Donnerstag, 26.03.2020 / 20:32 Uhr

Corona in Israel: Wenig Grund zu Optimismus

Von
Oliver Vrankovic

Viel Grund nicht pessimistisch zu sein gibt die Realität in Israel gerade nicht her.
 

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(Das erste "Corona Motel" in Israel, Wuelle Wikicommons)

 

Gesundheitskrise, Wirtschaftskrise, politische Krise. Drei in dieser Art beispiellose Krisen zur gleichen Zeit.

Die Zahl der Infizierten steht bei über 2500 womit Israel trotz seiner kleinen Größe nach absoluter Anzahl der Erkrankten in den Top 20 weltweit ist. 5 Tote und düstere Aussichten angesichts der rasanten Ausbreitung. In einem Wettlauf gegen die Zeit müssen im jahrelang heruntergewirtschafteten israelischen Gesundheitssystem Kapazitäten für die Intensivbehandlung der zu erwartend hohen Zahl schwer Erkrankter geschaffen werden. Schon vor Korona verdeutlichten Betten auf Krankenhausfluren die Überlastung des israelischen Gesundheitswesens.

Dazu kommen Kompetenzstreit zwischen dem Gesundheits- und Verteidigungsministerium hinsichtlich der Notstandsverwaltung. Viele Experten verlangen eine viel stärkere Einbeziehung der Heimatfront.

Ein noch härterer Streit zwischen Interessenvertretern der Wirtschaft und Gesundheitsexperten droht angesichts der Restriktionen zu eskalieren, da diese den Einen zu weit und den Anderen nicht weit genug gehen. Die letzte mehrstündige Verhandlungsrunde brachte eine Reihe von weiteren Einschränkungen, wie das Verbot sportlicher Aktivität draußen, die komplette Einstellung des Bahnverkehr und die Reduzierung des Busverkehr auf ein Viertel und das Verbot von take away. Letzteres ist ein sehr gutes Beispiel für das Ringen zwischen zwischen den sich widersprechenden Interessen des social distancing zur Eindämmung der Ausbreitung und des wirtschaftlichen Überlebenskampf kleiner Geschäfte. 600.000 Israelis haben bereits ihre Arbeit verloren und gerade in der Peripherie bedroht das Verbot von take away - nach dem Verbot in Restaurants zu sitzen – zahlreiche Imbisse.

Man hört Abends mehr lautstarke Auseinandersetzungen als sonst und der Nachbarschaftsfunk berichtet bereits von damit zusammenhängenden Eskalationen.

In meinem Viertel, dessen Bevölkerung zum größten Teil orientalischer und nordafrikanischer Herkunft, traditionell und familienverbunden ist und das sich im ganzen Land als Hochburg der Mafia einen Namen gemacht, zeigen einerseits die Grenzen der Durchsetzung staatlicher Verordnungen auf und andererseits deren Umsetzung aus Einsicht in einer angepassten Form.
Hinsichtlich mancher Parameter wie blank liegender Nerven und hoher Gewaltbereitschaft gepaart mit patriarchischen Ansichten ist mein Viertel mit weiten Teilen des Landes vergleichbar.

Bei uns läuft das soziale Leben sonst in Gruppen ab, in denen sich Ledige, Geschiedene und unglücklich Verheiratete zusammenfinden. Die Folgen der Ausgehrestriktionen sind ein vermehrtes Zusammensein von Partnern, die sonst mehr nebeneinander als miteinander leben. Man hört Abends mehr lautstarke Auseinandersetzungen als sonst und der Nachbarschaftsfunk berichtet bereits von damit zusammenhängenden Eskalationen. Im Viertel hat es schon vor Korona oft geknallt und der Gedanke daran, welcher Überdruck da in den nächsten Tagen und Wochen entsteht ist beängstigend. Wenn noch der Nachschub an Gras irgendwann ins Stocken gerät wird es richtig heftig werden.
Inzwischen haben sich kleinere und strenger definierte Gruppen formiert, die am Abend hinter geschlossen Außentoren oder abgehängten Vorhöfen bei heruntergefahrener Lautstärke zusammenkommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute tatsächlich nicht mehr zusammensitzen am Abend würde ich irgendwo bei Null ansetzen. Karaoke Partys aber werden auf absehbare Zeit nicht stattfinden.

