Montag, 19.06.2017 / 14:49 Uhr

Imame für den Frieden

Von
Gastbeitrag von Florian Markl, Mena-Watch

Immer wieder, so beklagt sich die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ), habe sie in der Vergangenheit Terroranschläge verurteilt, doch seien diese Distanzierungen öffentlich kaum wahrgenommen worden. Um dem entgegenzuwirken, haben mehrere Hundert Imame der Glaubensgemeinschaft heute eine Deklaration gegen „Extremismus, Gewalt und Terror“ veröffentlicht. Nimmt man das rege mediale Echo als Maßstab, so war die Initiative ein voller Erfolg. Inhaltlich tut sich allerdings dasselbe Problem auf, das schon frühere Distanzierungen vom Terror charakterisiert hat: Anstatt sich selbstkritisch mit den problematischen Punkten der islamischen Lehre und Tradition auseinanderzusetzen, streiten die Imame der IGGiÖ einfach ab, dass „Allahu akbar“ schreiende Mörder überhaupt etwas mit dem Islam zu tun hätten.

Aktuell liest sich diese Abwehr folgendermaßen:

„Wir, die Imame Österreichs,
• verurteilen die terroristischen und extremistischen Gewaltakte auf der ganzen Welt;
• halten fest, dass die Gräueltaten und Attentate der IS-Terroristen dem Islam widersprechen und aufs Schärfste zu verurteilen sind. Diese IS-Terroristen missbrauchen unsere friedliche Religion Islam, um an ihre politischen Ziele zu gelangen“.

Der Terrorismus des Islamischen Staates widerspreche also dem Islam und missbrauche die „friedliche Religion Islam“. Das klingt kurz und bündig, stellt sich aber nicht dem Problem, das man nicht einfach mit einer Deklaration aus der Welt schaffen kann – und das deutlich wird, wenn man einen Blick auf den Beginn der Erklärung der Imame wirft. Dort findet sich nämlich folgendes Koran-Zitat:

„Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es als habe er die ganze Menschheit getötet! Und wer einem Menschen das Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet“! (Koran 5:32)

Das klingt zwar eindeutig, ist aber genau das, was Vertreter der Glaubensgemeinschaft sonst üblicherweise islamkritischen Stimmen vorwerfen, die problematische Koran-Zitate vorbringen: Es ist aus dem Zusammenhang gerissen. Stellt man das Zitat in den Kontext, in dem es im Koran zu finden ist, so geht es dabei um das Verhältnis zu den Juden. Ausführlicher ist (in der Übersetzung von Hartmut Bobzin) zu lesen:

„Und deshalb schrieben wir den Kindern Israel dies vor: Wenn jemand einen Menschen tötet, der keinen anderen getötet hat, auch sonst kein Unheil auf Erden gestiftet hat, so ist’s, als töte er die Menschen allesamt.“

Schon die Bemerkung, dass es um Menschen geht, die „auch sonst kein Unheil auf Erden gestiftet“ haben, schränkt die starke Aussage deutlich ein: Was genau ist denn unter Unheil zu verstehen? Und legitimiert umgekehrt das Stiften von Unheil die Tötung eines Menschen?

„Wenn aber jemand einem Menschen das Leben bewahrt, so ist’s, als würde er das Leben aller Menschen bewahren.“

Das also ist die Passage, die die Imame der IGGiÖ an den Beginn ihrer Deklaration gestellt haben. Doch lesen wir noch ein wenig weiter:

„Zu ihnen [den Juden, Anm. F.M.] kamen unsere Gesandten mit den Beweisen, Dann aber waren, auch danach, viele von ihnen im Lande maßlos. Doch die Vergeltung derer, die gegen Gott und seinen Gesandten kämpfen und im Lande auf Unheil aus sind, die ist, dass sie getötet oder gekreuzigt werden oder ihnen Hände und Füße abgehauen werden, wechselweise rechts und links, oder sie aus dem Land vertrieben werden. Das ist Erniedrigung für sie hier in diesem Leben. Im Jenseits aber ist ihnen harte Strafe bestimmt, außer denen, die bereuen, bevor ihr sie in eure Gewalt bekommt.“

Wenn IS-Terroristen Menschen kreuzigen oder Terrorattentate begehen, erklärt die IGGiÖ also, das widerspreche dem Islam – und zitiert dabei ausgerechnet eine aus dem Zusammenhang gerissene Passage aus dem Koran, auf die im heiligen Text selbst unmittelbar die Forderung folgt, dass Gegner des Islam und Menschen, die „auf Unheil aus sind“, getötet, gekreuzigt, verstümmelt oder aus dem Land vertrieben werden müssten. Aber die Taten des IS, die sollen mit dem Islam nichts zu tun haben.

Die IGGiÖ wundert sich, warum ihre Distanzierungen von islamistischem Terrorismus bislang nicht die erhoffte öffentliche Wirkung erzielten. Vielleicht ist dafür nicht sosehr die Ignoranz der Öffentlichkeit verantwortlich, als vielmehr der Umstand, dass die Erklärungen der Glaubensgemeinschaft nach wie vor von der Abwehr jeglicher islamischer Selbstkritik geprägt sind, konsequent bestreiten, dass es im Islam problematische Punkte überhaupt gibt, und Stellungnahmen eben wenig überzeugend sind, in denen das Offensichtliche einfach geleugnet wird.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch