»Es war ein Angriff auf die gesamte Wissenschaft«
Colette Delawalla ist Doktorandin an der Emory University in Atlanta und forscht dort im Fachbereich klinische Psychologie am Behavioral Genetics of Addiction Laboratory zu Alkoholkonsum. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Stand Up for Science, einer Organisation, die sich seit Februar 2025 für die Wissenschaftsfreiheit in den USA einsetzt.
Wie wurde Stand Up for Science gegründet?
Ich war gerade dabei, mich auf einen staatlichen Forschungszuschuss für mein Projekt zu bewerben, in dem ich Muster des Alkoholkonsums im Kontext von Suchterkrankungen erforsche. Acht Monate hatte ich an der Bewerbung dafür gearbeitet, als Trump diese Liste von über 200 verbotenen Wörtern autorisierte, die in Regierungsdokumenten nicht mehr auftauchen dürfen und deren Erwähnung dazu führen kann, dass bundesstaatliche Forschungszuschüsse aufgekündigt werden. Was weithin als Maßnahme gegen Klimaforschung oder Inklusionsmaßnahmen interpretiert wurde, war ein Angriff auf die gesamte Wissenschaft. Neben den Begriffen »Frauen«, »Diversität« oder »Gender« standen auch Begriffe wie »Opioide«, »Sucht« und »Definition« darin. Doch niemand hat protestiert oder die Auswirkungen davon verstanden. Deshalb musste ich etwas tun.
Anfang März organisierten Sie in der Hauptstadt einen Protest mit mehreren Tausend Teilnehmenden gegen die Kürzungen im Wissenschaftsbetrieb mit. Weitere Kundgebungen fanden landesweit an über 30 verschiedenen Orten statt. Aber es ist nicht bei dem einen Protesttag geblieben?
Ich bin keine Aktivistin, ich fühle mich auch immer noch nicht wie eine, aber bei dem ersten Protest in Washington, D.C., habe ich schon Mut geschöpft, da es plötzlich so viel Aufmerksamkeit für unsere Sache gab. Da kamen wissenschaftliche Interessenverbände zusammen, trafen auf Journalisten und Organisatoren – da hätte es sich falsch angefühlt, danach einfach nach Hause zu gehen und zu sagen: »Das war’s jetzt.«
»Wir mussten erst mal unseren Kolleg:innen erklären, warum Wissenschaft und warum unsere Arbeit politisch ist. Ein Großteil der Forschenden in den USA hat sich bis vor einem halben Jahr in einem unpolitischen Feld gewähnt.«
Sie sagen, es war schwierig, diesen Protest zu verstetigen?
Wir mussten erst mal unseren Kolleg:innen erklären, warum Wissenschaft und warum unsere Arbeit politisch ist. Ein Großteil der Forschenden in den USA hat sich bis vor einem halben Jahr in einem unpolitischen Feld gewähnt. Über alle politischen Differenzen hinweg war Wissenschaft in den USA immer von allen Seiten sehr anerkannt, es hieß: Wissenschaft ist gut für die USA, gut für die Welt und wir sollten in Wissenschaft investieren, weil es auch wirtschaftlich fruchtbar ist.
Mittlerweile hat sich Stand Up for Science aber institutionalisiert?
Ja, wir haben 18 Mitarbeitende hier in Georgia, sind gut vernetzt nach Washington, D.C., beschäftigen Fundraiser und sind auf einem guten Weg, uns zu einer seriösen politischen Organisation zu professionalisieren.
Viele Forschungsprojekte wurden und werden von heute auf morgen eingestampft. Was sind Ihre Erfahrungen damit?
Ich kenne sehr viele Fälle, in denen Forschende in der Mitte oder kurz vor Abschluss ihrer Dissertation waren und durch den plötzlichen Wegfall von Förderungen ihre Studiengebühren nicht mehr bezahlen können. Junge Forschende, die sich in einem unglaublich kompetitiven Bereich einen Forschungszuschuss erarbeitet haben, bekommen lediglich eine automatisierte E-Mail-Benachrichtigung von den Behörden, auf die sie nicht einmal antworten können, dass ihnen umgehend das Geld gestrichen wird. Andere können ihre Studienteilnehmenden nicht mehr bezahlen oder ihre Mitarbeitenden nicht mehr entlohnen. Abgesehen von den Karrierebrüchen, die das für die Forschenden selbst bedeutet, fehlen dadurch natürlich auch die Erkenntnisse aus deren Arbeiten.
