Mittwoch, 30.11.2022 / 14:09 Uhr

Berichte aus Iranisch-Kurdistan: „Hier kämpfen einfache Menschen mit leeren Händen für Freiheit“

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Solidaritätsdemonstration mit den Protesten im Iran, Berlin, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Überall im Iran, vor allem aber in den kurdischen Gebieten herrscht Ausnahmezustand und mit äußerster Gewalt unterdrücken Sicherheitskräfte die Protestbewegung.

 

Durch meine Arbeit im Nahen Osten entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten auch viele Kontakte in den Iran. Für sie alle ist es immer gefährlich, wenn bekannt wird, dass sie mit Ausländern kommunizieren, ganz besonders wenn es um Politik geht und diese Ausländer auch noch in engem Kontakt mit der iranischen Exilopposition stehen.

Über einigermaßen sichere Kanäle erhalte ich, so es im Iran Internetzgang gibt, fast täglich Bericht über die Lage vor Ort. Im Folgenden dokumentiere ich einige davon in Auszügen, übersetzt und so anonymisiert, dass die Quellen geschützt sind:

Dienstag 22. November

»Heute haben Sicherheitskräfte wieder sieben Menschen in meiner Stadt erschossen. Die ganze Stadt steht unter Kriegsrecht. Dutzende Menschen wurden verletzt. Trotzdem gehen die Proteste in den kurdischen Städten weiter, aber jeden Tag werden mehr Menschen getötet. In den letzten Tagen waren es mindestens 42 in Iranisch-Kurdistan. 

Wer verletzt ist, kann nicht ins Krankenhaus, denn dort wird man den Sicherheitsdiensten gemeldet und verhaftet.

Leider protestieren die Menschen in anderen Städten nicht mehr so intensiv wie in Kurdistan, und wir fürchten die Proteste werden schwächer. Das Regime versucht, die Menschen im Iran zu spalten und ihre Solidarität mit Kurdistan zu schwächen und will, dass sich die Proteste auf die Kurden beschränken, und sie dann behaupten können, es ginge um Separatismus und alles wäre aus dem Ausland unterstützt. 

Wir fürchten, sie wollen außerdem an uns ein Exempel statuieren, so wie in Syrien, damit andere Angst bekommen vor all dem Tod und der Zerstörung. Ich trauere immer noch sehr um meinen besten Freund, den sie vor einer Woche erschossen haben.«

Donnerstag 25. November

»In den letzten drei Tagen hat das Regime mit Massakern in unserer Stadt begonnen. Leider wurden viele meiner Mitbürger getötet, auch ein enger Freund wurde verwundet, und um nicht verhaftet zu werden, habe wir mit Hilfe eines befreundeten Arztes die Kugeln aus seinem Bein entfernt. Wer verletzt ist, kann nicht ins Krankenhaus, denn dort wird man den Sicherheitsdiensten gemeldet und verhaftet. Verletzte müssen zu Hause bleiben und sich verstecken. 

Die Menschen streiken hier den siebten Tag in Folge. Überall in der Stadt ist Militär, und nachts kommt es zu vielen Verhaftungen. Wir hoffen alle, dass andere Städte im Iran so wie kurdische Städte die Revolution aktiver unterstützen. Es herrscht de facto eine Ausgangssperre, damit niemand demonstrieren kann und an den Zufahrten der Stadt haben sie Blockaden errichtet, damit niemand hineinkommt. Andauernd hört man Schüsse.«

Freitag, 26. November

»Das Internet ist manchmal nur noch eine Stunde in Betrieb, aber ich versuche die Zeit zu nutzen, um akkurate Informationen zu schicken und hoffe, Du verbreitest sie, damit mehr Menschen über unserem Kampf und das Leiden hier erfahren.

Meine Stadt ist zu einer Festung geworden, überall Basiji-Milizen und Soldaten, man fühlt sich wie in einer Kriegssituation. Die Propaganda gegen Kurden und vor allem die kurdischen Parteien, die ihre Büros im Irak haben, wird schärfer. Sie drohen dem Irak mit einer Invasion. Und ich glaube, es besteht die Möglichkeit, dass das Regime sogar damit beginnt, eigene Leute zu erschießen, um dann zu sagen: Das waren Mitglieder kurdischer Parteien.

