Mit Rechten ringen
Kurz vor der um fast drei Jahre vorgezogenen Neuwahl der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments am 29. Oktober scheint die extrem rechte Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders erneut auf einen Sieg zuzusteuern. In Umfragen liegt die Partei derzeit bei knapp 22 Prozent, demnach könnte sie mit 35 der 150 Sitze rechnen. Wilders hatte seinen Wahlkampf wegen einer Terrordrohung gegen ihn und Belgiens Ministerpräsidenten Bart De Wever vor zwei Wochen kurz unterbrochen. Nach der Festnahme zweier mutmaßlicher Islamisten in Belgien setzte Wilders ihn in der vergangenen Woche fort. Er steht seit über 20 Jahren unter ständigem Personenschutz.
Dass Wilders an der Regierungsbildung mitwirken wird, gilt trotzdem als unwahrscheinlich. Die großen Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit der PVV aus. Sie begründen dies mit dem Bruch der rechten Regierung im Juni nach nur einem Jahr im Amt, der zu den Neuwahlen führte. Die Regierungskoalition bestand aus der PVV, der rechtsliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), dem sozialkonservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC) sowie der nationalistischen Bauern-Bürger-Bewegung (BBB). Zu ihrem Scheitern führte ein Zehnpunkteplan der PVV zur Migrationspolitik, der die Forderung enthielt, die Grenzen für Asylbewerber:innen zu schließen, was die Koalitionspartner als rechtswidrig zurückwiesen. Daraufhin entzog Wilders dem Kabinett unter dem parteilosen Dick Schoof die Unterstützung, die Minister der PVV traten zurück.
Die großen Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit Wilders PVV aus. Sie begründen dies mit dem Bruch der rechten Regierung im Juni nach nur einem Jahr im Amt, der zu den Neuwahlen führte.
Seit dem Koalitionsbruch verliert insbesondere die VVD deutlich an Zuspruch. Die Stammklientel der Partei ist meist wohlhabend, fordert Steuersenkungen und geschlossene Grenzen, wie Untersuchungen der Politologen Simon Otjes und Matthijs Rooduijn zeigen. Der Kurs der VVD unter der Parteivorsitzenden Dilan Yeşilgöz missfällt auch so manchen im bürgerlichen Milieu. Die Fraktion der Partei in der Zweiten Kammer stimmte für einen Antrag von PVV, BBB sowie dem extrem rechten Forum voor Democratie (FvD), mit dem die Regierung aufgefordert wurde, die Antifa als terroristische Organisation einzustufen. Rechtsexpert:innen werfen der VVD zudem vor, ihre Politik in Schoofs Kabinett verstoße gegen rechtsstaatliche Prinzipien.
So befürwortete die Parteiführung die Möglichkeit, in Krisen einen Asylstopp zu verhängen – was eine Untersuchung der niederländischen Anwaltskammer als rechtswidrig einstufte. Yeşilgöz zeigte sich unbeeindruckt von der Kritik und warf der Anwaltskammer vor, politische Interessen zu verfolgen. »Ich bin davon überzeugt, dass sich unsere Asyl- und Migrationsforderungen im Rahmen des europäischen Rechts bewegen«, unterstrich sie die Position der VVD.
Von Yeşilgöz’ Kurs profitiert indessen offenbar die christdemokratische CDA mit ihrem Spitzenkandidaten Henri Bontenbal. Aufgrund seiner klaren Abgrenzung von der PVV wird der Politiker als Erneuerer des niederländischen Konservatismus gefeiert. »Botschaft, Botschafter und politischer Stil passen zueinander«, sagte er zu seinem Umfragehoch. Die CDA, die bei der Wahl im November 2023 nur 3,3 Prozent der Stimmen erhalten hatte, liegt in den Umfragen nun bei fast 15 Prozent.
Rechtsverschiebung auch bei den Linken erkennbar
Damit liegt sie auf Platz zwei, gefolgt von Groenlinks-PvdA, dem Bündnis der Grünen und Sozialdemokraten, die auch schon 2023 schon mit einer gemeinsamen Liste antraten. Im Sommer nun beschlossen die beiden Parteien, sich zu vereinigen; das soll kommendes Jahr erfolgen. Ihr Spitzenkandidat, der ehemalige EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, spricht euphorisch von einer »neuen Volkspartei« mit nach eigenen Angaben rund 120.000 Mitgliedern. Das wäre ein Anstieg von mehr als 25 Prozent im Vergleich zur Mitgliederzahl beider Parteien zu Jahresbeginn.
Die Rechtsverschiebung in den Niederlanden ist auch bei den Linken erkennbar: Timmermans sprach in einem Interview mit der Tageszeitung NRC von einem Flüchtlingsproblem in den Niederlanden. Als man ihn damit konfrontierte, nahm er die Worte zwar zurück, sagte aber: »Ich finde, wir haben ein Migrationsproblem. Ich hätte vielleicht besser ein anderes Wort dafür verwenden sollen.« Die Verteilung von Geflüchteten auf die Gemeinden funktioniere nicht gut genug, zudem dauere die Rückführung von Personen ohne Bleiberecht zu lange.
»Kein Niedriglohnland mehr sein«
Um der PVV beim Thema Migration Paroli zu bieten, lenkt die Groenlinks-PvdA die Debatte weg vom Asyl und hin zu Arbeitsmigration. Im Jahr 2023 kamen fast 100.000 Arbeitsmigrant:innen, aber nur 36.000 Asylbewerber:innen in die Niederlande. Timmermans sagt, Wohnungsnot und niedrige Löhne entstünden durch eine Wirtschaft, die auf billige Arbeitskräfte baue. »Wir müssen es als Niederlande wagen, kein Niedriglohnland mehr zu sein«, unterstreicht er. Groenlinks-PvdA fordert, den Mindestlohn von 14,06 Euro auf 18 Euro zu erhöhen und Zeitarbeitsfirmen in der Fleischindustrie und der Logistik stärker zu regulieren, die migrantische Arbeiter:innen aus osteuropäischen EU-Ländern oder Drittstaaten ausbeuten.
Neben der Migrationspolitik sind auch die Wohnungsnot und die hohe Stickstoffbelastung durch die Landwirtschaft ungelöste Probleme der niederländischen Politik. Während linke Parteien an den EU-Klimazielen festhalten, spielen diese bei rechten Parteien kaum eine Rolle. Hingegen sind sich fast alle großen Parteien einig in der Absicht, die Nato-Beiträge erhöhen, was bis 2030 ein Haushaltsdefizit von über sechs Milliarden Euro zur Folge hätte. Die meisten Parteien möchten die Kosten durch Kürzungen im Gesundheitswesen gegenfinanzieren. Von den großen Parteien ist Groenlinks-PvdA die einzige, die mehr für die Pflege ausgeben will.