23.10.2025
Frankreichs Opposition und die neu-alte Regierung

Lecornu, die Dritte

Nach Rücktritt und umgehender Wiederernennung hat der französische Premierminister Lecornu vorige Woche zwei Misstrauensanträge im Parlament überstanden. Doch der Haushalt für 2026 sorgt für weitere Probleme.

Paris. Am Montagmorgen begann die auf drei Tage angesetzte Debatte im Finanzausschuss der französischen Nationalversammlung über den Staatshaushalt für das kommende Jahr. Auch über das Haushaltsgesetz für die – von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften mitverwalteten – Sozialversicherungskassen muss in der Nationalversammlung abgestimmt werden. Beide Entwürfe wurden am 14. Oktober, vier Tage nach der Bildung der Regierung von Premierminister Sébastien Lecornu, vorgelegt; er war Anfang Oktober zunächst ernannt, dann nach nur 24 Stunden im Amt zurückgetreten, daraufhin erneut von Emmanuel Macron mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Im zweiten Anlauf gelang diese.

Die Abgeordneten haben nun 70 Tage Zeit, das Staatsbudget zu verabschieden; beim Sozialbudget beträgt die Frist 50 Tage. Danach kann die Regierung das Budget einseitig per Verordnung festlegen; oder ein sogenanntes Sondergesetz wird einfach das Haushaltsgesetz des noch laufenden Jahrs für das kommende fortschreiben.

Nach Ansicht des rechtsextremen RN ließen sich jährlich 100 Milliarden Euro einsparen, wenn man »unnormale Vergünstigungen für Ausländer« streiche und bei »Sozial­betrügern« Geld wieder hereinhole.

In beiden Fällen drohen unerwünschte Konsequenzen. Das Parlament würde das Budgetrecht de facto an die Exe­kutive abgeben. Im Falle einer Ausdehnung des Staatshaushalts vom abgelaufenen auf das neue Jahr droht überdies vielen das, was man als »kalte Progression« bezeichnet: Wenn die Einkommensbemessungsgrenzen für die Einkommensteuer nicht heraufgesetzt werden, um der Inflation Rechnung zu tragen, dann rutschen viele Steuerzahlende in eine höhere Steuerklasse. In Frankreich bezahlen ungefähr 50 Prozent der Privathaushalte Einkommensteuer auf Lohn oder Gehalt, die übrigen nicht, weil ihr Verdienst zu gering ist oder etwa familiäre Unterhaltszahlungen angerechnet werden.

Kompromisse, die eine parlamentarische Verabschiedung der Haushalte ermöglichen könnten, dürften dennoch höchst kompliziert werden. Seit 2022, verstärkt noch seit den vorgezogenen Neuwahlen 2024, stehen sich drei große politische Blöcke in der Nationalversammlung gegenüber: ein linker Block, der bei der Parlamentswahl vom Juni und Juli 2024 unter dem Namen Nouveau Front populaire (Neue Volksfront) als Wahlbündnis antrat, aber längst tief gespalten ist; der wirtschaftsliberale Block aus dem Macron-Lager sowie der bürgerlichen Rechten und der rechtsextreme beziehungsweise neofaschistische Block. So lange die beiden Letztgenannten nicht gemeinsam agieren, gibt es keine stabile parlamentarische Mehrheit.

Das Wochenmagazin ­Valeurs actuelles hat beim Institut Ifop eine Umfrage in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse am 13. Oktober publiziert wurden. Sie entsprachen dem, was die Zeitschrift politisch propagiert: 82 Prozent der Wäh­lerinnen und Wähler der konservativen Partei Les Républicains (LR) und 88 Prozent jener des Rassemblement national (RN) befürworten demnach die Bildung eines Bündnisses aus LR und den beiden rechtsextremen Parteien RN und Reconquête. Dass dies derselben Umfrage zufolge auch auf knapp ein Viertel der Wähler linker Parteien zutrifft, könnte allerdings Zweifel an der Zuverlässigkeit der Umfrage aufkommen lassen.

