16.10.2025
Vor 100 Jahren begann in Berlin der Bau der Hufeisensiedlung

Licht, Luft und Sonne für alle

Vor 100 Jahren begannen gemeinwirtschaftliche Bauunternehmen in Berlin mit dem Bau großer Wohnkomplexe, um die Wohnungsnot zu bekämpfen. Viele dieser kommunalen Bauten wurden in den neunziger Jahren privatisiert, darunter auch die Hufeisensiedlung im Neuköllner Ortsteil Britz.

Die Floskel, die Wohnungsfrage sei die soziale Frage unserer Zeit, hat sich in den vergangenen Jahren eingebürgert; die Wohnungsmieten in Großstädten sind enorm hoch. Doch neu ist das Problem natürlich nicht: Wie Lohnabhängige in Großstädten menschenwürdig untergebracht werden können, ist spätestens seit der Industrialisierung eine der drängendsten Fragen überhaupt.

In den vergangenen 150 Jahren gab es verschiedene Versuche, diese zu beantworten. Einer davon, auf den in den derzeitigen Diskussionen immer wieder hingewiesen wird, ist der soziale Wohnungsbau im sogenannten Roten Wien, der von Sozialdemokraten regierten österreichischen Hauptstadt der Zwischenkriegszeit.

Doch auch in Deutschland gab es damals ähnliche Ansätze. So wurde ab 1925 in Britz, im Süden des Berliner Bezirks Neukölln, die sogenannte Hufeisensiedlung errichtet. Anlässlich des 100. Jubiläums des Beginns der Bauarbeiten blickte selbst die »Tagesschau« Ende September unter dem Titel »Lernen aus der Hufeisensiedlung?« auf den sozialen Wohnungsbau im Berlin der Weimarer Republik zurück.

Der Widerstand aus bürgerlichen Kreisen gegen den kommunalen Wohnungsbau war stark. Hier hatte man unter anderem gehofft, das Wohnungsproblem durch Umsiedlung von Arbeitslosen aus der Großstadt zu lösen.

Das dergestalt herausgehobene Wohnviertel war eines von mehreren Projekten, die die dramatisch schlechte Wohnsituation von Arbeiter:innen im Berlin der zwanziger Jahre verbessern sollten. Diese war ein Resultat des massenhaften Zuzugs von Menschen aus dem ländlichen Raum, die in der Großstadt ein Auskommen suchten, und der Rückkehr von Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg. In Verbindung mit den wirtschaftlichen Problemen der frühen Weimarer Jahre, insbesondere der Hyperinflation, führte das zu großer Wohnungsnot. Die Mehrheit der Berliner Arbeiter:innen lebte in engen, dunklen und überbelegten Mietskasernen aus der Kaiserzeit.

Um diesen Zustand zu ändern, beschlossen die nach der Novemberrevolution in der Berliner Stadtverordnetenversammlung die Mehrheit stellenden linken Parteien SPD, USPD und KPD im Mai 1921, dass unter Nutzung »aller gesetzlichen Enteignungsmöglichkeiten« der Bau von »größeren Siedlungskomplexen« mit »Kleinwohnungen« für die »minderbemittelte Bevölkerung« zu betreiben sei.

Der Widerstand aus bürgerlichen Kreisen war stark. Hier hatte man unter anderem gehofft, das Wohnungsproblem durch Umsiedlung von Arbeitslosen aus der Großstadt zu lösen. Vor diesem Hintergrund versuchten die Bauunternehmen der Stadt, des Vorhaben des sozialen Siedlungsbaus durch hohe Preise und Boykotte zu verhindern. Als Reaktion darauf betrieben SPD-Politiker und Funktionäre der Bauarbeitergewerkschaft die Gründung von gemeinwirtschaftlichen Bauhütten als Unternehmen ohne privates Gewinninteresse unter Belegschaftskontrolle. Mit ihrer Hilfe konnten dann ab 1925 mehrere Zehntausend Wohnungen pro Jahr errichtet werden.

Überfüllte Massenquartiere

So entstand auch die Britzer Hufeisensiedlung. Seit dem 19. Jahrhundert hatte sich die Gemeinde Rixdorf, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Neukölln umbenannt wurde, zu einer Industriestadt entwickelt, die 1920 als Stadtbezirk nach Berlin eingemeindet wurde, ebenso wie das südlich davon gelegene, damals noch ländlich geprägte Britz. Auf dem Areal eines ehemaligen Rittergutes fand sich der Platz, der gebraucht wurde, um Wohnungen für die in Neuköllner Betrieben beschäftigten Arbeiter:innen zu bauen.

Mit der Planung der Anlage wurde der Architekt Bruno Taut beauftragt, der 1917 eine Kampfschrift gegen den Krieg verfasst und mit der Novemberrevolution sympathisiert hatte. Taut gehörte zu jenen Architekten, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts darüber diskutierten, welche Konsequenzen im Bereich des Bauens aus den durch die Industrialisierung veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen zu ziehen ­waren.

Einerseits hatte der Personalbedarf der Fabriken zur Folge, dass Arbeiter:in­nen in der Regel in überfüllten Massenquartieren in der Nähe der von Abgasen und Lärm geprägten Produktionsstätten lebten. Andererseits ermöglichte die industrielle Fertigung die Herstellung von verhältnismäßig preis­günstigem Wohnraum in großem Maßstab durch die serielle Fertigung von Bauelementen für typisierte Wohnungen. Deshalb beschäftigten sich Architekten wie Taut mit der Errichtung von Gartensiedlungen, deren Realisierbarkeit auf der industriellen Produktion von Baumaterialien beruhte und die gleichzeitig durch den Zugang zu »Licht, Luft und Sonne« einen gewissen Ausgleich zum Alltag in den Fabriken schaffen sollten.

Hufeisensiedlung ein Paradebeispiel

Die Hufeisensiedlung ist ein Paradebeispiel für diese Form des Bauens. Um einen hufeisenförmigen Zentralbau, der der Siedlung den Namen gab, gruppieren sich mehrere Straßenzüge mit mehrstöckigen Reihenhäusern. Dazwischen erstrecken sich öffentliche Grünanlagen und private Hausgärten. Träger des Siedlungsbaus war die 1924 vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Verband sozialer Baubetriebe und einigen Arbeitergenossenschaften gegründete Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft (Gehag).

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließ Taut Deutschland. Über Japan kam er in die Türkei, wo er 1938 verstarb. Die Gehag wurde der Deutschen Arbeitsfront, dem nationalsozialistischen Gewerkschaftssurrogat, eingegliedert. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm sie ab 1952 als Gehag GmbH im Eigentum von Deutschem Gewerkschaftsbund, Deutscher Angestelltengewerkschaft und dem Land Berlin ihre Tätigkeit im sozialen Wohnungsbau wieder auf. Unter anderem errichtete sie in den sechziger Jahren die Gropiusstadt, nicht allzu weit entfernt von der Hufeisensiedlung.

In den neunziger Jahren fiel vielerorts die Entscheidung, den kommunalen sozialen Wohnungsbau aufzugeben und die Wohnungsbestände zu privatisieren, um mit den Erlösen marode kommunale Haushalte zu sanieren. So wurde 1998 auch die Gehag GmbH inklusive ihrer damals 33.500 Wohnungen verkauft. Die Stadt erhielt von dem neuen Eigentümer 950 Millionen D-Mark, knapp 21.000 D-Mark pro Wohnung.

Wohnungsbestand privatisiert

Über Umwege landete das Unternehmen später beim Immobilienkonzern Deutsche Wohnen SE, seit 2021 Teil der Unternehmensgruppe Vonovia. In dieser Zeit begannen die jeweiligen Eigentümer, Wohnungen in der Hufeisensiedlung als Eigentumswohnungen zu verkaufen, so dass der Wohnungsbestand heute, sofern er nicht Vonovia gehört, unter einer hohen Zahl privater Eigentümer aufgesplittert ist.

Die Bewohner:innen von 300 Haushalten hatten ab 1999 eine Genossenschaft gegründet, die die ganze Siedlung erwerben sollte, um diese Privatisierung zu verhindern. Das Vorhaben scheiterte, da der verlangte Kaufpreis nicht durch sozialverträgliche Mieten refinanzierbar gewesen wäre. Übrig geblieben von diesen Bemühungen sind Initiativen, die an die Geschichte der Hufeisensiedlung und ihrer Bewoh­ner:innen erinnern und sich rechtsex­tremen Gruppen wie der Kleinpartei »Der III. Weg« entgegenstellen, die in Britz einen ihrer Berliner Schwerpunkte hat.

Das bauliche Ensemble steht seit 2008 als Unesco-Kulturerbe unter Denkmalsschutz. Der Versuch, durch soziale Reformen Wohn- und Lebensverhältnisse umfassend zu verbessern, ist im südlichen Neukölln jedoch Vergangenheit. Wie die Nichtumsetzung des erfolgreichen Volksbegehrens »Deutsche Wohnen enteignen« durch den Berliner Senat zeigt, bräuchte es grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, um daran anknüpfen zu können.