23.10.2025
Dem Frieden dient die Subversion rechtsextremer Mächte

Lieber Pirat als Soldat

Ohne konventionelle Armee ist der Schutz der Demokratie derzeit nicht zu haben. Der Beitrag der Linken zum Kampf für den Frieden sollte jedoch in der globalen Subversion, der Destabilisierung jener Regime bestehen, die ihn brechen oder gefährden.

Während Russland seit drei Jahren versucht, die Ukraine zu unterwerfen, rüsten Bundesrepublik und Nato auf. Katja ­Woronina kritisierte illusionäre linke Friedensforderungen in Bezug auf die Ukraine (»­Jungle World« 31/2025). Ewgeniy Kasakow forderte, im Krieg Russlands gegen die Ukraine keine Partei zu ergreifen, sondern für Kriegsuntauglichkeit auf beiden Seiten zu kämpfen (33/2025). Die Gruppe Antideutsche Kommunisten Leipzig argumentierte, bürgerliche Re­publiken müssten auch mit militärischen Mitteln gegen aggressive Autokratien ­verteidigt werden (40/2025). Julian K.-Duschek forderte, das Ziel einer friedlichen Welt nicht aufzugeben, aber die Gründe ihrer derzeitigen Unmöglichkeit zu reflektieren (41/2025). Paul Simon kritisierte, dass viele Linke vor den Verhältnissen in Russland und Osteuropa die Augen verschlössen, um angesichts der russischen Aggression neutral bleiben zu können (42/2025).

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Womöglich könnte ich seit mehr als 20 Jahren meinen Ruhestand genießen, wenn ich 1978 auf einen anarchistischen Agitator gehört hätte. Er versuchte, uns im Rahmen eines selbstverständlich konspirativen Treffens nicht nur davon zu überzeugen, Wehrdienst zu leisten – wir sollten Kampfpiloten werden. In der kommenden Revolution sollten Bomben ja nicht immer nur mit der Hand geworfen werden.

Dass die Altersgrenze für Kampfpiloten mit 41 Jahren reizvoll niedrig liegt und das Ruhegehalt immerhin 54,53 Prozent der Bezüge beträgt, wusste ich damals nicht. Eher die unmittelbare Zukunft vor Augen, war mir das Dienen im Allgemeinen und der Dienst für Deutschland im Besonderen ein Gräuel. Bundespräsident war damals das ehemalige NSDAP- und SA-Mitglied Karl Carstens, Oberbefehlshaber der Bundeswehr im Verteidigungsfall wäre der ehemalige Wehrmachtsleutnant Helmut Schmidt gewesen, der bei der Blockade Leningrads im Einsatz war, aber behauptete, erst nach 1945 von den NS-Kriegsverbrechen erfahren zu haben, und von der »Tragödie des Pflichtbewusstseins« fabulierte. Dann doch lieber am Boden bleiben und Zivildienst leisten.

Trotz diverser Zeiten- und sonstiger Wenden sind die Grundprobleme geblieben. In der radikalen Linken dominierte damals eine Theorie der »Faschisierung«, die davon ausging, dass wegen sich verschärfender revolutionärer Kämpfe im antikommunistischen Konsens von US-Regierung und deutschen Ex-Nazis die parlamentarische Fassade des bürgerlichen Staates fallen und durch eine Diktatur ersetzt werden würde. Wohl niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die Faschisierung die Folge einer demokratischen Mehrheitsentscheidung sein könnte, wie es nun in den USA der Fall ist und in vielen europäischen Staaten, wo rechtsextreme Parteien ein Viertel oder gar mehr als ein Drittel der Stimmen einheimsen, bald der Fall sein könnte.

 »Wir brauchen Soldaten, die mit Volk und Vaterland verankert sind.« Rüdiger Lucassen, AfD

Die Armee ist der bewaffnete Arm des Nationalstaats, unabhängig von dessen politischer Verfasstheit. Im günstigsten Fall schwören Soldat:innen wie in den USA, »die Verfassung der Vereinigten Staaten gegen alle Feinde im In- und Ausland« zu verteidigen; die Gehorsamspflicht gilt im Rahmen der US-Militärgesetzgebung, dem Uniform Code of Military Justice, gemäß dessen Erläuterungen zu Artikel 92 nur, wenn ein Befehl »nicht gegen die Verfassung oder die Gesetze der Vereinigten Staaten verstößt«.