Aber immer mehr Menschen unterstützen trotz aller Repression die Revolution, und der Zusammenhalt und die Solidarität unter den Menschen ist enorm. Viele sagen: Lieber sterben als weiter unter den Mullahs leben.«

Sonntag, 27. November

»Es wird ein langer Konflikt werden und viele weitere Menschen werden sterben. Wir hören, dass Gefangene systematisch misshandelt und Frauen vergewaltigt werden. Sie hassen alle, die nicht so sind wie sie. Leider gibt es noch immer viel zu wenig Unterstützung aus dem Ausland, und wir brauchen Zugang zu Internet, damit unsere Stimme gehört wird.

Unsere Botschaft ist klar und deutlich: Wir wollen nicht in dem elenden Gefängnis verrotten, in das die Islamische Republik unser Land verwandelt hat.

Ich hoffe, dass im Iran dasselbe passiert wie im Arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten, und dass die Regierung gestürzt wird. Und ich hoffe, dass weniger Menschen getötet werden, denn die, die jetzt sterben, sind die mutigsten und aufrechtesten. Veria Ghafouri, eine der besten iranischen und kurdischen Fußballspieler, wurde gestern festgenommen. Es ist sehr wichtig, ihn zu unterstützen. In den letzten drei Jahren war er stärker als andere Prominente die Stimme der Bevölkerung und hat deshalb viel erleiden müssen. Bitte schreibt auch über ihn.

Was sehr wichtig ist: In den Städten Kurdistans, wo Religion eine größere Rolle spielt als zum Beispiel bei uns und wo sunnitische Mullahs viel Einfluss auf die Menschen haben, gaben Kleriker Erklärungen zur Unterstützung der Volksproteste und der Revolution ab. Verhaftungen haben bereits begonnen und eine Reihe von sunnitischen Mullahs wurden festgenommen.«

Montag, 28. November

»Sie setzten jetzt Maschinengewehre ein, um Menschen in meiner Stadt zu töten. Die Zahl der Todesopfer steigt täglich, und wir wollen nicht in dem Gefängnis verrotten, das die Islamische Republik für uns errichtet hat. Wir kämpfen für die Freiheit und das Leben, das wir verdienen. 

Die Präsenz des Militärs in kurdischen Städten ist so stark, dass sie bei Kindern Angst und Panik auslöst, wenn sie zur Schule gehen. In den Städten Kurdistans wird eine Militärherrschaft errichtet, und der Verkehr wird streng kontrolliert. Es gibt viele Verhaftungen und niemand weiß, wohin sie diese Leute bringen. Verletzten wurden als Strafe Gliedmaßen amputiert. In fast jeder Familie ist jemand betroffen. Aber die Proteste gehen weiter, gestern vor allem an Universitäten sowohl in Teheran als auch in kurdischen Städten.

Unsere Botschaft ist klar und deutlich: Wir wollen nicht in dem elenden Gefängnis verrotten, in das die Islamische Republik unser Land verwandelt hat. Wir kämpfen für die Freiheit und ein Leben, das diesen Namen verdient. Wir hoffen die Nacht, in der wir alle leben mussten ist bald zu Ende. Es gibt nur zwei Alternativen: Wenn wir hier leben wollen, dann müssen die Ayatollahs und das Regime gehen, wenn sie bleiben, müssen wir gehen.

Mir liegen Informationen vor, dass die Revolutionsgardisten jetzt teilweise kurdische Kleidung tragen und auf Zivilisten schießen, um die Toten den kurdischen Parteien in die Schuhe zu schieben. Andere rufen, wenn sie schießen: ›Allah Akbar‹ und filmen sich dabei. Dann verbreiten sie diese Filme mit Fake-Accounts, als ob die vom Islamischen Staat stammen. Sie sind zu allem fähig, sie werden sich noch viel mehr einfallen lassen, weil siemerken, überall im Land wollen die Menschen sie loswerden. Sie sind verhasst und werden fallen, aber sie werden wie Assad in Syrien den Iran vorher verwüsten.

Deshalb bitte verbreite immer wieder unsere Botschaft an all die Menschen, die in Freiheit leben: Hier kämpfen einfache Menschen mit leeren Händen, leeren Taschen und hungrigen Mägen für Freiheit, Frauen- und Menschenrechte und für ein normales Leben. Sie stellen sich gegen eine rücksichtslose und voll bewaffnete Diktatur. Wir geben alle dieser Tage unser Leben für den Sieg der iranischen Revolution, die dann auch ein Sieg aller Menschen sein wird, die an Freiheit und Würde glauben.«

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch