30.10.2025
Auf Madagaskar hat das Militär die Macht übernommen

Vom Meuterer zum Präsidenten

Nach den sozialen Protesten auf Madagaskar hat eine militärische Übergangsregierung die Macht übernommen. Die Protestbewegung sieht das mit gemischten Gefühlen. Während die Beziehungen des Inselstaats zu Frankreich angespannt sind, deuten erste Anzeichen auf eine Annäherung der neuen Machthaber an Russland hin.

Paris. Ist die Armee nun Gehilfe, Konkurrent oder Totengräber? Diese Frage stellt sich der madagassischen Protestbewegung im Umgang mit den Offizieren, die am Nachmittag des 14. Oktober die Macht im Inselstaat übernommen hatten.

Seit dem 25. September war es zu heftigen Sozialprotesten gekommen, die größtenteils von jungen Menschen getragen wurden. Entzündet hatte sich die Revolte an ständigen Wasser- und Stromabschaltungen. Als Organisator der Proteste, die am 12. Oktober schließlich die Flucht des Präsidenten Andry Rajoelina erzwangen und in deren Verlauf 24 Menschen getötet wurden, trat das Kollektiv Generation Z in Erscheinung. Am 11. Oktober hatte sich eine Einheit der Streitkräfte, der Capsat (Armeekorps für Personal, Verwaltung und technische Dienste), auf die Seite der Protestierenden gestellt.

Die Einheit, die nicht unmittelbar in Kampfeinsätze involviert ist, hatte Polizei und Armee dazu aufgerufen, den Schießbefehl zu verweigern. Stationiert ist der Capsat in Soanierana, einer Gemeinde unweit der Hauptstadt Antananarivo. Bereits 2009 war es an einem Militärputsch beteiligt, der ebenfalls von Massenprotesten ausgelöst worden war; dieser Putsch hatte damals den jetzt geschassten Rajoelina an die Macht gebracht, die er 2014 zunächst abgab. 2018 und 2023 gewann er dann die Präsidentschaftswahlen.

Viele stehen der Machtübernahme durch die madagassische Armee skeptisch gegenüber, dennoch löste sie Jubelfeiern auf den Straßen der Hauptstadt aus.

Rajoelina wurde am 24. Oktober auf Grundlage eines Dekrets die madagassische Staatsbürgerschaft aberkannt, was ihn von zukünftigen Wahlen ausschließt. Alle von ihm gegründeten politischen Parteien wie seine eigene Partei, die sozialdemokratische TGV, und das Parteienbündnis Irmar (Wir alle zusammen mit Andry Rajoelina) sind nach dem Parteiengesetz damit illegal und können aufgelöst werden. Begründet wurde die Aberkennung der Staatsbürgerschaft des 51jährigen damit, dass er 2014 freiwillig die der früheren Kolonialmacht Frankreich erworben hatte.

Indes wurde der Oberst Michaël Randrianirina, der als Kopf der erfolgreichen Meuterei in Erscheinung getreten war, am 17. Oktober als Übergangspräsident vor dem Verfassungsgerichtshof in Antananarivo vereidigt. Er versprach eine maximal zweijährige Übergangsperiode – danach, so lautet jedenfalls die Ankündigung, soll die Macht an Zivilisten übergeben werden. Als Premierminister ernannte Randrianirina am 20. Oktober den Unternehmer und Ökonomen Herintsalama Rajaonarivelo, der zuvor die madagassische Bank BNI geleitet hatte.

Das Kollektiv, das die Proteste koordiniert hatte, ringt unterdessen um eine klare Haltung zu den Militärs, die Rajoelina stürzten. Haben sie den Protestierenden geholfen, oder aber sind sie ihnen als potentiell feindliche Rivalen zuvorgekommen? Die Forderung nach einer Machtübernahme durch die Armee war während der Proteste nicht erhoben worden, einige stehen ihr skeptisch gegenüber, gleichzeitig löste sie Jubelfeiern auf den Straßen der Hauptstadt aus.

