Alte Freunde, neue Feinde
Zehn Tage lang wurde geschossen. Es begann am 9. Oktober mit pakistanischen Luftangriffen in Afghanistan, darauf folgten in der vergangenen Woche schwere Zusammenstöße zwischen der pakistanischen Armee und den Taliban sowie verschiedenen bewaffneten Gruppen an der umstrittenen 2.600 Kilometer langen afghanisch-pakistanischen Grenze.
Die seit langem wachsenden Spannungen zwischen beiden Ländern haben sich dadurch gefährlich verschärft. Dem sogenannten Islamischen Emirat Afghanistan wirft Pakistan vor, Terrorgruppen Unterschlupf zu gewähren, allen voran den 2007 gegründeten pakistanischen Taliban (Tehreek-i-Taliban Pakistan, TTP). Diese verübten in Pakistan zahlreiche Terroranschläge, beispielsweise Anfang Oktober ein Selbstmordattentat auf eine Polizeischule mit 23 Toten.
Von Katar und der Türkei organisierte Verhandlungen in Doha führten am vorvergangenen Sonntag zu einem Waffenstillstand. Eine weitere Gesprächsrunde in Istanbul am Samstag endete ohne Ergebnisse; kurz darauf kam es erneut zu Kämpfen an der pakistanisch-afghanischen Grenze mit laut pakistanischer Armee insgesamt 30 Toten. Die TTP nehmen nicht an diesen Gesprächen teil und werden von den in Afghanistan herrschenden Taliban als innenpolitische Angelegenheit Pakistans bezeichnet.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul wirft die pakistanische Regierung diesen Undankbarkeit, Illoyalität und die Unterstützung der pakistanischen Taliban vor.
Seit dem 9. Oktober flog Pakistans Luftwaffe Angriffe mit F-16-Kampfjets, die Raketen auf Ziele in Afghanistan abschossen; ergänzt wurde das durch Drohnenoperationen. Pakistan sprach von präzisen Luftschlägen unter anderem in den Provinzen Kandahar und Kabul, vor allem gegen militärische Posten der Taliban und Lager oder Trainingszentren der pakistanischen Taliban sowie der »Befreiungsarmee Belutschistan«, einer weiteren gegen den pakistanischen Staat kämpfenden militanten Organisation.
Ein weiteres Angriffsziel waren Stellungen der Hafiz-Gul-Bahadur-Gruppe in der afghanischen Provinz Paktika. Dabei handelt es sich um eine im pakistanischen Nordwaziristan operierende Untergruppierung der TTP, die aber mit deren Führung über Kreuz liegt, unter anderem wegen Stammesstreitigkeiten.
Es fiel auf, dass die Grenzkämpfe am ersten Tag des ersten offiziellen Besuchs des Taliban-Außenministers Amir Khan Muttaqi in Indien begannen. Muttaqi verlängerte seinen ursprünglich nur für zwei Tage geplanten Aufenthalt in Neu-Delhi kurzfristig auf knapp eine Woche.
Dutzende Kommandeure getötet
Dutzende hochrangige Kommandeure und TTP-Führer sollen bei den Luftangriffen getötet worden sein. In Afghanistan zirkulieren Bilder von Kindern, die beim Cricket getötet worden sein sollen. Der Pressesprecher des pakistanischen Militärs sprach nach Ablauf der ersten Woche von 200 getöteten Taliban-Kämpfern und 23 getöteten pakistanischen Soldaten – Angaben, die nicht unabhängig überprüft werden können.
Pakistan spricht von einem Antiterroreinsatz. Eine neue Sprachregelung in Islamabad ersetzt die Bezeichnungen »pakistanische Taliban« und »Befreiungsarmee Belutschistan« durch »Fitna al-Khawarij« und »Fitna al-Hindustan«. Unter Fitna wird eine Rebellion gegen den wahren Glauben verstanden, diese religiös abwertende Bezeichnung soll die Organisationen bei pakistanischen Muslimen diskreditieren – denn für die bewaffneten Islamisten und ihre Regierungskritik gibt es in der pakistanischen Gesellschaft durchaus Verständnis.
Eine in Pakistan populäre, aber offiziell dementierte Deutung legt nahe, Pakistans jüngste Luftangriffe gegen Afghanistan seien auf Drängen des US-Präsidenten Donald Trump erfolgt, der von den Taliban den für den strategischen Konflikt mit China bedeutenden ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt im afghanischen Bagram zurückfordert und deshalb die afghanische Führung unter Druck setzen wolle.
Kooperation zwischen Afghanistan und Indien gilt in Pakistan als Worst-Case-Szenario
Seit den frühen Neunzigern hat Pakistans militärischer Geheimdienst ISI die Taliban unterstützt, nicht zuletzt, um sich im Hinterland Pakistans ein loyales Regime zu schaffen, damit man im Konflikt mit Indien den Rücken freihat. Doch wie so oft in der Geschichte religiös aufgeladener Bündnisse mit Islamisten erwies sich auch hier die Hoffnung auf dauerhafte Verbundenheit als trügerisch. Seit der zweiten Machtübernahme der Taliban in Kabul im August 2021 kritisiert die pakistanische Regierung das Regime im Nachbarland als undankbar und illoyal und wirft den afghanischen Taliban die Unterstützung der strategisch und ideologisch verbundenen pakistanischen Taliban vor.
Diese sowie bewaffnete Separatistengruppen haben die Zahl der Terroranschläge in Pakistan im vergangenen Jahr stark in die Höhe getrieben. Allein im August 2025 gab es etwas mehr als 140 Terroranschläge. Die pakistanischen Taliban wurden im Laufe des vergangenen Jahres die weltweit am schnellsten wachsende Terrorbewegung. Der pakistanische Außenamtssprecher bezeichnete Afghanistan jüngst als »Zentrum des globalen Terrorismus«. Der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif wirft Afghanistan vor, im Bündnis mit Indien gegen Pakistan zu agieren.
Die Taliban agieren mittlerweile unabhängig von Pakistan, ihre religiösen Ziele sind nicht mehr mit den politischen Zielen der Führung in Islamabad vereinbar. Eine engere Kooperation zwischen Afghanistan und Indien gilt in Pakistan als Worst-Case-Szenario, während Indien von länger andauernden Konflikt zwischen den ehemaligen Verbündeten Pakistan und Taliban politisch zu profitieren hofft. Indien gewährte Muttaqi eine vorübergehende Aussetzung der UN-Sanktionen gegen Repräsentanten des Regimes in Kabul, um seinen Besuch zu ermöglichen. Das indische Staatslehrbuch Arthashastra formulierte bereits vor 2.000 Jahren das außenpolitische Grundprinzip: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Der pakistanische Innenminister Talal Chaudhry betont, dass die Lösung der Konflikte mit Afghanistan die vollständige Umsetzung des Doha-Abkommens vom Februar 2020 voraussetze,, das den Taliban verbietet, Terrorgruppen afghanisches Territorium zur Verfügung zu stellen. Doch solange Misstrauen, Grenzkonflikte und religiöse Affekte das Verhältnis bestimmen, bleibt eine Entspannung zwischen den Nachbarn in weiter Ferne.