Kontrollierte Besserverdienerei in der NBA
Der US-amerikanische Basketball befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Grund dafür ist die 2023 in den Tarifverhandlungen zwischen Spielern und Liga festgelegte zweite Gehaltsobergrenze, auch bekannt als second apron (wörtlich: zweite Schürze). Lange hatte man in der National Basketball Association (NBA) mit einer soft cap genannten Regelung gearbeitet – einer flexiblen Gehaltsobergrenze, die Überschreitungen erlaubt, wenn das Team bereit ist, eine Luxusabgabe zu zahlen. Diese floss nicht an den Verband, sondern wurde größtenteils an Teams verteilt, die unterhalb der Gehaltsobergrenze blieben.
So finanzierten die finanzstarken Clubs indirekt die sparsamen. Abschreckende Wirkung entfaltete das System jedoch kaum: Die Einnahmen im Erfolgsfall machten die Mehrausgaben meist mehr als wett. Second apron trat im Sommer 2023 in Kraft und gilt seit der Saison 2024/25 mit allen Sanktionen vollständig. Es beinhaltet ein komplexes, mit abgestuften Verschärfungen versehenes Regelsystem, das finanziellen Ausreißern deutlich engere Grenzen setzt als bisher üblich.
»Second apron«, die nun in Kraft getretene Gehaltsobergrenze, bedeutet vor allem das Ende der sogenannten Superteams im Basketball, also von Teams, die sich mehr als einen oder vielleicht zwei Superstars leisten.
Die US-amerikanischen Spitzenligen anderer Sportarten verfolgen schon länger eine strengere Linie. In der National Football League (NFL) beispielsweise gab und gibt es eine hard cap genannte Regelung. Überschreitet dort ein Team die Gehaltsobergrenze, greift umgehend die Liga ein und erzwingt die Anpassung, sogar mit Hilfe der Auflösung von Verträgen. Auch der Verlust wertvoller draft picks – frisch verpflichtete Jung- oder Amateurspieler – ist möglich. Die NBA geht nun in eine ähnliche Richtung und führt ebenfalls Maßnahmen ein, die weit über reine Geldstrafen hinausgehen.
Überschreitet ein Team die nun eingeführte zweite Obergrenze – second apron –, werden seine Möglichkeiten, Transfers zu tätigen oder free agents, also vertragslose Spieler, zu verpflichten, empfindlich eingeschränkt. So können Teams zum Beispiel keine Spieler mehr per sign-and-trade holen – eine beliebte Methode, um dem abgebenden Team trotz auslaufenden Vertrags eine gewisse Kompensation zu ermöglichen. Besonders gravierend wird es, wenn ein Team in drei von vier aufeinanderfolgenden Jahren über der Grenze der second apron liegt. Dann muss sich dieses Team beim draft picking hinten anstellen, was den Neuaufbau eines erfolgreichen Kaders erheblich erschwert.
Offenbar nehmen die Verantwortlichen bei den Teams diese Strafen durchaus ernst. So prophezeit Wyc Grousbeck, der Vorstandsvorsitzender und Miteigentümer der Boston Celtics: »Niemand wird in den nächsten 40 Jahren länger als zwei Jahre über second apron bleiben.« Auch den Spielern ist das Ausmaß der Veränderung bewusst. »Die Strafen sind verrückt«, sagt Draymond Green von den Golden State Warriors. Josh Hart von den New York Knicks bezeichnete second apron sogar als »grim reaper«, also als Sensenmann.
Phoenix Suns zogen die Notbremse
Die second apron-Regelungen bedeuten vor allem das Ende der sogenannten Superteams, also von Teams, die sich mehr als einen oder vielleicht zwei Superstars leisten. Die Auswirkungen sind bereits zu spüren. So gaben die Milwaukee Bucks am 7. Juli die Auflösung des Vertrags mit Damian Lillard bekannt, nachdem klar war, dass er die gesamte nächste Saison mit einem Achillessehnenriss ausfallen würde. Wenige Tage zuvor war mit dem Center Brook Lopez ein wichtiger Spieler des Meisterteams von 2021 zu den Los Angeles Clippers gewechselt. Damit kürzten die Bucks ihre Gehaltsausgaben deutlich und rutschen in der neuen Saison sogar unter die erste Gehaltsobergrenze, first apron genannt, was das Team von allen ansonsten möglichen Abgaben und drohenden Sanktion befreit.
Auch bei den Boston Celtics, dem Meister von 2024, wurde die Axt angelegt. Zwar konnten die zwei größten Stars des Teams, Jayson Tatum und Jaylen Brown, gehalten werden. Im Juli jedoch wurde Kristaps Porziņģis an die Atlanta Hawks abgegeben, und am 1. Oktober ging Center Al Horford als free agent zu den Warriors. Damit hat Boston zwei seiner sechs teuersten Spieler abgegeben.
Die Phoenix Suns hingegen beendeten endgültig den fehlgeschlagenen Versuch, mit viel Geld ein Team mit drei Topstars (big three) aufzubauen. 2023 hatte man dort Kevin Durant von den Brooklyn Nets und Bradley Beal von den Washington Wizards geholt und sie dem noch relativ jungen Spielmacher Devin Booker zur Seite gestellt. Zwei Jahre dauerte das Experiment. Im ersten scheiterten die Suns in der ersten Runde der Play-offs, im zweiten erreichten sie sie nicht einmal. Nun zog das Team die Notbremse. Durant wechselte zu den Houston Rockets, der Vertrag mit Beal wurde aufgelöst.
