30.10.2025
Das zentralasiatische Land wird seinen autokratischen Nachbarn immer ähnlicher

Wie Kirgistans Präsident die Pressefreiheit beerdigt

Kirgistan galt lange als Hoffnungsträger für die Pressefreiheit in Zentralasien. Doch unter Präsident Sadyr Dschaparow wird das Land seinen autokratischen Nachbarn immer ähnlicher. Journalisten werden mit Repression, Prozessen und drakonischen Gesetzen mundtot gemacht.

Die Zeugen hatten die Angeklagten nicht belastet, der Staatsanwalt hatte keine stichhaltigen Beweise vorgelegt und selbst die staatlich bestallten Experten fanden keine Anzeichen für kriminelles Verhalten. Dennoch verurteilte Mitte September ein Gericht in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek die beiden Kameramänner Aleksandr Aleksandrow und Schoomart Duulatow zu je fünf Jahren Haft. Das angebliche Vergehen der früheren Mitarbeiter der in Kirgistan vom Verbot bedrohten Nachrichtenseite des Medienunternehmens Kloop: Sie sollen zu Massenunruhen aufgestachelt haben.

Der Vorwurf bezieht sich auf fünf Videos, die auf dem Youtube-Kanal des Investigativjournalisten Bolot Temirow erschienen sind und die grassierende Korruption im Land harsch kritisieren. Nach Ansicht des Gerichts sollen die beiden Kameramänner an deren Produktion beteiligt gewesen sein. Diese wiesen das zurück. Mit der Erstellung der Videos hätten sie nichts zu tun und sie unterhielten auch keine Kontakte zu Bolot Temirow, sagten sie vor Gericht. Der seit Ende 2022 im Exil lebende Journalist bestätigte diese Darstellung. Er kenne die Beschuldigten nicht, habe ihre Namen vor dem Prozess noch nie gehört.

Dass die Behörden trotz fehlender Beweise weiter an dem Verfahren festhielten, lasse nur einen Schluss zu, sagte der Verteidiger der Angeklagten: Der Prozess solle kirgisische Medienschaffende einschüchtern und demonstrieren, was Journalisten droht, die mit unabhängigen Medien zusammenarbeiten.

Sadyr Dschaparow wurde im Oktober 2020 bei Unruhen aus dem Gefängnis befreit. Anschließend übernahm er kurzzeitig das Amt des kirgisischen Ministerpräsidenten, inzwischen ist er Präsident.

Die Verurteilung der Kameramänner steht exemplarisch für die deutliche Einschränkung der Pressefreiheit in Kirgistan, seit Sadyr Dschaparow vor fünf Jahren an die Macht kam. Der wegen mehrerer Straftaten verurteilte Politiker wurde im Oktober 2020 während gewaltsamer Unruhen von seinen Anhängern aus einem Hochsicherheitsgefängnis befreit. Anschließend übernahm er unter fragwürdigen rechtlichen Umständen zunächst das Amt des Ministerpräsidenten, dann das des Übergangspräsidenten – und gewann im Januar 2021 die Präsidentschaftswahl.

Bis zu Dschaparows steilem Aufstieg galt Kirgistan als das Land mit den besten Arbeitsbedingungen für Medienschaffende in Zentralasien. Trotz andauernder politischer Krisen arbeiteten Journalisten seit der Unabhängigkeit 1991 dort so ungehindert wie in keinem der autoritären Nachbarstaaten. Im Vergleich zu Autokratien wie Usbekistan oder Tadschikistan verfügte das Land über vielfältige Medien. 

Das Regime von Sadyr Dschaparow hat mit dieser Tradition gebrochen. Unter der Regierung des autokratischen Präsidenten werden Journalisten bedroht, ins Gefängnis gesteckt oder ins Ausland abgeschoben. Geheimdienst und Justiz machen Jagd auf unabhängige Redaktionen. Wie schlimm die Lage ist, zeigt die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen: Im Jahr 2023 stürzte das Land um 50 Plätze ab – von Rang 72 auf 122. Seither stuft die Organisation die Situation der Medien im Land als »schwierig« ein – die zweitschlechteste von insgesamt fünf Bewertungskategorien. In der gegenwärtigen Rangliste liegt Kirgistan sogar nur noch auf Platz 144.

Wachsende Repression

Kaum ein Fall macht die wachsende Repression so deutlich wie der von Bolot Temirow. Kirgistans bekanntester Investigativjournalist hatte im Januar 2022 auf seinem Youtube-Kanal »Temirov Live« einen Bericht über mutmaßlich illegale Geschäfte der Söhne des Geheimdienstchefs Kamtschybek Taschijew – Dschaparows engstem politischen Vertrauten – mit staatlichen Erdölkonzernen veröffentlicht.

Zwei Tage darauf fanden Polizisten bei einer Razzia angeblich Marihuana in Temirows Büro. Als Temirow einen weiteren Bericht über fragwürdige Geschäfte des Taschijew-Clans nachlegte, sprach ihn ein Gericht der Dokumentenfälschung zur Erschleichung eines kirgisischen Passes schuldig – und schob ihn im November 2022 gegen seinen Willen direkt aus dem Gerichtssaal nach Russland ab.

