23.10.2025
Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen

Wenn die Nacht zum Feind wird

Krankenkassen registrieren eine Zunahme an Schlafstörungen, vor allem unter jungen Menschen. Von diesen erleben viele, dass Bildung, Fleiß und Flexibilität kein sicheres Leben garantieren. Latente Existenzangst macht sich breit.

Immer mehr Menschen in Deutschland schlafen schlecht – nicht weil sie zu spät ins Bett gehen, sondern weil sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Gedanken kreisen, Sorgen nagen, Zukunftsängste lähmen. Neue Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) machen deutlich: Die Zahl der psychisch bedingten Schlafstörungen ist in den Jahren von 2014 bis 2024 um 73,5 Prozent gestiegen; allein der Zuwachs von 2023 auf 2024 lag bei neun Prozent.

Was treibt diese Entwicklung an? Die KKH spricht von einem »Dauerkrisenmodus«: Kriege, Klimakrise, die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen, Inflation, Wohnungsnot und überforderte Gesundheitssysteme – es ist ein ganzer Strauß gesellschaftlicher Unsicherheiten, der Menschen den Schlaf raubt.

Die Zahl der psychisch bedingten Schlafstörungen ist nach Angaben der Kaufmännischen Krankenkasse in den Jahren von 2014 bis 2024 um 73,5 Prozent gestiegen.

In einer Online-Umfrage unter 500 gesetzlich und privat Versicherten im Alter von 18 bis 70 Jahren gaben 57 Prozent der Befragten an, an mindestens drei Tagen pro Woche Schlafprobleme zu haben. Die meisten Betroffenen (62 Prozent) werden demnach von ihren Problemen und Sorgen wachgehalten, gut die Hälfte fühlt sich deshalb tagsüber weniger leistungsfähig und ein Drittel ist häufig gereizt. Besonders verbreitet sind Schlafprobleme bei jüngeren Menschen: Die KKH stellte im Erfassungszeitraum den deutlichsten Anstieg bei den 25- bis 29jährigen fest (113 Prozent), dicht gefolgt von den 20- bis 24jährigen (94,3 Prozent).

Andere Krankenkassen melden Ähnliches. Die Barmer Ersatzkasse berichtete im Oktober 2024, rund 7,3 Prozent ihrer Versicherten hätten eine entsprechende Diagnose; 2013 waren es noch 5,5 Prozent. Überträgt man die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung, dürfte die Zahl der Betroffenen von rund 4,5 Millionen auf 6,2 Millionen Menschen gestiegen sein.

Ein Grund für nächtliches Grübeln sind wohl die steigenden Wohnkosten. Einer Auswertung des Bundesbauministeriums vom Sommer zufolge sind die Angebotsmieten in den 14 größten kreisfreien Städten seit 2015 durchschnittlich um fast 50 Prozent gestiegen. Im gesamten Bundesgebiet sind sie dem Forschungsinstitut Empirica zufolge allein seit Anfang 2022 um 18,3 Prozent gestiegen. Am stärksten stiegen sie demnach in Berlin, und zwar um 42 Prozent. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lebten 2024 zwölf Prozent der Bevölkerung in Haushalten, die durch Wohnkosten überbelastet waren. Das heißt, sie mussten mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen ausgeben. Im EU-Durchschnitt gilt das für 8,2 Prozent der Haushalte.

Stress- und Erschöpfungserscheinungen

Besonders hart trifft es Studierende und Auszubildende. Knapp zwei Drittel der Studierendenhaushalte gelten als überbelastet durch Wohnkosten, wie das Statistische Bundesamt Ende August mitteilte. Die Hälfte hat demnach weniger als 930 Euro im Monat zur Verfügung, die Hälfte der Auszubildenden weniger als 1.278 Euro; Student:in­nen geben im Durchschnitt 53 Prozent davon für Wohnkosten aus, Auszubildende 42 Prozent. In vielen Fällen führt das dazu, dass junge Menschen neben dem Vollzeitstudium oder der Ausbildung zusätzlich arbeiten müssen – entsprechend vermehren sich Stress- und Erschöpfungserscheinungen.

Gleichzeitig stagnieren oder sinken die verfügbaren Einkommen – besonders stark in den Jahren, in denen die Inflation die Lohnentwicklung deutlich überstieg. So verzeichnete Deutschland im Jahr 2021 einen seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Rückgang: Die nominalen Gehälter sanken um 6,2 Prozent, während die Inflation um 3,1 Prozent stieg – ein Reallohnverlust von 9,3 Prozent, verursacht durch Kurzarbeit in der Covid-19-Pandemie und verzögerte Tarifabschlüsse.

Auch in den Folgejahren setzte sich die Belastung fort. 2022 stiegen die Nominallöhne zwar leicht um 2,2 Prozent, jedoch bei einer Inflation von 6,9 Prozent – ein weiterer deutlicher Reallohnverlust. 2023 betrug der Lohnzuwachs nur ein Prozent bei einer noch immer hohen Inflationsrate von 5,9 Prozent. Erst vergangenes Jahr zeichnete sich eine leichte Erholung ab: die Löhne stiegen um 2,5 Prozent bei einer Inflation von 2,3 Prozent.

Reallohnverluste haben junge Menschen hart getroffen

Das hilft Geringverdienern aber längst nicht aus der Misere. Die Reallohnverluste der Vorjahre haben gerade junge Menschen, Berufseinsteiger:in­nen und Student:innen hart getroffen – zumal in Zeiten stark steigender Lebenshaltungskosten.

Wer wenig verdient, hohe Mieten zahlt und zusätzlich finanzielle Verantwortung für Ausbildung oder Studium trägt, steht grundsätzlich unter starkem Druck. Die psychische Belastung, die diese wirtschaftliche Unsicherheit mit sich bringt, ist enorm. Viele junge Erwachsene erleben, dass Bildung, Fleiß und Flexibilität nicht automatisch in ein sicheres Leben führen. Diese Verunsicherung schlägt sich in Existenzangst, Schlafstörungen, Depressionen und Burn-out nieder.

Viele junge Erwachsene erleben, dass Bildung, Fleiß und Flexibilität nicht automatisch in ein sicheres Leben führen. Diese Verunsicherung schlägt sich in Existenzangst, Schlafstörungen, Depressionen und Burn-out nieder.

Da wundert es nicht, dass in einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker-Krankenkasse (TK) aus dem Vorjahr knapp 64  Prozent der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren angaben, sich seelisch belastet zu fühlen. »Die Befragung zeigt eine junge Generation, die deutlich verunsichert ist«, so Jens Baas, der Vorstandsvorsitzende der TK.

Diese Verunsicherung und Dauerbelastung prägen den Alltag junger Menschen immer stärker – und machen sich abends im Bett bemerkbar: Grübeln, Ängste, Schlafstörungen. Ein Zustand, der nicht nur akut belastet, sondern auch auf lange Sicht der Gesundheit schadet.

Hinzu kommt: Viele junge Menschen arbeiten oft in prekären Verhältnissen oder befinden sich in Ausbildung, haben befristete Verträge oder sind auf Minijobs angewiesen – was die psychische Belastungen verstärkt.

Wer jungen Menschen besseren Schlaf ermöglichen will, muss die Ursachen angehen: Es braucht bezahlbaren Wohnraum, faire Löhne und eine psychische Gesundheitsversorgung ohne Hürden.