Frösche und »linker Terror«
Alle Augen sind in den Vereinigten Staaten auf die Westküstenstadt Portland im Bundesstaat Oregon gerichtet. Die Stadt hat zwar nur etwa eine halbe Million Einwohner, doch gilt sie Trump-Anhängern landesweit als Hort der »wokeness« und gewalttätiger linker Militanz. Seit Wochen verbreitet US-Präsident Donald Trump Unwahrheiten über eine kleine Protestaktion vor dem örtlichen Hauptquartier von ICE (Immigration and Customs Enforcement, die für die Massenabschiebung von Migranten zuständige Bundesbehörde).
Trump versucht seit Wochen vergeblich, die Nationalgarde in Portland einrücken zu lassen, wie er es in anderen von Demokraten regierten Städten wie Chicago und Los Angeles bereits getan hat. Doch immer wieder hielten ihn die Gerichte auf. Mitte Oktober entschied erneut ein Bundesgericht in Oregon, dass der Präsident nicht das Recht habe, das Militär nach Portland zu entsenden, denn es gebe keine gewalttätigen Proteste, die das notwendig machten.
Trumps Behauptung, die Stadt sei wie von einem Krieg verwüstet, sei »einfach losgelöst von den Tatsachen«, so die Richterin Karin Immergut in der Urteilsbegründung. Am Montag gab jedoch ein Berufungsgericht der Bundesregierung recht und hob ein Verbot auf, die Nationalgarde nach Portland zu entsenden; ein weiteres gerichtliches Verbot, Truppen nach Oregon zu senden, ist allerdings noch in Kraft.
Eine Pressemitteilung des Weißen Hauses kündigt an, den »gewalttätigen radikalen linken Terrorismus« in Portland zu »zerschlagen«.
Tatsächlich ist Portland seit den neunziger Jahren ein Zentrum der alternativen Kultur und des linken Radikalismus. Auch die sogenannte woke culture der zehner und frühen zwanziger Jahre hat die Stadt stark geprägt, was in der Fernsehserie »Portlandia« parodiert wurde. In der ersten Amtszeit Trumps gab es zahlreiche Zusammenstöße zwischen Linken und rechtsextremen Demonstranten, über die Medien landesweit berichteten.
Konservative und rechtsextreme Blogger und Streamer begannen, regelmäßig über »die Antifa« in Portland zu berichten und das Bild einer terroristischen Bewegung zu zeichnen. Die entsprechenden Bilder entstanden oft bei eigens zu diesem Zweck in Portland organisierten rechtsextremen Demonstrationen, beispielsweise dem Aufmarsch »End Domestic Terrorism« (Beendet den inländischen Terrorismus) im Jahr 2019, den der Männerbund Proud Boys mitorganisiert hatte.
Während der »Black Lives Matter«-Proteste 2020 gab es in Portland etwa 100 Tage lang anhaltende Proteste, erneut gingen Bilder von vermummten Demonstranten, Feuerwerk, Brandstiftung und Tränengas durch die Medien. In den vergangenen Jahren wurde Portland auch als eine Art sicherer Hafen für Transgender-Personen bekannt, die in der Stadt wahrnehmbar präsent sind, da immer mehr von ihnen aus anderen Landesteilen dorthin ziehen, um Diskriminierung und Anfeindungen zu entkommen.
Besessen von Portland
Das ICE-Gebäude befindet sich am äußersten Rand des Stadtzentrums, an einer Autobahn gelegen – ein schwer erreichbarer Ort, an den sich nur wenige Portlander je verirrt haben. Seit Monaten campieren dort linke Demonstranten auf dem Bürgersteig und an den Wochenenden kam es manchmal zu fast schon ritualisierten Konflikten zwischen einigen Dutzend Personen und den Polizeibeamten, die das Gebäude bewachen. Der Protest war das Projekt einiger Militanter und fand in Portland trotz ihrer Beharrlichkeit außerhalb ihrer Kreise kaum Beachtung.
Das änderte sich, als Präsident Trump begann, darüber zu sprechen. Er und seine Anhänger sind seit Jahren wie besessen von der Stadt. Die Angriffe seiner Regierung auf die »Antifa-Bewegung« – in Wahrheit ein Codewort für die Linke insgesamt – nach dem Mordanschlag auf Charlie Kirk, die darin mündeten, »die Antifa« per Dekret zur »terroristischen Vereinigung« zu erklären, zielten nicht zuletzt auf Portland ab. Seit Wochen verbreiten Trump und seine Nachbeter Falschinformationen über die dortigen Geschehnisse, während die Trump nahestehenden Medien unermüdlich Aufnahmen von den militanten Protesten aus dem Jahr 2020 wiederholen.