Trotz allem setzte Temirow seine Arbeit aus einem EU-Land fort. Daraufhin verurteilte ein Gericht im Oktober 2024 seine in Kirgistan verbliebene Ehefrau Machabat Tadschibek zu sechs Jahren Haft. Sie hatte das Investigativprojekt als Geschäftsführerin geleitet. Ein weiterer Mitarbeiter erhielt eine Haftstrafe von fünf Jahren, wurde im April 2025 aber begnadigt und freigelassen.

Was dem Team um Temirow widerfuhr, erleben seither zahlreiche Journalisten und unabhängige Redaktionen. Zuletzt traf es den unabhängigen Youtube-Kanal »Aprel TV«, der mit scharfer Kritik in oft ironischem Ton über korrupte Beamte und die immer autoritärer werdende Regierung von Präsident Dschaparow berichtete.

»Verzerrung von Informationen«

Anfang Juli ordnete ein Gericht die Einstellung des 2018 gegründeten Kanals an, dem etwa 700.000 Menschen in den sozialen Medien folgen. Der Richter schloss sich damit der Argumentation der Staatsanwaltschaft an, wonach der Kanal die Autorität des Staats untergrabe. Der sarkastische Ton der Moderatoren, ihre spöttische Mimik und die Persiflagen auf Politiker hätten einen »negativen Einfluss auf die Gesellschaft«, hieß es in der Urteilsbegründung.

Nur wenige Tage zuvor hatte ein Gericht in Bischkek die Journalistin Kanyschaj Mamyrkulowa zu einer vierjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Die 49jährige wurde des Aufrufs zu Massenunruhen und der Anstachelung zu ethnischem Hass schuldig gesprochen. Während der Dauer der Bewährungszeit darf sie ihre Wohnung nachts nicht verlassen, nicht aus dem Land ausreisen und keine Beiträge in den sozialen Medien veröffentlichen.

Mamyrkulowa betreibt den Youtube-Kanal »MKA TV« und gilt als scharfe Kritikerin der Regierung. Anlass für das Verfahren waren mehrere Beiträge auf ihrer privaten Facebook-Seite, in denen sie den aus ihrer Sicht intransparenten Prozess der neuen Grenzziehung zum Nachbarland Tadschikistan kritisierte. Zwischen beiden Staaten war es im Sommer 2022 zu einem bewaffneten Grenzkonflikt gekommen. Das Gericht bewertete ihre Äußerungen als »Verzerrung von Informationen«, die darauf zielten, die politische Stabilität im Land zu untergraben.

Kampf gegen unabhängigen Journalismus

Eine Verurteilung drohte anscheinend auch der Journalistin Lejla Saralajewa. Anfang Oktober teilte die Betreiberin des Online-Mediums Nowyje Liza auf Instagram mit, sie sei wegen Aufrufs zu Massenunruhen zur Fahndung ausgeschrieben worden. Der Vorwurf beziehe sich auf private Posts auf Facebook, bestätigte das kirgisische Innenministerium.

Saralajewa, die seit 2023 auch als Länderkorrespondentin der Organisation Reporter ohne Grenzen tätig war, wies die Anschuldigung zurück. Sie habe nur ihre Arbeit getan, Verstöße gegen Menschenrechte, Verfassung und Meinungsfreiheit beschrieben. Die 52jährige befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Kirgistan. Kollegen hatten sie über die eingeleiteten Ermittlungen informiert. Daraufhin hatte Saralajewa das Land im Januar 2024 verlassen. Inzwischen lebt sie in Georgien.

Im Kampf gegen unabhängigen Journalismus lässt Präsident Dschaparow auch zweifelhafte Gesetze verabschieden, die sich häufig an russischen Vorbildern orientieren. So verpflichtet beispielsweise das Gesetz über ausländische Vertreter seit April 2024 Redaktionen, die Geld aus dem Ausland erhalten, zu einer staatlichen Registrierung als »ausländische Vertreter«. Das im Juni 2025 in Kraft getretene Gesetz gegen Verleumdung und Beleidigung im Internet ermöglicht die strafrechtliche Verfolgung journalistischer Kritik.

Mit dem Inkrafttreten des neuen Mediengesetzes setzt sich Dschaparow in einem fast dreijährigen Streit durch.

Den für ihn wichtigsten Schritt unternahm Dschaparow mit der Unterzeichnung eines neuen Mediengesetzes Anfang August. Dieses schreibt unter anderem eine staatliche Regis­trierung aller Medien vor und beschränkt die Beteiligung ausländischer Investoren an kirgisischen Medien.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes setzt sich Dschaparow in einem fast dreijährigen Streit durch. Bereits im September 2022 hatte die Präsidialverwaltung einen ersten Entwurf für ein repressives Mediengesetz vorgelegt, der bei Menschenrechtsorganisationen und Medienschaffenden auf breite Ablehnung stieß. Daraufhin berief Dschaparow eine Arbeitsgruppe aus unabhängigen Medienvertretern und Mitarbeitern der Präsidialverwaltung ein, um den Entwurf zu überarbeiten. Die Vorschläge der Journalisten fanden jedoch kaum Gehör; die staatlichen Vertreter legten insgesamt sechs Mal neue Fassungen vor.