»Wir befürchten eine Militärdiktatur«

Am Tag der Machtübernahme der Armee, am 14. Oktober, trafen sich führende Persönlichkeiten der Protestbewegung wie Aimé Nicolas Randrianaivo mit Randrianirina. Dieser versprach, sie in den gesamten Wiederaufbauprozess einzubeziehen, und nahm ihre schriftlich ausgearbeiteten Vorschläge hierfür entgegen. Zudem wollen sich junge Menschen aus der Protestbewegung aktiv in die zukünftige Politik des Landes einbringen. Andererseits gibt es Bedenken.

Randrianaivo bemängelte, dass die Forderungen der Bewegung bisher nicht ausreichend berücksichtigt würden. Ketakandriana Rafitoson, die einige der ersten Proteste mitorganisierte, sagte: »Das Wichtigste ist, zu einer echten Demokratie zurückzukehren, denn wir befürchten eine Militärdiktatur, wenn die Zivilbevölkerung nicht schnell eingebunden wird.«

Auch ist unklar, was der Militärputsch für die Beziehungen zur einstigen Kolonialmacht Frankreich bedeutet. Die Juristin Lova Rinel-Rajaoarinelina, die in der afrikanischen Dia­spora in Frankreich aktiv ist und in Madagaskar wichtige Verwaltungsposten bekleidet hatte, veröffentlichte vorige Woche einen Artikel in der französischen konservativen Tageszeitung Le Figaro unter der Überschrift: »Schluss mit der Romantik der Putschisten«. In dem Beitrag warnt sie davor, sich wundersame Verbesserungen von Militärregierungen zu versprechen.

Stärkere Annäherung an Russland?

Rinel-Rajaoarinelina, die von Rajoelina noch kurz vor seinem Sturz zur neuen Stabschefin ernannt worden war, war es allerdings auch, die am Abend des 12. Oktober westlichen Diplomaten in einer Telefonkonferenz fälschlich mitteilte, Rajoelina organisiere aus dem Präsidentenpalast den Widerstand. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Präsident allerdings schon auf der Flucht, die ihn im Hubschrauber auf die östlich der Hauptinsel gelegene kleinere Insel Sainte-Marie, von dort aus im französischen Militärflugzeug auf die zu Frankreich gehörende Insel La Réunion und schließlich weiter im Privatjet nach Dubai führte.

Zur künftigen Außenpolitik der madagassischen Machthaber gehört womöglich eine stärkere Annäherung an die Russische Föderation. Bereits am 16. Oktober empfing die Übergangsregierung, der Nationale Verteidigungsrat, russische Emissäre.

Der General Lylison René de Rolland, lange Jahre Senator und führender Polizeioffizier, der zurzeit als Berater der regierenden Offiziere des Capsat firmiert, steht dem französischen Journalisten und Afrika-Experten Thomas Dietrich zufolge dem kremlnahen Juntachef der Republik Niger, Abdourahamane Tchiani, nahe. In seiner Youtube-Sendung »Chroniques de Françafrique« sagte Dietrich, beide hätten gemeinsam die Ausbildung an einer Militärakademie absolviert.

Der französische Präsident Emanuel Macron, der dem gestürzten Präsidenten zur Flucht verhalf, äußerte bereits Bedenken über ausländische, sprich: nichtfranzösische Einflussnahme.

Was den französischen Einfluss anbelangt, könnte der Machtwechsel in Madagaskar Dietrich zufolge schwerwiegende Auswirkungen haben. Mit Tchiani gebe es eine antifranzösische Kraft mit besten Verbindungen zu den neuen Machthabern. Der französische Präsident Emanuel Macron, der dem gestürzten Präsidenten zur Flucht verhalf, äußerte bereits Bedenken über ausländische, sprich: nichtfranzösische Einflussnahme.

Während die UN den »verfassungswidrigen Regierungswechsel« scharf verurteilten und die Entscheidung des Friedens- und Sicherheitsrats der Afrikanischen Union begrüßten, Madagaskar vorübergehend aus dieser auszuschließen, hielten sich die USA mit einer eindeutigen Stellungnahme zurück. Die Vorgängerregierung hatte zuletzt bei der US-Regierung für Verärgerung gesorgt, nachdem im Juli bekannt geworden war, dass durch ihre Hilfe unter Umgehung internationaler Sanktionen fünf Flugzeuge vom Typ Boeing 777 an den Iran geliefert worden waren.