Den Taliban ausliefern
Den Regierungen der Bundesländer kann es gar nicht schnell genug gehen. Auf ihrer Konferenz am Wochenende in Mainz wandten sich die Ministerpräsidenten an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Sie baten ihn und die gesamte Bundesregierung, »weitere und regelmäßige Rückführungsmaßnahmen nach Afghanistan und Syrien – beginnend mit Straftätern und Gefährdern« zu ermöglichen.
Alexander Schweitzer (SPD), der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, sagte ausdrücklich, er wolle es nicht bei Abschiebungen von Straftätern bewenden lassen. Die Regierung dürfte sich da nicht lange bitten lassen. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hieß es bereits: »Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern.«
Ende 2024 lebten rund 348.000 afghanische Schutzsuchende im Land. Nur rund 11.500 waren im Juli 2025 ausreisepflichtig.
Am 20. Oktober hatte Dobrindt verkündet, dass die Verhandlungen zwischen Deutschland und dem islamistischen Taliban-Regime über Abschiebungen nach Afghanistan kurz vor dem Abschluss stünden. Er gehe davon aus, »dass diese Möglichkeiten der Abschiebungen nach Afghanistan regelhaft zukünftig stattfinden werden«. Die Gespräche für die Vereinbarung seien »sehr weit«, man spreche nicht nur über Charterflüge, sondern auch über Abschiebungen mit Linienflügen.
Als im August 2021 die Taliban die Herrschaft in dem Land übernahmen, setzte Deutschland Abschiebungen dorthin aus – bis zum August 2024. Da organisierte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unter Vermittlung Katars den ersten Abschiebeflug nach Afghanistan mit 28 Menschen aus Leipzig. Am 18. Juni 2025 wurden dann zum ersten Mal unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) insgesamt 81 Afghanen nach Kabul abgeschoben. Afghan:innen sind die zweitgrößte Gruppe von Geflüchteten in Deutschland. Ende 2024 lebten rund 348.000 afghanische Schutzsuchende im Land. Nur rund 11.500 waren im Juli 2025 unmittelbar ausreisepflichtig.
Die Taliban stehen bis heute auf internationalen Terrorlisten, nicht nur weil sie Verantwortliche für die Anschläge vom 11. September 2001 beherbergt hatten. Die Menschenrechtslage ist unter ihrer Herrschaft in jeder Hinsicht katastrophal, vor allem für Frauen. Im Juli hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehle gegen Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada und den Obersten Richter und Justizminister des Regimes, Abdul Hakim Haqqani, erlassen. Es lägen »hinreichende Vedachtsmomente« vor, dass beide persönlich für Verbrechen gegen die Menschheit in Afghanistan verantwortlich seien.
Deutschland steht nicht allein
Doch seit Juli dürfen Vertreter ihres Regimes in Deutschland ganz offiziell als Gesandte arbeiten. So gibt es nun eine Taliban-Vertretung in Berlin, die den deutschen Behörden bei künftigen Abschiebungen zuarbeiten soll.
Deutschland steht mit dieser Politik keineswegs allein. Mitte Oktober hatten 20 EU-Staaten von der EU-Kommission mehr Möglichkeiten gefordert, Afghan:innen abzuschieben. Die niederländische Regierung hatte den Brief an EU-Migrationskommissar Magnus Brunner veröffentlicht. Auch Dobrindt hatte unterschrieben. Die Staaten verwiesen darauf, dass 2024 EU-weit 22.870 Afghanen eine Ausreiseaufforderung erhalten hatten, aber nur 435 nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Die Rückkehr nach Afghanistan müsse in »gemeinsamer Verantwortung« auf EU-Ebene angegangen werden. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwies darauf, bereits im Februar 2025 eine »technische Mission« nach Afghanistan entsandt zu haben, um mögliche Abschiebungen in das Land zu prüfen.
Derweil hat Österreich im Oktober erstmals seit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 nach Afghanistan abgeschoben. Ein 31jähriger Mann, der nach Angaben des österreichischen Innenministeriums zuvor vier Jahre wegen schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung im Gefängnis gesessen hatte, war demnach über Istanbul nach Kabul überstellt worden. Die Anwälte des Manns hatten erfolglos versucht, die Ausweisung wegen »schwerer psychologischer Beeinträchtigungen« zu verhindern. Weitere Abschiebungen von Straftätern seien in Vorbereitung, so das Innenministerium in Wien.
Sämtliche humanitären Aufnahmeprogramme für Geflüchtete eingestellt
So sehr Deutschland bemüht ist, alle Afghan:innen, die keinen Aufenthaltstitel oder zumindest eine Duldung besitzen, abzuschieben, so rührig ist das Land derzeit dabei, jene, denen es selbst zu Zeiten der Machtübernahme der Taliban einen Schutzanspruch zugestanden hatte, trotzdem nicht ins Land zu lassen.
Ende Juli stellte das deutsche Bundesinnenministerium sämtliche humanitären Aufnahmeprogramme für Geflüchtete ein – darunter auch für Afghan:innen. Bei einigen ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr, die davon betroffen waren, stellte das Auswärtige Amt nachträglich die Rechtsverbindlichkeit der Aufnahmezusagen in Frage. Das Innenministerium behauptete, es seien teils weitere Sicherheitsüberprüfungen nötig.
Erst nachdem ein Gericht der Bundesregierung in zwei Fällen Zwangsgelder von 10.000 Euro angedroht hatte, landeten Anfang September 2025 zehn afghanische Familien aus dem pakistanischen Islamabad in Hannover. Die 47 Menschen gehören zu den 2.300 Afghan:innen – darunter etwa 1.700 Frauen und Kinder –, denen Deutschland die Aufnahme zugesichert hatte, die aber seit Jahren auf eine Möglichkeit zur Ausreise warteten.
Für die in Pakistan Wartenden verschärft sich die Lage indes immer mehr. Das Land hatte im Oktober 2023 begonnen, in den Taliban-Staat abzuschieben. Bis 2025 wurden rund 800.000 Afghan:innen zwangsweise ins Nachbarland zurückgebracht. Bei einer Abschiebung am 13. August waren auch 34 Afghan:innen mit deutscher Aufnahmezusage darunter. In den Wochen zuvor waren über 400 Afghan:innen mit deutscher Aufnahmezusage in Pakistan festgenommen worden.
Für die in Pakistan Wartenden verschärft sich die Lage immer mehr. Das Land hatte im Oktober 2023 begonnen, in den Taliban-Staat abzuschieben.
Die deutsche Organisation Kabul-Luftbrücke, die sich in Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban gegründet hatte und die gefährdete Afghan:innen bei der Ausreise unterstützt, berichtete, dass pakistanische Ordnungskräfte Ende August sogar Unterkünfte der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Islamabad durchsucht hätten. Dort waren afghanische Schutzsuchende untergebracht, die auf ihre Ausreise nach Deutschland warteten.
»Uns liegen Dutzende Berichte von vollzogenen Abschiebungen nach Afghanistan vor. Ständig erreichen uns neue Hilferufe«, so die Organisation. Die pakistanischen Sicherheitskräfte wendeten teilweise Gewalt an, auch gegen Frauen und Mädchen. »Uns liegen zudem Berichte vor, in denen Familien auseinandergerissen wurden.« So schoben die pakistanischen Behörden zwei Mädchen im Alter von 17 beziehungsweise 18 Jahren ohne ihre Eltern nach Afghanistan ab. Die Familie verlor daraufhin den Kontakt zu den beiden.