Montag, 08.03.2021 / 20:58 Uhr

Der Fall Farid Hafez: Treueeid auf die Muslimbrüder?

Von
Gasbeitrag von Florian Markl

Farid Hafez will mit der Muslimbruderschaft nichts zu tun haben. Die Staatsanwaltschaft Graz spricht dagegen von einem „Treueeid“ in Ägypten.

 

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Farid Hafiz, Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Einer der wichtigsten Bestandteile der Agitation von Islamisten aller Couleur ist der gegen die mehrheitlich nicht-muslimischen westlichen Gesellschaften gerichtete Vorwurf der „Islamophobie“. Kaum etwas ist besser geeignet, den Zusammenhalt einer Gruppe zu stärken, als das Gefühl, sich gemeinsam gegen eine äußere Bedrohung stellen zu müssen. Aktivisten der Muslimbruderschaft sind deshalb oftmals an vorderster Front zu finden, wenn es darum geht, den Muslimen in westlichen Ländern einzureden, Opfer einer angeblich allgegenwärtigen und unablässigen Islamfeindschaft der Mehrheitsgesellschaft zu sein.

„Tatsächliche Diskriminierung von Muslimen in Einwanderungsgesellschaften“, schreiben Nina Scholz und Heiko Heinisch,„wird von Islamisten zur Untermauerung einer weitreichenden Opferrolle und angestrebten Teilung der Welt in Muslime und Nicht-Muslime funktionalisiert. (…) Die gesamte Geschichte der vergangenen 1400 Jahre wird aus dem Blickwinkel einer muslimischen Gemeinschaft in steter Bedrängnis geschrieben.“

Die Anprangerung einer angeblich weitverbreiteten „Islamophobie“ durch Aktivisten aus dem Dunstkreis der Muslimbruderschaft erfüllt mehrere Zwecke: Sie soll die Muslime als Opfergruppe in einer gemeinsamen Verteidigungs- und Abwehrhaltung zusammenschweißen, soll die Aktivisten und Organisationen der Bruderschaft als diejenigen in Szene setzen, die sich als einzige gegen das von den Muslimen erlittene Unrecht stellten und gleichzeitig dazu dienen, Kritiker der problematischen Aspekte des Islam und insbesondere des konservativen Islamverständnisses der Muslimbrüder als „islamophob“ und „rassistisch“ zu diffamieren.

Gezielt wird mit diesen Vorwürfen der Unterschied zwischen tatsächlich ressentimentgeladener Hetze gegen Menschen, wie man sie von Parteien wie der FPÖ oder der AfD kennt, mit einer der Aufklärung verpflichteten rationalen Kritik an der islamischen Religion eingeebnet. „Islamophobie“ ist, wie Scholz und Heinisch schreiben, ein Kampfbegriff, „der durchgängig dazu genutzt wird, Kritik am Islam oder an Problemen und Menschenrechtsverletzungen innerhalb muslimischer Communities abzuwehren“ und automatisch als ‚anti-muslimischen Rassismus‘ zu etikettieren.“

Unter der Hand werden dabei, wie Sama Maani betont, Menschen aus muslimisch geprägten Ländern und Familien vollständig mit dem Islam identifiziert: „Wer Islamfeindlichkeit mit Rassismus gleichsetzt, erklärt die Zugehörigkeit zum Islam zu einem unabänderlichen, ‚quasi-rassischen‘ Merkmal.“ Wie anderen Menschen von Natur aus braune Haare oder grüne Augen als natürliche Eigenschaften zukommen, wird der Islam in ein natürliches Charakteristikum verwandelt, das zu Muslimen genauso gehöre wie eben die Haar- und Augenfarbe auch.

„Feindbild Islam“

Wie es der Zufall will, liefert uns Farid Hafez ein eindrückliches Beispiel dieser Vorgehensweise: „Feindbild Islam. Über die Salonfähigkeit von Rassismus“ heißt ein 2019 veröffentlichtes Buch, in dem er sich der „Islamophobie“ auf einer stärker theoretischen Ebene widmen will, als das in den diversen „Islamophobie“-Berichten und -Jahrbüchern der Fall ist, mit denen er sich einen Namen als „Islamophobie“-Experte gemacht hat.