»Die Wissenschaft bezeugt, dass Männer nicht über Frauen stehen, Weiße nicht klüger sind als People of Color.«
Erwarten Sie eine große Abwanderung ins Ausland?
Tausende haben bereits ihre Arbeit verloren. Im nächsten Jahr werden unseren Berechnungen zufolge allein in der bundesstaatlich finanzierten Gesundheitsforschung weitere 70.000 Stellen gestrichen werden. Diese Menschen haben sich jahrelang spezialisiert und haben jetzt keine Möglichkeit mehr, dieses Wissen einzusetzen oder neue Erkenntnisse zu erlangen. Ich glaube aber nicht, dass eine große Migration einsetzen wird, sondern eher, dass die Menschen Arbeit in anderen Bereichen suchen werden, was ich für noch schlimmer halte. Denn dann werden diese Projekte stattdessen nicht woanders durchgeführt, sie werden einfach gar nicht mehr durchgeführt.
Maßnahmen, die sich gegen Klima-, Geschlechter- oder Inklusionsforschung wenden, sind offensichtlich politisch motiviert. Aber warum holt Trump zum Generalangriff gegen die Wissenschaft aus? Allein die National Science Foundation, über die etwa 25 Prozent aller von der Bundesregierung geförderten Grundlagenforschung an den Universitäten finanziert wird, sieht sich für das Haushaltsjahr 2026 mit Kürzungen von über 50 Prozent konfrontiert.
In der Maga-Bewegung gibt es drei große Strömungen: Trump und die, die vor allem nach Macht streben, die tech bros und die christlichen Fundamentalisten. Was diese drei ideologisch verbindet, ist die Überzeugung, dass weiße, gesunde, heterosexuelle Männer besser seien als alle anderen Menschen und ganz oben in der natürlichen Hierarchie stünden.
Wissenschaft und Forschung, wie wir sie heute kennen, stehen dieser Ideologie grundsätzlich entgegen Die Wissenschaft bezeugt, dass Männer nicht über Frauen stehen, Weiße nicht klüger sind als People of Color. Deshalb greifen sie den Wert und das Ansehen der Wissenschaft so vehement an.
»Den Wissenschaftssektor so zu entkernen und zu entmachten, ist ein Symptom von Faschismus.«
Welche Aufgaben stehen Ihnen als Stand Up for Science nun bevor?
Es gibt eine interne und eine externe Herausforderung. Intern müssen wir mobilisieren und den betroffenen Wissenschaftler:innen klarmachen, dass Wissenschaft politisch ist. Meine Kolleg:innen verstehen sich nicht als Aktivisten. All das ist neu für uns, viele waren bei unserem Protest am 7. März das erste Mal auf einer Demonstration. Extern müssen wir Kongressabgeordnete und die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass wir uns hier in einer existentiellen Krise befinden. Die Menschen müssen verstehen, dass nicht bloß ein paar Wissenschaftler nicht mehr genug Geld haben, um ein paar belanglose Studien durchzuführen. Trump und seine Regierung versuchen mit aller Macht, all die Institutionen anzugreifen, die den Menschen Wahrheiten eröffnen, die nicht den ideologischen Überzeugungen der Maga-Bewegung entsprechen. Den Wissenschaftssektor so zu entkernen und zu entmachten, ist ein Symptom von Faschismus.
Wie sieht Ihre Proteststrategie aus?
Wir versuchen, die Menschen in verschiedenen Formen an Aktivismus heranzuführen. Gerade setzen wir ein 31-Tage-Aktivismus-Programm um, bei dem Leute jeden Tag fünf Minuten ihrer Zeit darauf verwenden können, sich zu engagieren; zum Beispiel mit E-Mails an Abgeordnete, mit Social-Media-Aktionen oder durch das Unterschreiben einer Petition. Wir bringen unseren Leuten bei, dass Aktivismus ganz einfach sein kann, und steigern so die Handlungsbereitschaft und verändern die Kultur in unserem Arbeitsfeld. Und natürlich versuchen wir, den Druck auf Kongressabgeordnete hoch zu halten. Wir glauben, dass Wissenschaft das entscheidende Thema in einigen Wahlkreisen sein kann, um bei den Zwischenwahlen nächstes Jahr zumindest den Kongress wieder in demokratische Hand zurückzuholen.