Freitag, 26.01.2018 / 16:51 Uhr

'Afrin wird in den destruktiven Sog des Syrien Krieges gezogen'

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die Kollegen von der taz gazete haben mich über Ursachen und Folgen des türkischen Einmarsches in Afrin interviewt.

Ein Auszug:

Ist es so, dass die kurdische PYD bisher die erfolgreichste der Bürgerkriegsparteien war?

Die PYD agierte taktisch geschickt, strategisch jedoch nicht: Sie versuchte, sich aus dem Bürgerkrieg rauszuhalten und gute Kontakte sowohl zu den USA, als auch zu Russland zu unterhalten – obwohl beide nicht dies gleichen Interessen vertreten. In diesem widerlichen Herumgeschachere um die Konkursmasse Syrien sieht es jetzt aber so aus, dass es eine Annäherung zwischen der Türkei und Russland gibt – und Russland dafür ein Bündnis mit der PYD opfert. Gleichzeitig sieht Russland mit Vergnügen dabei zu, wie die beiden NATO-Verbündeten Türkei und USA aneinander geraten, sich gegenseitig schwächen. Iran, Russland, Assad und letztlich auch Erdogan haben ein gemeinesames Interesse: Die USA soll möglichst bald aus Syrien verschwinden. Der russische Einfluss in Syrien richtet sich allerdings nicht zu sehr auf Nordsyrien, sondern eher auf die Küste und die Häfen. Es geht Russland darum, dass Assad in Damaskus an der Macht bleibt. Nordsyrien ist für die Russen Spielgeld. Ihr Bündnis mit der PYD war ein rein taktisches und kein langfristiges, strategisches.

Es war also für Russland kein Problem, die Kurden aufzugeben?

Der große Fehler der kurdischen Parteien war es immer, dass sie nicht sahen, wann sie als taktische Partner betrachtet wurden, die man schnell wieder fallen lassen kann, und wann als langfristige, strategische Verbündete. Leider passiert das in ihrer Geschichte immer wieder, dass sie da stehen und merken, dass sie geopfert worden sind, in einem miesen Spiel um diese Region. Ob es am Ende den Russen viel bringt, was sie da machen, bleibt offen. Syrien ist kein Schachspiel, bei dem Leute da sitzen und sich überlegen, was der nächste Zug ist. Dieser Bürgerkrieg hat eine eigene, unglaublich destruktive Dynamik, bei dem die Beteiligten eher reagieren statt agieren. Das zeigt sich auch an der türkischen Militäroperation: Erdogan steht mit dem Rücken an der Wand und beginnt jetzt ein Militärabenteuer, dessen Ausgang ungewiss ist.

Kann die türkische Offensive zum Ende eines kurdischen Projekts führen, das von vielen als ein demokratischer Aufbruch in der Region gesehen wird?

Die PYD würde gerne den Eindruck erwecken, dass sie im Namen aller Kurden spricht, was nicht stimmt. Es gibt innerkurdische Opposition gegen den Regierungsstil der PYD, der zum Teil auch repressiv unterdrückt wird. Das ist nicht das wunderbare, demokratische Selbstverwaltungsgebiet, als das es manche deutsche Linke gerne darstellen würden.

Rojava ist kein demokratischer Aufbruch in einer weitgehend von Gewalt erschütterten Region?

Leider herrscht die PYD in Rojava recht autoritär und lässt neben sich keine oder kaum eine Opposition zu. Trotzdem war dieses Gebiet in Nordsyrien bislang – abgesehen vom IS – weitgehend nicht betroffen vom verheerenden Bürgerkrieg. Es wäre eine Tragödie würde nun auch Afrin, in das nebenbei hunderttausende Syrer geflüchtet sind, in den destruktiven Sog dieses Krieges gezogen werden.

Kann es sein, dass Russland die Türkei gewähren lässt, um die PYD zu zwingen, sich dem syrischen Regime unterzuordnen?

Immerhin hat die PYD entschieden, das nicht zu tun. Es liegen Informationen vor, dass Russland der PYD letzte Woche mitgeteilt hat, man würde sie weiterhin schützen, wenn sie sich unter die Oberhoheit von Damaskus stellen. Das hat die PYD abgelehnt. Andererseits erklärten die USA ebenso vergangene Woche, dass sie an einer langfristigen Präsenz in Syrien interessiert sind. Nachdem die USA sämtliche Bündnisse mit der Free Syrian Army und der restlichen syrischen Opposition beendet hat, sind Nordsyrien bzw. Rojava, Raqqa, Hasaka, Qamischli die einzigen Orte, an denen das noch möglich ist. Deshalb spekulierte die PYD darauf, dass die USA sie schützen würden. Die USA sagen jetzt aber: „Wir haben einen Deal mit den Russen: Wir sind mit dem PYD östlich, und die Russen sind mit ihr westlich des Euphrats verbündet. Das heißt: Afrin geht uns nichts an.“ Das haut vorne und hinten nicht hin. Aber nach dieser bizarren Logik funktioniert der Konflikt in Syrien seit Jahren.

Erdogan kündigte an, die „Operation Olivezweig“ nach Manbidsch auszuweiten, wo die USA die kurdische YPG, die Volksverteidigungseinheiten der PYD, trainiert und ausgerüstet haben. Kann es hier zur Konfrontation mit den USA kommen?

Die USA hat die PYD bisher vor der Türkei geschützt, indem sie an der syrisch-türkischen Grenze mit Militärfahrzeugen patrouillierte. Die Frage ist: Wie verhalten sich PYD/ YPG? Was ist, wenn sie wirklich Truppen, die amerikanisch ausgerüstet sind, nach Afrin schicken? Und dann im Prinzip mit NATO-Waffen gegen Nato-Waffen gekämpft wird? Dann denke ich, könnten die USA zu dem Schluss kommen, die PYD fallen zu lassen, weil ihnen langfristig der Nato-Partner Türkei strategisch wichtiger ist. Andererseits denke ich nicht, dass die Türkei Angriffe gegen US-Truppen starten wird. Das wird Erdogan nicht machen, weil der Westen zu wichtig für die Türkei ist.