Bundeswehrsoldat:innen fassen sich kürzer: »Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.« Es gibt also keinen expliziten Bezug auf das Grundgesetz und keine Rechtsbindung der Gehorsamspflicht. Der Eid »symbolisiert das Bekenntnis der Bundeswehr zur demokratischen Grundordnung«, postuliert die Bundeswehr, doch eine AfD-Regierung könnte »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes« ganz anders interpretieren.

Es sollte daher zu denken geben, wenn Rüdiger Lucassen, Oberst a.D. und verteidigungspolitischer Sprecher der AfD, sagt: »Wir brauchen Soldaten, die mit Volk und Vaterland verankert sind. Und das kann nur über Wehrpflichtige sichergestellt werden.« Zu den nun in Frage stehenden alten linken Gewissheiten gehört, dass eine Berufsarmee per se weiter rechts steht als eine Wehrpflichtigenarmee. Die Anforderungen moderner Kriegführung haben jedoch eine Intellektualisierung des Offizierskorps erzwungen und den klassischen Militarismus zurückgedrängt. Möglicherweise sind Profis derzeit die zuverlässigeren Hüter:in­nen einer demokratischen Ordnung. Der Eifer, mit dem Kriegsminister Pete Hegseth Säuberungen in der Militärführung betreibt, deutet jedenfalls darauf hin, dass die US-Regierung verfassungstreue Offizier:innen für eine Gefahr hält.

Wehrpflichtdebatte und die radikale Linke

In der deutschen Wehrpflichtdebatte geht es selten um deren militärische Notwendigkeit. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) angegebene »Daumengröße« zutrifft und 50.000 bis 60.000 zusätzlichen Sol­dat:in­nen tatsächlich benötigt werden, sollte es möglich sein, sie durch attraktive Angebote zu gewinnen – anderswo klappt das ja auch. Schon die Vermischung mit der Debatte über andere Pflichtdienste zeigt, dass es eher um die Entlastung des Staatshaushalts, Disziplinierung und das Erzwingen eines herbeigesehnten »gesellschaftlichen Zusammenhalts« geht.

Man kann die Wehrpflichtigenarmee dennoch für die bessere Lösung halten, aus Gründen der Gerechtigkeit (vor allem arme Leute sehen sich gezwungen, die attraktiven Angebote der Armee anzunehmen) und weil eine Kaste von Berufssoldat:innen immer eine potentielle Gefahr darstellt. Notwendig ist sie nur, wenn ein Land sich in einem längeren konventionellen Krieg befindet (Ukraine) oder ständig die Gefahr von Invasion und Auslöschung droht (Taiwan, Israel).

Drücken kann sich auch die radikale Linke um solche Debatten nicht mehr, denn die Verteidigung der Demokratie gegen eine rechtsextreme Bedrohung, derzeit vor allem aus Russland, kann nur mit einer konventionellen Armee bewerkstelligt werden. Der gern romantisierte Guerillakrieg hat den Nachteil, dass die Verteidigenden etwa zehnmal so hohe Verluste haben wie die Invasoren und die Zivilbevölkerung deren Besatzungsherrschaft ausgeliefert ist. Ziviler Widerstand kann durch Terror gebrochen werden, wie er in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine bereits herrscht.

Rechtsextreme Weltmächte

In der Ukraine beteiligen sich auch radikale Linke an der Landesverteidigung, die zwangsläufig im Rahmen des Nationalstaats stattfindet, aber ohne internationale Unterstützung nicht möglich wäre. Deutschland ist weit genug von der russischen Grenze entfernt, um nicht unmittelbar in Gefahr zu sein, erstmals in seiner Geschichte als Nationalstaat einen Verteidigungskrieg auf eigenem Territorium führen zu müssen. Doch das, was man früher internationale Solidarität nannte, sollte dazu verpflichten, jene geographisch weniger begünstigten Staaten zu unterstützen, die an Russland grenzen – aber auch das von China bedrohte demokratische Taiwan.

