Mittwoch, 15.11.2017 / 15:00 Uhr

Krieg ist Frieden, Frieden ist Krieg: Die Sprache der Sieger in Syrien

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Hin und wieder erhalten politische Ereignisse den Kommentator, den sie verdienen. Jüngst trafen sich der US-Präsident Donald Trump und sein russischer Kollege Vladimir Putin in Vietnam, um eine gemeinsame Syrien-Erklärung vorzustellen, in der es unter anderem heißt, „dass der seit mehr als sechs Jahren tobende Konflikt in dem Bürgerkriegsland militärisch nicht zu lösen sei.“ Es bedarf keiner großer Kenntnis der Entwicklungen vor Ort, um zum Schluss zu kommen, dass eigentlich das genaue Gegenteil der Fall ist: Besonders Russland und der Iran haben in den vergangenen Jahren dem Assad-Regime massiv geholfen, diesen Konflikt weitgehend militärisch für sich zu entscheiden. Bislang scheiterten dagegen alle diplomatischen Initiativen und wenn Syrien eines beweist, dann dass massives militärisches Vorgehen ohne jedwede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, der Einsatz von Giftgas und Clusterbomben und die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur unter den Augen der so genannten Weltöffentlichkeit zumindest kurzfristig zum Ziel führen.

„Krieg ist Frieden“. So lautete einer der Slogans in George Orwells Buch „1984“. Neuerdings gilt auch: „Frieden ist Krieg“.

Und so ist es denn ausgerechnet der türkische Präsident Erdogan, der die richtigen Worte zu dieser Erklärung fand:

„Es fällt mir schwer, diese Bemerkungen zu verstehen. (…) Wenn eine militärische Lösung nicht infrage kommt, dann sollten diejenigen, die dies behaupten, ihre Truppen zurückziehen.“

Ist noch nachvollziehbar, welches Interesse Russland hat, eine, derart nach Orwells Neusprech klingende Erklärung, in die Welt zu setzen, die so bestens in die jahrelange Tradition russischer Syrienpropaganda passt, die, vor allem mittels staatlicher oder halbstaatlicher Medien, gezielt Lügen und Unwahrheiten verbreitete, fragt man sich, was sich Washington davon verspricht. Schließlich erklärt auch der syrische Präsident bei jeder sich bietenden Gelegenheit, der Krieg werde fortgeführt, bis der letzte Oppositionelle – sprich Terrorist – vernichtet ist und sich das ganze Land wieder unter Kontrolle von Damaskus befindet.

Russland, der Iran und das Assad-Regime machen doch gerade vor, dass dieser Konflikt in ihrem Sinne militärisch zu lösen ist; und es sind die USA und der Westen, die sich vor Jahren so vollmundig als „Freunde Syriens“ zusammentaten und forderten, Assad müsse weg, nur um dann zuzuschauen, wie Moskau und Teheran militärisch intervenierten. Erdogan hat also völlig recht: Wer so redet, sollte eigentlich auch die Konsequenzen ziehen und sein Militär zum Verlassen des Landes auffordern. Selbstredend planen das zumindest die Russen nicht, wissen sie doch, dass einzig ihre massive Intervention im Jahre 2015 Assad überhaupt gerettet hat.

Leider handelt es sich in Syrien um eine solche Tragödie, dass man sogar, wo es zu vermeintlich friedlichen Lösungen gekommen ist, diese nicht wirklich begrüßen kann, wie ein Bericht von Amnesty International zeigt. Wo nämlich Regierung und bewaffnete Opposition Abkommen zur Befriedung schlossen, kam es zu massiven Vertreibungen von Zivilisten:

„Nach jahrelanger Belagerung und Aushungerung sowie ständiger Bombardements sah sich die Zivilbevölkerung in verschiedenen Orten vor die Wahl gestellt, ihre Heimat zu verlassen oder zu sterben. Die Zwangsvertreibung der gesamten Zivilbevölkerung war und ist Teil der so genannten Friedensabkommen zwischen dem Regime und bewaffneten Oppositionsgruppen. (…)