Brandmauer in Flammen

Die politische Barriere, die früher zwischen einer Mehrheit der Bürgerlichen – zumal der aus einer antifaschistischen Tradition kommenden Gaullisten respektive Postgaullisten – und den Rechtsextremen in Frankreich noch unter dem gaullistischen Staatspräsidenten Jacques Chirac (1995 bis 2007) bestand, wird immer durchlässiger.

Die unterschiedlichen Kräfte der Rechten propagieren allesamt vor allem heftige Senkungen von Steuern und Sozialausgaben. Dies geht einher mit der Behauptung, anständige und fleißig arbeitende Franzosen werde es schon nicht treffen, sondern hauptsächlich Ausländer, denen aus Sicht von weiten Teilen von LR und RN manche Sozialleistungen künftig vorenthalten werden sollen, sowie sogenannte Sozialbetrüger.

Nach Ansicht des RN ließen sich jährlich 100 Milliarden Euro einsparen, wenn man »unnormale Vergünstigungen für Ausländer« streiche und bei »Sozialbetrügern« Geld wieder hereinhole; die Pariser Abendzeitung Le Monde hat diese gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung gerade in ihrer Sonntagsausgabe auf über einer Seite zerpflückt und als politisches Phantasma entlarvt.

Rentenreform »ausgesetzt«

Die Linke, in deren Reihen vor allem zwischen dem sozialdemokratischen PS und der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI) seit einem Jahr tiefe Gräben bestehen, fordert dagegen prinzipiell eher höhere Steuern auf Großvermögen, bei Privatleuten wie bei Unternehmen. Dabei ist Lecornu dem PS ein Stück entgegengekommen, indem er im Grundsatz akzeptierte, eine Sondersteuer auf in Holdings von Kapitalgesellschaften geparkte Vermögen einzuführen.

Ein weiteres, zunächst noch vages Zugeständnis Lecornus an den PS besteht darin, dass die im April 2023 verabschiedete, höchst umstrittene und von Massenprotesten begleitete Rentenreform »ausgesetzt« werden soll. Das bedeutet, dass die bereits erfolgte Anhebung des gesetzlichen Mindest­alters für den Renteneintritt beibehalten, aber zunächst nicht, wie vorgesehen, schrittweise weiter erhöht werden soll – dieses Mindestalter garantiert keine Rente zum vollen Satz, dafür sind entweder 43 Beitragsjahre oder ein ­Alter von 67 Jahren erforderlich. Vor der Rentenreform lag dieses Mindestalter bei 62, derzeit sind 62 Jahre und neun Monate erforderlich.

Die Linke, in deren Reihen vor allem zwischen dem sozialdemokratischen PS und der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI) seit einem Jahr tiefe Gräben bestehen, fordert eher höhere Steuern auf Großvermögen, bei Privatleuten wie bei Unternehmen.

Bis auf drei ließen sich alle PS-Ab­geordneten darauf ein und verzichteten vorige Woche darauf, der Regierung unter Lecornu das Misstrauen auszusprechen. Deswegen scheiterte das Misstrauensvotum von LFI gegen die neue Regierung, das die anderen linken Parteien und auch der RN unterstützt hatten, mit 271 Stimmen relativ knapp – erforderlich gewesen wären 289. Ein vom RN eingebrachter weiterer Misstrauensantrag scheiterte deutlicher, ihn wollte keine der linken Parteien unterstützen.

LFI kritisierte dieses Verhalten des PS heftig und monierte, nicht nur sei eine Rückkehr zu einem Mindestalter von 62 dadurch ausgeschlossen, sondern es bestehe nun auch die Gefahr, dass ein Teil der Opposition dem Entwurf für den Sozialhaushalt zustimmen werde. Das Einfrieren der Rentenreform soll darin durch einen Passus geregelt werden. Doch der Entwurf für den Sozialhaushalt von 2027 enthält auch einen Katalog sozialer Grausamkeiten wie beispielsweise erschwerte Krankschreibungen.