»Dieser Ort ist ein Alptraum«, sagte Trump über die Stadt. Die Stadt brenne nieder, sie sei »einer der schlimmsten Orte. Es ist brutal.« Sie werde von »Chaos, Tod und Zerstörung« überwältigt. Eine Pressemitteilung des Weißen Hauses kündigte an, den »gewalttätigen radikalen linken Terrorismus« in der Stadt zu »zerschlagen«. Trumps Pressesprecherin, Karoline Leavitt, sagte, dass Truppen notwendig seien, um »die Schreckensherrschaft der radikalen Linken in Portland ein für alle Mal zu beenden«. Generalstaatsanwältin Pam Bondi behauptete: »Wir erleben in diesem Land einen schrecklichen Zyklus politischer Gewalt … Nacht für Nacht richtet die Antifa Verwüstung auf den Straßen unserer Städte an.«
Trumpistische Behauptungen völlig abwegig
Wenn man allerdings den Blick über den abgelegenen Block vor dem ICE-Hauptquartier hinaus weitet, erweisen sich solche Behauptungen als völlig abwegig. Das Leben geht in den meist ruhigen, von Bäumen gesäumten Straßen der Stadt seinen üblichen Gang. Trump versuchte dennoch, das Kommando über die Nationalgarde von Oregon zu übernehmen, um sie in die Stadt zu schicken; angeblich um das ICE-Hauptquartier zu schützen, doch hätte es eher den Effekt, mit der Präsenz von Truppen die Bewohner einzuschüchtern.
Jeder US-Bundesstaat verfügt über eine eigene Nationalgarde. Es handelt sich dabei um Reservisten, die meist bei Naturkatastrophen zum Einsatz kommen. Insbesondere seit dem Massaker an der Kent-State-Universität in Ohio im Jahr 1970, bei dem Nationalgardisten vier unbewaffnete Studenten töteten, die gegen den Vietnam-Krieg protestierten, ist es ungewöhnlich und gilt als politisch heikel, sie bei Demonstrationen einzusetzen.
Die landesweite Aufmerksamkeit hat die Proteste in Portland unterdessen anwachsen lassen, und mehr örtliche Polizei und (nichtmilitärische) Bundesbeamte sind anwesend. Auch konservative und rechtsextreme Persönlichkeiten, Medienvertreter und Influencer beobachten die Proteste.
Gewalttätige Rechtsextreme provozieren
Als Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noem Anfang Oktober die ICE-Anlage besichtigte, brachte sie Influencer mit, die Trump unterstützen, beispielsweise den Youtuber Benny Johnson; lokalen Medien hingegen verwehrte sie den Zugang. Auch bekannte gewalttätige Rechtsextreme tauchten bei den Protesten auf und versuchten, Kämpfe zu provozieren.
Die politische Führung der Stadt und des Bundesstaats haben Trumps Drohungen verurteilt. »Trump betreibt die autoritäre Übernahme von Portland in der Hoffnung, einen Konflikt zu provozieren«, sagte der demokratische US-Senator von Oregon, Ron Wyden. Die ebenfalls zu den Demokraten gehörende Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, Maxine Dexter, sagte, es handle sich um »einen ungeheuerlichen Machtmissbrauch und einen Verrat an besonders grundlegenden amerikanischen Werten«.
Bürgermeister Keith Wilson sagte: »Die Anzahl der erforderlichen Truppen ist null, in Portland und jeder anderen amerikanischen Stadt.« Und der Stadtrat von Portland verabschiedete eine Resolution, die die örtliche Polizei und Regierung anhält, nicht nur die Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden zu verweigern, sondern auch zu versuchen, das Vorgehen des Bundes in Portland zu überwachen und zu begrenzen sowie Einwanderer vor Festnahmen durch ICE zu schützen. Selbst Polizeipräsident Bob Day kritisierte Trumps Äußerungen über Portland und sprach sich gegen eine Entsendung der Nationalgarde aus; manche rechtspopulistische Medien bezeichnen ihn ebenfalls als »Antifa«. Es versteht sich von selbst, dass die meisten Einwohner Trumps Pläne ablehnen.
Nachdem Polizisten einen Mann in einem Froschkostüm durch die Atemöffnung seines Kostüms mit Pfefferspray besprüht hatten, zogen auch andere Demonstranten aus Solidarität Frosch- oder andere Kostüme an.
Inzwischen hat sich ein ungewöhnliches Symbol der Proteste etabliert: Frösche. Nachdem Polizisten einen Mann in einem Froschkostüm durch die Atemöffnung seines Kostüms mit Pfefferspray besprüht hatten, zogen auch andere Demonstranten aus Solidarität Frosch- oder andere Kostüme an. Jetzt nehmen an den Protesten Menschen teil, die als Zebras, Frösche, Einhörner, Hühner und Clowns verkleidet sind. Diese Taktik, um dem in manchen Medien gezeichneten Bild der Proteste als aggressiv und gewalttätig entgegenzuwirken, wird mittlerweile in anderen Städten kopiert.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie lange die verschiedenen gerichtlichen Anordnungen Bestand haben werden, die Trump die Entsendung von Truppen verbieten. Doch Trump erwägt bereits ganz öffentlich, den Insurrection Act (Aufstandsgesetz) anzuwenden. Mit diesem Gesetz, das aus den frühen Jahren der Republik stammt, kann er erklären, dass sich das Land im Zustand der bewaffneten Rebellion befinde, was den Präsidenten ermächtigt, das reguläre Militär, nicht nur die Reservisten der Nationalgarde, im Inland einzusetzen. Dagegen könnten die kommunalen und bundesstaatlichen Organe nichts unternehmen. Es wäre ein dramatischer Schritt auf dem Weg zu einer Regierung, in der die Macht fast ausschließlich beim Präsidenten konzentriert ist.