschen« haben das Konzept jedoch nicht erfunden. Ähnlich agieren auch die 2022 gegründete und mit 150 Ortsgruppen wesentlich mitgliederstärkere »Russische Gemeinschaft« (Russkaja Obschtschina, RO) und die von ihr abgespaltene »Russische Wehrmiliz« (oder »Russische Gefolgschaft«; Russkaja Druschina, RD), ferner die etwas weniger militante und besonders mit Geschichtspolitik befasste die Gesellschaft »Doppeladler« und der den berüchtigten Namen der Schwarzen Hundertschaften aus der Zarenzeit tragende »Bund des russischen Volkes« (SRN) sowie die an den Hochschulen aktive »Bruderschaft der Akademiker«, die sich an Studentenkorporationen orientiert. Ideologisch und organisatorisch etwas abseits steht die eher elitär-intellektuelle Organisation »Gesellschaft.Zukunft«, die ebenfalls Wert darauf legt, keine politische Partei zu sein.

Ein heikles Unterfangen

Nach einer langer Periode von Spaltungen und zwar selektiver, aber durchaus harter staatlicher Repression haben die russischen extremen Rechten wieder eine Möglichkeit, sich legal zu organisieren, offen aufzutreten und sogar staatliche Unterstützung zu bekommen. Lange existierten in Russland keine ultranationalistischen Organisationen relevanter Größe.

Die Regeln, an die sich alle Gruppen mehr oder weniger halten, scheinen Folgende zu sein: keine Beteiligung an Partei­gründungen; Unterstützung des Kriegs gegen die Ukraine, ohne selbst Kriegsziele zu formulieren; keine positiven Bezüge auf den historischen Nationalsozialismus; Rhetorik gegen Migranten, jedoch nicht gegen die Minderheiten unter den Staatsbürgern Russlands; keine offener Antisemitismus.

Doch ist es ein heikles Unterfangen, »unpolitische« Nationalisten wachsen und gedeihen zu lassen. Der Staat und vor allem Präsident Wladimir Putin betonen offiziell den multiethnischen Charakter Russlands; exklusiver Abstammungsnationalismus wird hingegen vor allem der Ukraine, den baltischen Staaten oder den separatistischen Bewegungen zugeschrieben und dort gegeißelt.

Für einen slawischen Ethnozentrismus 

Hingegen lassen die neuen Massenorganisationen wenig Zweifel daran, dass sie für einen slawischen Ethnozentrismus eintreten. Als fremd gilt nicht, wer einen anderen Pass hat, sondern wer qua Aussehen, Name, Konfession auffällt. Dass die »Nordmenschen« und die Russische Gemeinschaft gegen Muslime agitieren, sorgt für wachsende Spannungen im regierungstreuen Lager. Auch die ideologische Synthese von Bezügen auf das Zarenreich, die Sowjetunion und den Aufstieg des Putinismus, die in der staatlichen Ideologie dominiert, scheint bei den neuen nationalistischen Massen­organisationen nicht zu greifen. Jegliche Sowjetnostalgie lehnen sie ab, mit Ausnahme der Russischen Wehrmiliz, die »roten Patriotismus« akzeptiert.

Zwischen den Organisationen gibt es nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch deutliche Unterschiede. So gilt die RO als eng an die Russische ­Orthodoxe Kirche angelehnt, inzwischen sind die Bischöfe offiziell zur Unterstützung verpflichtet. Obwohl Mavashi sich selbst als gläubigen ­orthodoxen Christ präsentiert, ist seine Bewegung eher bei jüngeren, subkulturell orientierten Menschen populär, insbesondere bei Fußballultras und Neoheiden.

