Ein Ballsaal, aber keine Essensmarken
Die Lage ist dramatisch. Seit einem Monat ist in den USA die Regierung weitgehend lahmgelegt, seit dem 1. Oktober sind fast eineinhalb Millionen Angestellte der US-Regierung entweder beurlaubt oder müssen ohne Bezahlung arbeiten. Fast alle nicht unmittelbar sicherheitsrelevanten Behördenvorgänge sind unterbrochen.
Viele Beamte müssen nun Ersparnisse anzapfen oder Hypotheken aufnehmen, in Washington, D.C., dem Regierungssitz, und den umliegenden Bundesstaaten Virginia und Maryland ist der Andrang bei den food banks, dem US-Äquivalent zu Tafeln, schlagartig angestiegen. Bis in die Bundesrepublik sind die Auswirkungen zu spüren: Auch die Gehälter deutscher Zivilangestellter auf US-amerikanischen Militärbasen beispielsweise in Ramstein bei Kaiserslautern sind von der Haushaltssperre betroffen. Allerdings kündigte die Bundesregierung bereits an einzuspringen – auf gewerkschaftlichen Druck hin.
In der US-amerikanischen »Vetokratie« (Thomas Friedman) ist das parlamentarische Blockieren von Haushaltsgesetzen zu Beginn jedes Fiskaljahrs vom Ausnahmefall zum Ritual geworden. Nach einer Überarbeitung des Gesetzes für den Haushaltsprozess 1974 hat es seit 1976 27 solcher zeitweiligen Zahlungsausfälle gegeben. Auch in den Jahren ohne Shutdown schrammte man im Regelfall nur haarscharf an einem solchen vorbei. Der gegenwärtige Shutdown ist schon jetzt der zweitlängste der Geschichte.
Ohne die milliardenschweren Zuschüsse der US-Bundesregierung würden sich die Versicherungsbeiträge von über 20 Millionen US-Amerikanern Schätzungen zufolge etwa verdoppeln.
Was ihn jedoch von den vorherigen unterscheidet, ist, dass die Demokraten ihn verursachen: Seit den Jahren der Präsidentschaft Bill Clintons (1993 bis 2001) gingen bislang alle Haushaltsblockaden auf die Republikaner zurück, die so das Ende unliebsamer Vorhaben erzwingen wollten. Auch der vorletzte Shutdown im Jahr 2018 unter der ersten Präsidentschaft Donald Trumps ging darauf zurück, dass sich das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus weigerte, einen von den Demokraten im Senat beschlossenen Haushaltsentwurf anzunehmen, weil er keine Mittel für den vom Präsidenten geplanten Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze bereitstellte.
Nun aber sind es die Demokraten, die ihre Blockademacht nutzen. Zwar sind sie in beiden Kongresskammern in der Minderheit. Allerdings reicht im Senat eine qualifizierte Minderheit von 41 Stimmen aus, um Haushaltsgesetze zu blockieren. Damit wollen sie verhindern, dass Subventionen nach dem Affordable Care Act wegfallen – umgangssprachlich nach seinem Schöpfer »Obamacare« genannt. Bislang zahlte die Bundesregierung einen Zuschuss zu den Versicherungen armer und vorerkrankter Menschen. Ohne diese milliardenschweren Zuschüsse würden sich die Versicherungsbeiträge von über 20 Millionen US-Amerikanern Schätzungen zufolge etwa verdoppeln. Die Streichung dieser Zuschüsse allerdings ist fester Bestandteil des Steuer- und Ausgabengesetzes, das Trump unter dem Namen »big beautiful bill« im Juli durch den Kongress gebracht hatte.
Die Republikaner warten mit anderen, kruden Erklärungen für die Blockade der Opposition auf. »Die Demokraten halten die amerikanische Maschine an, um illegalen Einwanderern kostenlose Krankenversicherungen zu schenken«, wird in einem Werbespot der Republikaner bar jeder Faktengrundlage gepoltert. Und Trump setzte noch eins drauf: Nach dem Scheitern einer Verhandlungsrunde im Weißen Haus postete er auf seiner Plattform Truth Social ein bizarres KI-Video. »Wir haben keine Wähler mehr wegen unseres ganzen woken Trans-Bullshits«, wird darin Chuck Schumer, dem demokratischen Fraktionsvorsitzenden im Senat, in den Mund gelegt, während neben ihm Hakeem Jeffries zu sehen ist, Schumers Amtskollege im Repräsentantenhaus; er wurde mit einem übergroßen Sombrero und einem schwarzen Schnurrbart versehen. Daher müsse man, so die Schumer unterlegte Stimme weiter, nun illegale Immigranten versorgen, um neue Wähler zu gewinnen. Wie bei zahllosen ähnlicher Tiraden Trumps rief diese unverhohlen rassistische Darstellung keine größere Kritik hervor in der inzwischen offenbar abgestumpften US-amerikanischen Öffentlichkeit.
Die Behörden schwächen
Kurze Zeit später zeigte sich Trump in einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News regelrecht erfreut über den Zahlungsausstand. »Die Demokraten verstehen nicht, dass der Shutdown mir das Recht gibt, Leistungen zu streichen, die wir nie wollten«, sagte er und präzisierte im Nachsatz, dass es um Sozialleistungen gehe, die man jetzt dauerhaft streichen werde.
