Donnerstag, 30.05.2019 / 16:36 Uhr

Aufruf zum Sturm der syrisch-türkischen Grenze

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Was dieser Tage an der syrisch-türkischen Grenze geschieht, habe ich hier beschreieben:

An der syrisch-türkischen Grenze wird dieser Tage gerade demonstriert, wie die Zukunft europäisch orchestrierter Flüchtlingspolitik aussehen wird:  Man verhindert einfach, dass Menschen zu Flüchtlingen werden, dann gibt es auch keine Flüchtlingskrise mehr. Mit tätiger finanzieller Mithilfe der EU nämlich hat die Türkei eine quasi unüberwindbare Grenzanlage errichtet und lässt aus Syrien nun einfach keine Menschen mehr hinein.

Allerdings haben auch syrische Aktivisten verstanden, welches Schicksal Europa und die Türkei ihnen zugedacht haben und deshalb einen Aufrug gestartet, morgen in einem Millionen-Mann Marsch die Anlagen zu stürmen und nach Europa zu ziehen:

 

Activists and civil events in the north of Syria called for coming out on Friday, in a million demonstration to break the border and go to Europe.

The demonstrations coordinators said that it is a part of the repel the military campaign launched by the Russian-linked militias on the villages and towns of northern Syria, and as a right of civilians who have no means to defend themselves in the search for options within the available time in line with the defense effort of the Free Army.

"Wir kommen, nicht weil wir wollen, sondern weil uns keine andere Möglichkeit mehr bleibt."

"We have to move to the search for alternatives, because we reject territory controlled by Russia, we do not want the bodies of our children to tear, we are going to Europe in search of peace," the statement said.

 

(Bild: Mit EU-Geldern finanzierter Grenzwall zwischen der Türkei und Syrien)

 

The statement called on the residents of northern Syria to participate in the sit-in on the border and to raise the slogans of migration "which everyone fears", pointing out that its goal is either to reach Europe as the last march reached the Syrian refugees who crossed the European border or to bring the international powers to intervene strongly to stop the Russian crimes.

"Assad kann all das tun, weil er neben der russischen und iranischen Unterstützung auf eines zählen kann: die Gleichgültigkeit des Westens."

Man kann ihnen nur alles Gute wünschen und volle Solidarität aussprechen. Und zugleich sollte nicht unterschätzt werde, wozu sie in der Lage sind: 2015, als die so genannte Flüchtlingskrise eskalierte, tat sie dies auch, weil Syrerinnen und Syrer sich organisiert von Ungarn aus auf den Weg machten. Schon damals riefen sie zu einem solchen Marsch auf ... und hatten durchaus Erfolg. Mit allen Konsequenzen, die daraus folgten.

Eine kleine Erinnerung an das Jahr 2015, als ich in einem Artikel für diese Zeitung schrieb:

Über Jahre schaute man zu, wie wenige hundert Kilometer von den europäischen Außengrenzen entfernt in Syrien eine der größten Flüchtlingskatastrophen nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstand, und tat so, als beträfe sie nur die angrenzenden Nachbarländer.

Nun hat sie Europa mit aller Wucht erreicht. Ob Flüchtlingen nun, was zweifellos die erfreulichere Variante ist, mit Luftballons und Begrüßungskomitees oder aber mit neuen Grenzzäunen empfangen werden, in beiden Fällen drückt sich eine Hilf- und Planlosigkeit aus, auf die nun ausgerechnet syrische Oppositionelle hinweisen: »Wir kommen, nicht weil wir wollen, sondern weil uns keine andere Möglichkeit mehr bleibt.«

Diese Flucht, so der syrische Demokratieaktivist Amr al-Faham, sei teilweise auch organisiert und stelle die europäischen Regierungen, nachdem man jahrelang erfolglos an sie appelliert habe, vor die Wahl, entweder mit einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen konfrontiert zu werden, die kommen, was immer man auch gegen sie unternehmen mag, oder »den Krieg beenden zu helfen und gegen die beiden Wurzeln des Übels, das Assad-Regime und den IS, vorzugehen«.
 

Wenn syrische Aktivisten dieser Tage erneut zum Marsch aufrufen, so auch in Folge der Untätigkeit und Ignoranz Europas. Denn, wie Andrea Backhaus in der Zeit schreibt:

Assad kann all das tun, weil er neben der russischen und iranischen Unterstützung auf eines zählen kann: die Gleichgültigkeit des Westens. Statt Druck auszuüben und eiligst Wege zu finden, um die Menschen in Idlib zu schützen, diskutieren vor allem die europäischen Regierungschefs Dinge, die es in absehbarer Zeit gar nicht geben kann: die Finanzierung des Wiederaufbaus etwa, oder ob und wann die syrischen Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Dass der Krieg in Syrien nicht beendet ist, dass diese Offensive Folgen nicht nur für die Nachbarländer, sondern auch für Europa haben wird, scheint in der westlichen Politik und Öffentlichkeit nicht angekommen zu sein. Es ist auch diese Ignoranz, die so viele Menschen in Idlib dem Tod ausliefert.