Möglichst prominente Duos an sich binden
Es scheint so, als sei die Zeit der big threes endgültig vorbei. Umso mehr versuchen die Teams, die um den Titel mitspielen wollen, möglichst prominente Duos an sich zu binden. Die Los Angeles Lakers haben LeBron James und Luka Dončić, die Los Angeles Clippers Kawhi Leonard und James Harden, die Dallas Mavericks Kyrie Irving und Anthony Davis. Diese Teams spüren jedoch die enorme finanzielle Belastung – Davis, Leonard und James verdienen jeweils mehr als 50 Millionen US-Dollar pro Saison – und haben sichtlich Probleme, ihren Kadern die nötige Personaltiefe zu verleihen, die für ernsthafte Titelambitionen unerlässlich ist.
Dass es auch anders geht, zeigt Meister Oklahoma City Thunder. Chet Holmgren, Jalen Williams und Luguentz Dort – drei der fünf Startformationsspieler – stammen aus der eigenen Nachwuchsarbeit oder wurden sehr früh verpflichtet. Der größte Star des Teams, Shai Gilgeous-Alexander, kam nach einer verkorksten Debütsaison bei den Clippers ebenfalls noch blutjung zu Thunder.
Doch das Glück wird nicht von Dauer sein. Mit Holmgren hat man sich bereits auf eine Vertragsverlängerung geeinigt, die ihm ab 2026/27 mehr als 40 Millionen pro Jahr zusichert. Jalen Williams konnte man für acht Millionen im Jahr zum Bleiben bewegen. Um auch Gilgeous-Alexander zu halten, musste man diesem jedoch einen Vertrag geben, der ihm ab 2027 in vier Jahren 285 Millionen einbringen wird. Damit wird das Team ab 2026/27 über der second apron-Grenze liegen. Alle drei Spieler wird Thunder sich also auf Dauer nicht leisten können.
Cleveland Cavaliers mit den vielleicht letzten echten big three der Liga
Als zweiter Favorit in der kommenden Saison gelten neben dem Titelverteidiger die Cleveland Cavaliers mit den vielleicht letzten echten big three der Liga. Auch hier sind mit Evan Mobley und Darius Garland zwei der drei Topstars Eigengewächse. Nur der dritte, Donovan Mitchell, kam 2022 aus Utah. Der Preis dafür ist hoch, denn die drei verdienen zusammen rund 130 Millionen Dollar im Jahr, nur unwesentlich weniger als der komplette Kader der Utah Jazz. Derzeit liegen die Cavs daher als einziges Team über der zweiten Gehaltsobergrenze – und zwar deutlich. Es ist somit wahrscheinlich, dass das Team spätestens nach Ende der kommenden Saison auseinanderbrechen wird, egal ob mit Titel oder ohne.
Davon könnte die New York Knicks profitieren, die es geschafft haben, ein Team zusammenzustellen, in dem es mit Karl-Anthony Towns zwar auch einen Superstar mit hochdotiertem Vertrag gibt, die spielerische und finanzielle Last insgesamt jedoch deutlich besser als bei anderen Topteams auf mehrere Schultern verteilt ist. Gleich vier der fünf Startformationsspieler können sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, ins All-Star-Team der Liga berufen zu werden. Gleichzeitig laufen die vergleichsweise günstigen Verträge aller zentralen Spieler noch mindestens drei Jahre – im Basketball eine halbe Ewigkeit.
Wird second apron die Liga also ausgeglichener und spannender machen? Das wird sich zeigen. Nehmen die Teams sich ein Vorbild an den Knicks und versuchen, ihre Kader nicht nur in der Spitze, sondern auch in der Breite gut aufzustellen, könnte es tatsächlich so kommen.
Bewusstes Verlieren als Taktik
Umgekehrt jedoch zeigt das Beispiel von Oklahoma City, dass tanking – also das bewusste Verlieren in der Hoffnung, am Ende die besten draft picks zu bekommen, also ein Vorwahlrecht auszuüben – durchaus belohnt werden kann. Eine Taktik, die willige Nachahmer finden könnte. Und das ökonomische Gefälle zwischen Teams in großen und solchen in kleinen Märkten wird durch second apron auch nicht nivelliert. 2024 hatten die in San Francisco beheimateten Warriors einen fast dreimal so hohen Umsatz wie die New Orleans Pelicans; die Knicks und die Lakers immerhin einen doppelt so hohen.
Bleibt die Frage nach der Fairness. Ist es wirklich fair, wenn Thunder ein selbstaufgebautes Team auseinanderbrechen lassen muss? Wenn man bedenkt, dass der Erfolg von Thunder darauf beruhte, mit voller Absicht über mehrere Jahre hinweg nicht konkurrenzfähig zu sein, dann wahrscheinlich schon. Trotzdem wird es schade sein, diese Ära enden zu sehen, weil das Team einfach mitreißenden und mannschaftsorientierten Basketball spielt.
Und schließlich tastet die Neuregelung das eigentliche Problem nicht einmal an: Die Summen, mit denen in der NBA hantiert wird, sind in vollkommen absurden Höhen angesiedelt. Niemand sollte 50 Millionen Dollar im Jahr verdienen, solange andere Menschen – inklusive vieler derer, die in den NBA-Arenen an den Essensständen oder als Sicherheitsleute arbeiten – in Armut leben. Egal wie gut jemand orangefarbene Bälle in Körbe werfen kann.