 

Am Tag sind wenige Menschen unterwegs und halten Abstand. In Straßenzügen in denen viele Leute unterwegs sind und gleichzeitig social distance betreiben hat es fast etwas von einer Choreografie. Die Spielplätze sind durch Absperrband unzugänglich gemacht. Nachdem dieses einige Male entfernt wurde, wird es inzwischen akzeptiert. Und man sieht seit heute auch die Polizei, die sonst, wenn möglich, einen Bogen um das Viertel macht, auf den Straßen.
Zwei Tage soll die Staatsgewalt erklären und dann anfangen Bußgelder zu verteilen. Mehrere Armeeeinheiten werden zur Unterstützung der Polizei abgestellt werden.

Die Schließung der Synagogen, die als größte Verteilerstationen des Virus ausgemacht wurden (ein Viertel aller Übertragungen fand in Synagogen statt), bedeutet einen großen Einschnitt für die Religiösen, zu denen ungefähr die Hälfte der Bewohner im Viertel zu zählen sind. Seit gestern Abend beten die Religiösen außerhalb der Synagogen und das Viertel wird von Zeit zu Zeit aus den Lautsprecheranlagen, die sonst den Schabbat ankündigen mit Gebeten beschallt.

Pessach steht vor der Tür und ich hab jetzt schon von mehreren Leuten gehört, dass sie "auf keinen Fall" darauf verzichten, in großem Familienkreis zu feiern. Und den Leuten, die denken, die Situation wäre schlecht für die Religionen, sei gesagt, dass ich von Leuten, von denen ich es nicht erwartet hätte, höre, dass Zusammenstehen an Pessach und Rückbesinnung auf Religion hilft, Korona zu besiegen. Im Gemüseladen haben sie sich gefreut, dass Tel Aviv jetzt auch Schabbat hält und "auf den richtigen Weg" kommt.

Ich wohne nur wenige Hundert Meter entfernt von Bnei Brak. Israelweit sind große Teile der orthodoxen Bevölkerung ein großes Hindernis bei der Eindämmung der Ausbreitung. Der Glaube, dass das Studium der Tora wichtiger ist als den Anweisungen Folgen zu leisten, bedeutet, dass entgegen der Verbote weiterhin größere Hochzeiten gefeiert wurden und Religionsschulen offen waren bzw. noch sind. In den gut gefüllten Straßen von Mea Shearim gab es schon gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Staatsgewalt und Orthodoxen, die gewohnt sind, dass der Staat macht, was sie wollen, und nicht umgekehrt. Inzwischen aber scheint die Geduld des Staates aufgebraucht. Positiv ist hier zu vermerken, dass eine größer werdende Anzahl von Rabbinern Einsicht zeigt und zur Befolgung der Anweisungen aufruft.

Eine andere problematische Gruppe – die Tel Aviv Hipster – scheinen inzwischen Einsicht zu zeigen, wenn auch Berichte über geplante geheime Partys für Unbehagen sorgen.

Als spürbare Einschränkung des öffentlichen Lebens wurden bereits vor zwei Tagen die Märkte geschlossen. Im Fernsehen wird mehrfach prominent darauf hingewiesen, dass unter den schwer Kranken ein 45jaehriger Mann ohne Vorerkrankungen ist. Und natürlich immer wieder Bilder aus Italien um den Menschen den Ernst der Lage vor Augen zu führen.

Die israelischen Eltern, die am Limit ihrer Möglichkeiten sind, ihre Kinder im Haus und dieses Haus halbwegs intakt zu halten, erreichte heute die positive Nachricht, dass das Lernen zu Hause wieder voll aufgenommen wird. Das Lernen von zu Hause ist ein Anker im Kampf um Struktur und die zwischenzeitliche Aussetzung aufgrund von Budgetstreitigkeiten war ein Desaster.

Einer der Lichtblicke in der Krise war der israelische Staatspräsident, der auf facebook stream aus einem Kinderbuch vorgelesen hat.

Im Altenheim, in dem ich arbeite, steht seit einigen Tagen die komplette Abriegelung von der Außenwelt als ultimative Maßnahme zum Schutz der Bewohner im Raum und es wurde bereits abgefragt, wer sich mit einschließen lassen wurde. Als jüngster Pflegehelfer im Heim ohne Erkrankungen habe ich zugesagt. Eine andere Entscheidung hätte ich mir nicht verziehen und noch ist es aber nicht so weit. Statt dessen wird im Heimbetrieb immer weiter getrennt. Angestellte wurden in Gruppen eingeteilt, die sich gegenseitig nicht begegnen dürfen und bestimmte Bereiche nicht verlassen dürfen. Der erste Korona Tote in Israel war Bewohner eines Altenheims – ein Holocaustüberlebender.

