Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher
Vermutlich glauben nur noch die wenigsten, man könne vom sprichwörtlichen Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen. Aber es kann ja nicht schaden, empirisch nachzuweisen, wie selten der sogenannte soziale Aufstieg gelingt, auch der bescheidenere von der Armut in die Mittelschicht. Tatsächlich zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie für das Münchner Ifo-Institut, dass ein solcher Aufstieg immer schwieriger wird.
Der Studie zufolge ist die Korrelation zwischen dem Wohlstand der Eltern und dem ihrer Kinder im Laufe der Zeit immer stärker geworden. Wer in den achtziger Jahren geboren wurde, landete am Ende viel sicherer auf dem ökonomischen Platz der eigenen Eltern als jemand, der in den siebziger Jahren geboren wurde. Die vielgepriesene soziale Mobilität nach oben sei seit der Zeit um die Jahrtausendwende immer weniger Menschen zuteilgeworden.
Dass arme Kinder höchstwahrscheinlich ihr Leben lang arm bleiben, führen die Autoren der Ifo-Studie auf zwei Ursachen zurück: Erstens täten reiche Eltern alles, um ihre Kinder während der Schul- und Universitätszeit zu unterstützen, und wer den höheren Bildungsabschluss hat, ist im Berufsleben erfolgreicher. Tatsächlich ist das deutsche Schulsystem darauf ausgelegt, schon sehr früh die Kinder zu sortieren – offiziell nach Begabung, de facto vor allem nach sozialer Herkunft.
86 Prozent der Deutschen sind für härtere Sanktionen beim sogenannten Bürgergeld.
Außerdem, so die Studie, hat sich das Einkommen armer und reicher Haushalte in der Bundesrepublik in den neunzigern und den nuller Jahren stark auseinanderentwickelt. Das war die Zeit vor der Finanzkrise, in der Deutschland gern als »kranker Mann Europas« dargestellt wurde, mit hoher Arbeitslosigkeit und kaum steigenden Löhnen, während trotzdem hohe Renditen für Kapitalanlagen möglich waren. Zwischen 1991 und 2010 ist der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten von rund einem Drittel auf ein gutes Sechstel gesunken, die Tarifbindung nahm in vielen Branchen ab. Wenn der Abstand zwischen den Ärmeren und den Reicheren immer größer wird, dann wird, oh Wunder, auch die Chance kleiner, den Sprung nach oben zu schaffen.
Lange Zeit galt für Arbeiter und Angestellte das Versprechen: Auch wenn man nicht den sozialen Aufstieg schaffte, würde es einem zumindest besser gehen als den eigenen Eltern. Zwischen 1950 und 1970 verdreifachten sich die Reallöhne in der Bundesrepublik. Wer brav ackerte, durfte auf ein Reihenhaus mit Vorgarten hoffen – Ende der Siebziger besaßen 43 Prozent der Facharbeiter Wohneigentum. Ein Fernseher, ein Auto und eine Urlaubsreise im Jahr waren für viele drin.
Leute bangen darum, ihren Lebensstil auch nur zu halten
Die meisten akzeptierten ihr Los, weil sie es besser hatten als Generationen vor ihnen. Und Einzelne stiegen so richtig auf – wie Gerhard Schröder (SPD), der aus sehr armen Verhältnissen kam, es aber zum Bundeskanzler schaffte und dann selbst mit der »Agenda 2010« den Ärmsten das Leben unerträglich machte.
Heute dürften nur noch wenige glauben, dass sie es einmal besser haben werden als die eigenen Eltern. Eher bangen die Leute darum, ihren Lebensstil zu halten. Arme Haushalte geben inzwischen durchschnittlich mehr als ein Drittel des verfügbaren Einkommens nur für die Wohnung aus, bei vielen sind es 40, gar 50 Prozent. Es gibt heute also weder individuell noch kollektiv die Aussicht auf sozialen Aufstieg.
Das Paradoxe ist: Die Empörung bleibt aus. Selten gibt es Demonstrationen für Umverteilung oder dafür, die Vermögensteuer wieder zu erheben. Das verletzte Gerechtigkeitsempfinden und die daraus resultierende Wut richtet sich bei vielen nicht gegen das Wirtschaftssystem, sondern gegen diejenigen, denen man tatsächlich ans Leder kann: Arbeitslose, Kranke, Flüchtlinge.
Reiche als Vorbild
86 Prozent der Deutschen sind für härtere Sanktionen beim sogenannten Bürgergeld, wie eine repräsentative Umfrage Anfang September ergab. Wenn ich mich abrackern muss, um gerade so über die Runden zu kommen, wäre es ungerecht, wenn es anderen nicht noch viel schlechter ginge, so die Logik.
Reiche werden immer seltener als Nutznießer einer ungerechten Gesellschaftsordnung wahrgenommen – und immer häufiger als Vorbild. Junge Männer fühlen sich wie kleine Investmentbanker, wenn sie ein paar tausend Euro erübrigen können, um sie in Kryptowährungen investieren und auf dem Handy Aktienportfolios zusammenstellen. Sie machen sich vor, sie würden irgendwann selbst Porsche fahren, glauben mithin an ein neues Aufstiegsversprechen: Wenn du nur rücksichtslos genug bist, kannst du es nach oben schaffen! Für alle, die nicht das richtige »Grindset« haben, bleibt nur Verachtung.
Dass man heutzutage kaum noch aufsteigen kann, weder kollektiv noch individuell, führt keineswegs dazu, dass sich die Leute zusammentun, um etwas daran zu ändern. Die wachsende Angst, selbst zum Verlierer zu werden, macht die Menschen nicht freundlicher oder solidarischer, im Gegenteil.