Eine neue Hinrichtungswelle
Allein in den ersten neun Tagen dieses Monats ließ das iranische Regime 72 Menschen hinrichten. Amnesty International verzeichnet für das Jahr 2025 bereits über 1.000 Exekutionen im Iran, durchschnittlich vier pro Tag. Eine solche Masse an Hinrichtungen ist selbst für die Verhältnisse der Islamischen Republik in den vergangenen 15 Jahren beispiellos.
Nach dem Aufstand »Frau, Leben, Freiheit« im Jahr 2022 wurde die Todesstrafe als Mittel der politischen Repression sprunghaft häufiger verhängt und vollstreckt als zuvor. Viele der Hingerichteten waren wegen Drogen- oder Morddelikten verurteilt, aber auch wegen Vorwürfen wie Spionage, »Feindschaft gegen Gott« oder »Korruption auf Erden«. Nach Angaben der UN-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtssituation im Iran, Mai Satō, wurden allein in diesem Jahr elf Menschen wegen angeblicher Spionage hingerichtet, neun davon nach israelischen Luftangriffen auf den Iran im Juni.
In diesem Jahr wurden im Iran elf Menschen wegen angeblicher Spionage hingerichtet, neun davon nach den israelischen Luftangriffen im Juni.
Die Repression beschränkt sich nicht auf iranische Staatsbürger. Ausländische Staatsangehörige und Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft als Geiseln zu nehmen, ist zu einem fest etablierten Instrument der Außenpolitik des Regimes geworden. Dutzende Doppelstaatsbürger und Ausländer sind derzeit im Iran inhaftiert, ohne ordentliches Gerichtsverfahren und aufgrund angeblicher Vergehen gegen die nationale Sicherheit.
Von Verurteilungen erfährt man nur aus staatlichen Pressemitteilungen. So auch im Fall zweier französischer Staatsbürger, die seit dem 7. Mai 2022 im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert sind und nun zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt wurden. Cécile Kohler, eine Französischlehrerin und Gewerkschaftlerin, und ihr Partner Jacques Paris waren als Touristen im Iran. Die iranische Justiz teilte mit, dass einer der beiden – der Name wurde nicht genannt – wegen Spionage für Frankreich zu sechs Jahren, wegen Verschwörung gegen die nationale Sicherheit zu fünf Jahren Haft und wegen Zusammenarbeit mit Israel zu 20 Jahren Exil verurteilt worden sei. Unklar ist, was »Exil« genau bedeutet.
Der andere erhielt zehn Jahre wegen Spionage, fünf Jahre wegen Verschwörung und 17 Jahre Haft wegen Zusammenarbeit mit Israel. Vollstreckt wird jeweils nur das schwerste Urteil. Die französische Regierung bezeichnete diese Urteile als »willkürlich« und »völlig unbegründet« und forderte die sofortige Freilassung der Verurteilten. Präsident Emmanuel Macron, der sich im September am Rande der UN-Generalversammlung mit seinem iranischen Amtskollegen Masoud Pezeshkian traf, sagte, er habe während dieses Treffens die Forderung nach Freilassung der inhaftierten französischen Staatsbürger bekräftigt.
Strategische und symbolische Niederlage für das islamische Regime
Offiziell bestreiten iranische Diplomaten meist, dass es sich bei den Inhaftierten um Staatsgeiseln handelt, und betonen, dass ihnen die Hände gebunden seien, weil die Verhaftungen in die Zuständigkeit der Justiz fielen. Mohsen Rezai hingegen, ein ehemaliger Kommandeur der Revolutionsgarde und eine der führenden Persönlichkeiten des Regimes, sagte vor einigen Jahren live im staatlichen Fernsehen: »Wenn die Amerikaner vorhaben, den Iran anzugreifen, sollten wir in der ersten Woche 1.000 von ihnen festnehmen und sie zwingen, für jeden eine Milliarde Dollar zu zahlen. Das würde vielleicht viele unserer wirtschaftlichen Probleme lösen.«
Die derzeitige Hinrichtungswelle im Iran kann nicht losgelöst von den jüngsten innen- und außenpolitischen Entwicklungen betrachtet werden. Im Sommer 2025 hatte Israel iranische Atomanlagen und Kommandozentralen des Teheraner Regimes angegriffen; vorausgegangen waren iranische Drohnen- und Raketenangriffe auf israelisches Territorium im Jahr 2024. Das Ende dieses zwölftägigen Konflikts im Juni bedeutete eine strategische und symbolische Niederlage für das islamische Regime.
Obwohl es nach dem Krieg zu keinen größeren Straßenprotesten im Land kam, zog die Angst der Führung vor einem Erstarken der innenpolitischer Gegner viele Verhaftungen und Hinrichtungen unter dem Vorwurf der Spionage für Israel nach sich. Unter den Inhaftierten befanden sich afghanische Staatsangehörige und iranische Bürger, die in den sozialen Medien ihre Unterstützung für Israel bekundet hatten. Genau das hatten Menschenrechtsbeobachter mit Blick auf den Konflikt befürchtet: dass das international gedemütigte Regime seine offenbar gewordene Schwäche durch verstärkte Repression im Inland kompensieren werde.