Tatsächlich sieht der erste Artikel der US-Verfassung vor, dass das Budgetrecht beim Parlament liegt. Auch Kürzungen seitens des Präsidenten benötigen die Zustimmung der beiden Parlamentskammern, wobei im Senat die qualifizierte Mehrheit nötig ist. Trump dürfte also bluffen.
Was er aber tatsächlich versucht, ist, die Behörden zu schwächen. Schon zehn Tage nach Beginn des Shutdown gingen an 4.200 Mitarbeiter verschiedener Ministerien Kündigungen heraus. Allein 500 Stellen entfielen beim Bildungsministerium. Die zuständige Ministerin Linda McMahon wirkt davon wenig bedrückt. »Die Schulen funktionieren weiter. Das beweist, was Donald Trump gesagt hat: Das Bildungsministerium ist unnötig«, sagte sie der Online-Zeitung The Hill über ihr eigenes Haus. Zuletzt bekamen Trumps Pläne allerdings einen Dämpfer: Ein Bundesgericht unterband die Entlassungen vorerst.
Sonderlich zu schaden scheint der Shutdown Trump bisher allerdings nicht. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung Demokraten und Republikanern etwa gleichermaßen die Schuld für den Shutdown gibt. Das demokratische Agieren wird als Taktieren wahrgenommen. Wenig Hilfe dabei, diesen Eindruck zu zerstreuen, leistete eine Äußerung von Katherine Clark, einer demokratischen Abgeordnete im Repräsentantenhaus. »Shutdowns sind furchtbar und wir wissen, dass Familien darunter leiden werden. Wir nehmen diese Verantwortung ernst, aber das ist unser einziges Druckmittel«, sagte sie beim Fernsehsender Fox News – eine Aussage, die die Rechten sofort auf allen Kanälen ausschlachteten.
Zudem bemühen sich die Republikaner, die Blockade der Demokraten auf eine Weise zu diffamieren, die sich am Rande der Legalität bewegt: Fünf beurlaubte Beamte im Bildungsministerium erheben den Vorwurf, dass ihre automatische Abwesenheitsnotiz bei E-Mails ohne ihr Wissen geändert worden sei, so dass darin den Demokraten die Schuld für ihr Fehlen gegeben werde. Heimatschutzministerin Kristi Noem, deren Behörde die Verantwortung für die Luftschutzbehörde TSA obliegt, ließ ein Video produzieren, in dem sie verspätete Flüge auf das Agieren der Demokraten zurückführte. Mehrere Flughäfen verweigerten sich allerdings ihrem Anliegen, das Video in Dauerschleife in den Wartehallen zu zeigen. Noems Gebaren verstößt gegen ein Gesetz aus dem Jahr 1939, das vorschreibt, dass öffentliche Ankündigungen der Regierung nicht zur Bewerbung oder Abwertung von Parteien dienen dürfen.
Sollten sich die Fraktionen im Senat nicht zügig einigen, könnte es bald wortwörtlich um die Wurst gehen, denn Ende Oktober werden die Bundesmittel für das Lebensmittelhilfeprogramm Snap erschöpft sein. Dauert der Shutdown im November weiter an, können keine Essensmarken mehr ausgegeben werden. Davon wären 42 Millionen Menschen betroffen. Das Landwirtschaftsministerium, das für die Verteilung dieser Grundsicherung in den USA zuständig ist, kündigte zuletzt an, es werde weder die Rücklagen des Programms in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar noch Mittel aus anderen Fonds nutzen, um die weitere Vergabe von Essensmarken zu ermöglichen.
Unbeeinflusst vom sonstigen Behördenstillstand bleibt die Arbeit der Einwanderungsbehörde ICE, denn sie gilt als sicherheitsrelevant.
Hinzu kommt, dass am 1. November das neue Krankenversicherungsjahr beginnt. Steht dann kein Geld für die von den Demokraten geforderte Verlängerung der Subventionen bereit, könnten die erhöhten Beitragszahlungen längerfristig festgeschrieben werden. Auf beiden Seiten ist unter diesem Druck inzwischen Bewegung zu erkennen: Bei den vergangenen zwei Abstimmungen im Senat über eine Übergangslösung stimmten drei Demokraten mit der republikanischen Mehrheit (sieben müssten es mindestens sein, damit eine qualifizierte Mehrheit von 60 Stimmen erreicht ist).
Zugleich bekommen die Demokraten von unerwarteter Stelle Unterstützung: Die rechtsaußen zu verortende republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene sprach sich gegen die Kürzungspläne ihrer Partei im Bereich der Gesundheitsversorgung aus. In ihrem Wahlkreis in Florida sind überdurchschnittlich viele Menschen auf die subventionierten Krankenkassenbeiträge angewiesen.
Unbeeinflusst vom sonstigen Behördenstillstand bleibt die Arbeit der Einwanderungsbehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE), denn sie gilt als sicherheitsrelevant. Die unter Trump hochgerüstete Behörde, deren Beamte derzeit Sonderzahlungen erhalten, agiert längst weit über ihr ursprüngliches Aufgabengebiet hinaus und übt regelrecht Straßenterror aus. Und auch die Bagger rollen weiter, um den Bau eines protzigen Ballsaals am Weißen Haus vorzubereiten, für den ein Teil des historischen Gebäudeensembles abgerissen wird.