Besuch ist im Heim schon seit einer Woche nicht mehr erlaubt, auch nicht von den eigenen Kindern.
Dass ich meinen Kolleginnen aus meiner Gruppe während der Arbeit nicht zu nahe kommen darf ist eine eigene Herausforderung, da wir schon vor der Korona Krise eine Schicksalsgemeinschaft waren, die sich oft durch Zuwendung und Umarmungen gegenseitig bestärkt hat.
Zwar haben wir alle die Arbeit im Heim, aber zum Lebensunterhalt hat diese Arbeit nie gereicht. Da den Meisten von uns ihr Zweitverdienst weggebrochen ist, haben wir mit Vollzeitjob in einer Belastungssituation, Kinderbetreuung am Limit und Geldnot zur gleichen Zeit zu kämpfen.

Weder ist absehbar, wann der "Krieg" vorbei ist, noch gibt es die Gewissheit überlegen zu sein und zu gewinnen.

Zu Allem kommt die politische Krise. Im Kampf um den Fortbestand von Demokratie- und Rechtsstaat hat es Gantz geschafft, wichtige parlamentarische Ausschüsse zu bilden, denen tatsächlich fähige Politiker vorstehen. Darunter der zentrale Arrangement Ausschuss, der über die Bildung der parlamentarischen Ausschüsse entscheidet unter dem Vorsitz des ehemaligen Vorsitzenden der Histadruth Avi Nissenkorn, ein Korona Ausschuss unter dem Vorsitz von Ofer Shelah, ein Verteidigungsausschuss unter dem Vorsitz des ehemaligen Generalstabschefs Gaby Ashkenazi, ein Finanzausschuss unter dem Vorsitz eines Abgeordneten der Liberman Partei, ein Pädagogik Ausschuss, der u.a. das nächste Schuljahr vorbereiten soll, unter dem Vorsitz von Nitzan Horovitz, ein Ausschuss zur Bekämpfung der Gewalt im arabischen Sektor unter dem Vorsitz eines Abgeordneten der Vereinten Liste. Derweil führen sich die Wahlverlierer auf wir Sechsjährige, die im Supermarkt nicht die Schokolade bekommen, von der sie denken, dass sie ihnen zusteht.

Die Abgeordneten des Likud boykottieren Abstimmungen und der bisherige Parlamentssprecher spielte mit dem Gedanken sich über eine Anordnung des Obersten Gerichtes hinwegzusetzen, seinen Posten zur Wahl zu stellen und trat schließlich zurück ohne die Wahl durchführen zu lassen und sorgte damit für ein Aussetzen des Parlamentsbetriebs bis zum Inkrafttreten seines Rücktritts. Die Propaganda Postille Israel Hayom behauptet indes die Vereinte Liste würde einem Ausschuss für die Unterstützung von Hinterbliebenen von Terroropfern vorstehen. Fake News, da der provisorische Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem ein Vertreter der Vereinten Liste bis zur Bildung einer Regierung vorsteht, einzig und allein Härtefälle in Folge von Korona bearbeiten wird. In Zeiten, in denen israelische Araber in israelischen Krankenhäusern um Leben kämpfen erscheint das Festhalten mancher hart gesottener Rechter an Anti-Arabischer Propaganda geradezu absurd.

Ansonsten scheint die Sonne als sei nichts gewesen. Ultras basteln Spruchbänder für Ärzte und Schwestern und hängen sie in der Nähe der KKHs auf. In den sozialen Medien wird das Horten von Klopapier diskutiert, Verschwoerungstheorien machen die Runde.

Auch wenn vom gemeinsamen "Krieg" gegen Korona gesprochen wird ist dies nicht vergleichbar mit Krieg. Weder ist absehbar, wann der "Krieg" vorbei ist, noch gibt es die Gewissheit überlegen zu sein und zu gewinnen. Das bei militärischen Auseinandersetzungen erprobte Festhalten am Alltag ist bei diesem "Krieg" das Gegenteil dessen, was richtig ist.