Zudem wird bei den »Nordmenschen« auf die Inklusion der ganzen Familie Wert gelegt, während die RO eher Männer über 40 anzuziehen scheint. Die RD, die Doppeladler-Gesellschaft, die SRN und die Bruderschaft der Akademiker stehen im Ruf, mehr oder weniger stark vom Milliardär Konstantin Malofejew abzuhängen. Die »Nord­menschen«-Bewegung ist stark auf die charismatische Führungsfigur Mavashi ausgerichtet, während das Führungspersonal von RO eher aus unauffälligen Funktionären besteht. Nach Angaben des Revolutionären Kommunistischen Jugendverbands (Bolschewiki) wird die »Nord­men­schen«-­Bewegung unter anderen von Jewgenij Chamin finanziert, einem Unternehmer und Regionalabgeordneten der Regierungspartei Einiges Russland.

Mavashis antisemitischen Äußerungen

Im Jahr 2022 kommentierte Mavashi den Krieg in der Ukraine zunächst wie folgt: »So ist es für die doch: Gojim töten Gojim«, und warnte vor Manövern der »globalen Elite«, die Slawen gegeneinander kämpfen lasse. Damit bezog er sich auf den in Russland verbreiteten Verschwörungsmythos, die USA, Westeuropa und Japan kontrollierten die Rohstoffe der Welt, auch Russlands, und wollten die übrige Menschheit in der Unterentwicklung halten.

Später ließ er sich zur Kriegsunterstützung hinreißen, zeigte aber auch Verständnis für die Wut der »einfachen Ukrainer« und warnte davor, die Zivilbevölkerung schlecht zu behandeln. Generell fällt es ihm schwer, sich mit antisemitischen Äußerungen zurückzuhalten. Den ­bekannten russischen Fernsehpropagandisten Wladimir Solowjow verdächtigt er, »Zionist« zu sein, und bezeichnete ihn als »Judeo-Freimaurer« (»schido-masonyj«, wobei »schid« eine abwertende Bezeichung für Juden ist); und der ukrainische Milliardär Ihor Kolomojskyj gilt ihm als Freimaurer; beide stammen aus jüdischen Familien.

Im Jahr 2022 kommentierte Mavashi den Krieg in der Ukraine zunächst wie folgt: »So ist es für die doch: Gojim töten Gojim«, und warnte vor Manövern der »globalen Elite«, die Slawen gegeneinander kämpfen lasse.

Die »Gesellschaft.Zukunft«, die auf militantes Auftreten verzichtet, richtet sich an andere Zielgruppen. Ihr Name spielt auf Aleksej Nawalnyjs Parole vom »wunderschönen Russland der Zukunft« an, die Organisation bezeichnet sich als »nationaldemokratisch« und sieht Russland als festen Teil der »europäischen Zivilisation«. Liberale Marktreformen, Trennung von Kirche und Staat, Legalisierung von persönlichem Waffenbesitz und »gesteuerte Migrationspolitik« sind die deklarierten Ziele der Organisation, die qua Statut nur eine bestimmte Zahl an Mitgliedern zulässt. Russland soll eine Staatsbürgernation werden, in der sich die Bürger als Russen identifizieren sollen. Zu den Gründern gehört der in der Bundesrepublik geborene Russlanddeutsche Roman Junemann – den Kriegsbeginn 2022 bezeichnete er als ­einen Fehler, doch, so seine Überzeugung, auch in einem »ungerechten Krieg« müsse man seinen Staat unterstützen.

Danil Machnizkij, der die Organisation 2020 mitgegründet hatte, kandidierte erfolglos für die auf Initiative von oben gegründete kommuni­taristische und wirtschaftsliberale Partei »Neue Leute« (auch bekannt als »Neue Menschen«), die immerhin 15 Abgeordnete in der Duma hat. Eine davon ist Machnizkijs Ehefrau Ksenija Gorjatschewa. »Gesellschaft.Zukunft« arbeitet eng mit dem in Moskau ansässigen Republican Research Centre unter Rodion Belkowitsch (in englischer Transkription: Belkovich) zusammen, das sich an Think Tanks der antietatistischen US-amerikanischen extremen Rechten orientiert.