Im Bericht ‚»We leave or we die«: Forced displacement under Syria’s »reconciliation« agreements‘ zeigt Amnesty International Abkommen zwischen dem syrischen Regime und bewaffneten Oppositionsgruppen, die zwischen August 2016 und März 2017 zur zwangsweisen Evakuierung der gesamten Zivilbevölkerung verschiedener Städte geführt haben. Es geht dabei um die vom Regime belagerten Städte Daraya, Ost-Aleppo und al-Waer bei Homs, andererseits um die gegenseitigen Belagerungen der Kleinstädte Kefraya und Foua (durch Oppositionsgruppen) sowie Zabadani und Madaya (durch das Regime). (…)

Die Belagerung, Aushungerung und Bombardierung der Zivilbevölkerung stellt ein Kriegsverbrechen dar. Von dieser Taktik machen das syrische Regime und in geringerem Umfang bewaffnete Oppositionsgruppen wie Hay’at Tahrir al Sha, und Ahrar al-Sham systematisch und unter völliger Straflosigkeit Gebruach. Am Ende der seit 2012 bzw. 2016 dauernden Belagerungen von Daraya und Al Waer bzw. Ost-Aleppos stand jeweils eine weitere Intensivierung der Bombardierungen von Wohngebieten und auch Spitälern durch Luftwaffe und Artillerie, um die Kapitulation zu erzwingen. Auch die Wohngebiete von Foua und Kefraya wurden von Hay’at Tahrir al Sha, und Ahrar al-Sham wahllos beschossen. Satellitenbilder von Daraya zeigen eine eigentliche tote Zone um die Stadt herum; Regierungstruppen und die Hizbollah haben dort und auch um Madaya offensichtlich gezielt sämtliche Felder niedergebrannt und die Lage der ausgehungerten Bevölkerung damit weiter verschärft.“

„Krieg ist Frieden“. So lautete einer der Slogans in George Orwells Buch „1984“. Neuerdings gilt auch: „Frieden ist Krieg“. Für die Propaganda des Assad Regimes galt diese Regel vom ersten Tag des Konfliktes, wie James Denselow richtig feststellt:

„Vermutlich haben Präsident Assad und die Koalition seiner Verbündeten aus [Orwells] Schriften gelernt, insbesondere mit Blick auf die Macht der Sprache und der Überzeugung. (…) Der Sprachgebrauch des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten spielt in deren strategischem Narrativ eine entscheidende Rolle. Orwell wäre auf ihre Bestrebungen stolz, darzulegen, dass ‚Krieg Frieden ist‘.

Die Art, wie man über Konflikte rede, ist gekapert und neu erfunden worden. Bei Waffenstillständen stehen die Waffen nicht mehr still. Anfang des Monats erklärte Assad, eine Waffenruhe ‚bedeute nicht, dass alle Parteien ihre Waffen ruhen lassen‘. Unterdessen behaupten die Russen, sie hätten nur eine ‚Handvoll’ Zivilisten verletzt, obgleich sie Hunderte ungelenkte Bomben abgeworfen haben und kürzlich mit der Zerstörung mehrerer Krankenhäuser in Verbindung gebracht wurden. Die Taktik ist einfach und effektiv und muss angefochten werden.“

Die jüngste Erklärung Russlands und der USA nun zeigen, in welchem Ausmaß Moskau, Assad und der Iran diesen Krieg gewonnen haben: Nicht einmal mehr ihre Sprache wird mehr in Frage gestellt, sondern von den USA sogar unbesehen übernommen und damit global geadelt. Erfolgreiche Propaganda ist weit mehr als Indoktrination und notfalls Lüge, sie schafft nämlich neue Realitäten, die irgendwann den Tatsachen ebenbürtig gegenüberstehen. Das ist den Russen in Syrien auf bewundernswerte Weise gelungen.

Beitrag zuerst erschienen bei Mena-Watch.