Das bedeutet keineswegs »Burgfrieden« mit Deutschland oder dem demokratisch verfassten Nationalstaat allgemein. Dieser ist, wenngleich unentbehrlich für die Bevölkerung von Ländern, deren Überleben oder Freiheit bedroht ist, eine überholte, für die Lösung globaler Probleme wie der Klimakrise nicht geeignete Organisationsform der Weltgesellschaft. Seine Überwindung, ebenso wie die des Kapitalismus, setzt jedoch demokratische Verhältnisse voraus. Russland und ungeachtet der Benennung der herrschenden Partei als kommunistisch auch China sind bereits rechtsextreme Weltmächte, die USA könnten es bald sein. Auch die EU ist gefährdet.

Andererseits kann es nicht die Lösung sein, der russischen Expansion zuzuschauen, weil man sonst womöglich die falschen Leute aufrüstet. Statt kontrafaktisch zu behaupten, höhere Militärausgaben führten zwangsläufig zu Sozialkürzungen, könnten Linke fordern, dass die Kosten von den Reichen und den Unternehmen zu tragen sind. Und warum auch noch Rheinmetall-Aktio­när:innen fürstlich bezahlen, statt die Rüstungsindustrie zu vergesellschaften?

Die Attraktivität des Militärdienstes könnte dadurch erhöht werden, dass man auf archaische und in einer modernen Armee längst überflüssige Rituale verzichtet. Das würde auch die Anziehungskraft der Bundeswehr für rechte Militaristen mindern, ebenso wie ein Eid, der Soldat:innen explizit auf Grundgesetz, Demokratie und Menschenrechte verpflichtet.

»Make Antifa Great Again«

Da man die Bindungskraft des Schwörens nicht überschätzen sollte – Hitler führte seinen Krieg mit Offizieren, die ihren Eid auf die Weimarer Verfassung gebrochen hatten –, bleibt »Make Antifa Great Again« unentbehrlich. Und man könnte sich auch mal wieder in dem versuchen, was für Linke früher zumindest ein Anspruch war: globale Subversion.

Damit tun sich die vornehmlich an Stabilität interessierten Regierung westlicher Staaten schwer. So widmete sich die 2021 vom damaligen US-Präsidenten Joe Biden veranstaltete internationale Demokratiekonferenz dem Schutz bestehender Demokratien, nicht aber dem globalen Kampf gegen die Diktatur. Nur selten reift in Regierungskreisen die Erkenntnis, die dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld 2003 angesichts der Plünderungen im Irak kam: »Freiheit ist unordentlich.«

Als Manga-Pirat ist Monkey D. Ruffy eher ein Symbol für elementares Gerechtigkeitsstreben – und die Erkenntnis, dass ein Befreiungskampf sich nicht immer im legalen Rahmen halten kann.

So unordentlich wie brennende Regierungsgebäude in Kathmandu. In zahlreichen Ländern bringen Jugendproteste gegen autoritäre Herrschaft und Armut Regierungen in Bedrängnis oder stürzen sie sogar. Das gemeinsame Symbol ist eine Piratenflagge, in historischer Hinsicht kein schlechtes Vorbild: Immerhin kannten Piraten schon um 1700 betriebliche Mitbestimmung (»Jeder Mann hat in wichtigen Angelegenheiten eine Stimme«), Egalitarismus (»hat gleichen Anspruch auf frische Lebensmittel oder Schnaps«) und sogar eine Invalidenrente (»800 Dollar aus der öffentlichen Kasse«, aus dem Kodex von Kapitän Bartholomew Roberts). Als Manga-Pirat ist Monkey D. Ruffy eher ein Symbol für elementares Gerechtigkeitsstreben – und die Erkenntnis, dass ein Befreiungskampf sich nicht immer im legalen Rahmen halten kann.

Die Proteste betreffen bislang nur weltpolitisch wenig relevante Staaten. Wird die Piratenflagge – die vereinzelt schon bei den Protesten in den USA gegen Trump zu sehen war – auch in Russland und China auftauchen? Was könnten westliche Linke tun, um nicht zuletzt dort die Subversion zu fördern? Internationale Solidarität begänne damit, sich zunächst diese Frage zu stellen. Wer gerne fliegt und früh in Rente gehen möchte, mag sich für eine Ausbildung als Kampfpilot bewerben. Einen wichtigeren Beitrag zum Frieden würden Linke aber mit der Destabilisierung jener Regimes leisten, die ihn brechen oder gefährden.