Dienstag, 01.12.2020 / 22:39 Uhr

Ungewohnter Hilferuf aus Moria

Von
Aus dem Netz

Die Moria White Helmets  und andere Organisationen bitten  Volunteers sich von der Insel Lesbos fernzuhalten. Grund dafür ist nicht nur die COVID-Pandemie.

 

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Moria White Helmets bei der Reinigung des Camps, Bild: MWH

 

 berichtet über neueste Entwicklungen in Lesbos und auch ich komme kurz zu Wort:

 

„Wir verstehen es wirklich nicht mehr“, schreiben die Moria White Helmets in einer Mitteilung. Zusammen mit anderen lokalen Gruppen sind sie sich einig, dass jede:r, der/die nach Lesbos kommt, ein COVID-Risiko mit sich bringt. Mit nur einem Krankenhaus auf der Insel würde man den Geflüchteten die bereits stark limitierten Plätze wegnehmen. Darum heißt der dringliche Appell: „Vielen Dank für eure Hilfsbereitschaft, aber bleibt in euren Ländern.“ Es sei nicht der richtige Moment, um nach Lesbos zu kommen. Die COVID-Infektionszahlen sind auf einem neuen Rekordhoch.

Dieser Appell wurde bereits vor einiger Zeit an potentielle Helfer:innen gemacht. Gebracht scheint dies wenig zu haben. Während die lokalen NGOs und Organisationen den Geflüchteten erklären, vorsichtig zu sein, kommen immer mehr Freiwillige auf die Insel und bewerben sich selbst – ganz ohne Gesichtsmaske. „Wir bitten euch, wir sind in einer äußerst schlechten Situation. Versteht, dass Corona tödlich ist und kein Witz. Wir müssen das ernst nehmen.“

Problem „Selbstdarstellung“

Auf dieses Problem macht auch der deutsche Journalist Thomas Osten Sacken seit einiger Zeit aufmerksam. „Zum guten Ton gehört es, sich hier selbst abzulichten und dann ganz viel davon zu erzählen, wie man sich fühlt und was man gerade so denkt“, schreibt er etwa auf Facebook. „Am Besten, man bricht vor den Flüchtlingen noch in Tränen aus und lässt sich dann noch ein wenig von ihnen bedauern – ja auch das habe ich schon erlebt.“

Osten Sacken arbeitet selbst seit vielen Jahren für NGOs und ist mit den Strukturen bestens vertraut. Darum kritisiert er, wenn Freiwillige humanitären Krisen nutzen, um ihr eigenes Image aufzubessern oder gar Bilder falsch kontextualisieren. So gab es einen Fall, in dem eine Freiwillige, die entgegen aller Warnung nach Lesbos kam, nach acht Tagen auf der Insel, ein Bild eines Kindes mit Kopfwunde auf ihren Instagram-Account postete. Damit wollte sie, so Osten Sacken, das „everyday life“ auf Lesbos anprangern. Das Kind war jedoch von der Schaukel gefallen.

 

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Syrische Elekriker helfen, Bild: MWH

 

„Ich lernte kürzlich, dass inzwischen irgendwelche Psychologen gar Kurse für PR-Leute aus NGOs anbieten, wie man ganz gezielt mit Bildern Mitleid erzeugen und so den Spendenfluss erhöhen kann: There is no Business like NGO-Business“, schreibt Osten Sacken. Dabei dokumentieren diese Bilder nichts, sagt er weiter, sondern triggern nur. „Sie erzählen den immer selben Narrativ, in dem man sich längst eingerichtet hat, der wohliges Schauern erzeugt, ein paar mehr Spenden generiert, die das Problem nicht lösen helfen und vielen über Jahre ein nicht unbeträchtliches Auskommen schafft.“

1 Organisation auf 100 Geflüchtete

Das Moria Corona Awareness Team (MCAT) hat am Wochenende ebenfalls über die NGO-Situation berichtet. Laut einer Liste behaupten 73 Organisationen auf Lesbos für die Geflüchteten zu arbeiten. Bei 7500 Geflüchteten auf der Insel würde dies eine Organisation auf 100 Personen bedeuten. „Und noch immer warten Geflüchtete, um duschen zu können und so viele andere Dinge“, schreibt das MCAT in einer Mitteilung. „Je länger wir hier arbeiten, desto mehr Fragen haben wir.“

 

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Bild: Moria Corona Awareness Team

 

„Vielleicht liegen wir falsch, aber wenn jeweils zehn Organisationen sich auf ein Feld spezialisieren würde, wäre alles etwas einfacher und schneller.“ Auch würde man so Geld sparen. Denn: Aus einem Bericht der größeren NGOs habe das MCAT erfahren, dass viele der Spendengelder für die Organisationsstruktur der NGO verwendet wird. Dies sollte möglichen Spender:innen bewusst sein.

Das MCAT ist eine von Gelfüchteten selbst organisierte Gruppe, die mit den Organisationen und Griech:innen vor Ort kooperiert. Sie besteht unter anderem aus Lehrer:innen und Apotheker:innen. Die Geflüchteten können sich bis zu einem bestimmten Grad selbst ganz gut helfen, schreiben die Moria White Helmets. Sie seien nach Europa gekommen, um ein nützlicher Teil der Gesellschaft zu werden. Dies wollen sie in Moria auch unter Beweis stellen. Darum brauchen Sie keine Freiwilligen, die kleinere Aufgaben übernehmen. “Es geht um Respekt. Wir sind keine Tiere im Zoo. Wir sind Menschen.”