Schon im Titel steckt, was Heiko Heinisch in seiner Kritik auf Mena-Watch als einen der „Taschenspielertricks“ bezeichnet hat, auf denen Hafez‘ Arbeit beruht: die Gleichsetzung der „Ablehnung einer Religion oder Weltanschauung mit Rassismus“. Ginge es Hafez wirklich „um Rassismus und um Diskriminierung von Muslimen, was in der Tat ein wichtiges Thema wäre, und nicht um den Schutz des Islam, müsste es heißen: ‚Feindbild Muslim‘.“

So aber wird ein religiöses Bekenntnis von Hafez als unveränderliches Merkmal einer Person konsequent auf eine Stufe mit körperlichen Merkmalen gesetzt. Die Hautfarbe und das Tragen einer religiösen Kopfbedeckung seien, wie Hafez später im Buch schreibt, gleichermaßen „äußerliche Eigenschaften“. Wer sich beispielsweise gegen das religiös vorgeschriebene Tragen von Kopftüchern ausspricht, verwendet für Hafez zumindest „rassistische Denkstrukturen, die sich so sehr in unser Alltagswissen eingeschrieben haben, dass sie als Norm gelten und nicht mehr hinterfragt werden“ – wenn er nicht überhaupt ein „bewusster Rassist“ ist.

Rothschilds, Rockefellers

In seinem Buch über „Islamisch-politische Denker“ wollte Hafez von Antisemitismus rein gar nichts wissen und ließ deswegen den Judenhass der von ihm äußerst vorteilhaft präsentierten Islamisten, von Hassan al-Banna und Sayyid Qutb über Khomeini zu Yusuf al-Qaradawi, völlig unerwähnt. Doch wenn es darum geht, andere als „islamophob“ zu diffamieren, ist in „Feindbild Islam“ der Bezug auf den Judenhass für ihn zentral. So wenig antisemitische Vorwürfe mit dem realen Verhalten von Juden zu tun haben, so wenig hätten „islamophobe“ Argumentationen mit dem Verhalten von Muslimen zu tun.

Allerdings, so gibt Hafez zu bedenken, würde diesen Denkweisen kaum Bedeutung zukommen, wenn sie nicht „gleichzeitig auch an Fakten anknüpften. Wären die Figuren völlig frei erfunden, würde es schwerer fallen, sie als glaubhaft darzustellen.“ Stereotype seien „tragfähiger, wenn sie partiell an die Realität anknüpfen. So knüpft etwa das antisemitische Stereotyp, Juden würden das Bankwesen der Welt regieren, an existierende Familien mit jüdischem Hintergrund wie die Rothschilds oder die Rockefellers an, die im Bankwesen tätig waren.“

Dumm nur, dass die Rockefellers weder jüdisch, noch Bankiers waren. Sie sind tatsächlich ein gutes Beispiel – aber nicht für das Anknüpfen von Stereotypen an die Realität, sondern dafür, wie die eigenen antisemitischen Stereotype, die keinen Bezug zur Realität haben, mit einem Autor durchgehen können. Wenigstens hat Hafez es unterlassen, seinen Lesern den angeblich partiell an die Wirklichkeit anknüpfenden Gehalt von antisemitischen Anschuldigungen wie denjenigen der Brunnenvergiftung, der Hostienschändung oder des Ritualmordes zu erläutern.

Der „islamophobe“ Martin Luther

Interessant, aber alles andere als zufällig ist, dass das partielle Anknüpfen von Stereotypen an Fakten bei Hafez nur im Falle des Antisemitismus eine Rolle spielt, aber völlig unterbleibt, wenn er die Geschichte der „Islamophobie“ nachzeichnet, die er, analog zum Judenhass, als Konstante der europäischen Geschichte darstellt.

Wie Heiko Heinisch hervorhebt, unterschlägt Hafez in den „von ihm aufgezählten Beispielen die jeweiligen Machtkonstellationen, die ihm für seine Theorie [des Rassismus] ansonsten so wichtig sind. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war nicht ‚der Westen‘ die dominierende Weltmacht, sondern zunächst ein arabisches, dann ein persisches und zuletzt ein osmanisches Reich.“

So beklagt Hafez die dämonisierenden Bezugnahmen auf den Islam in der Literatur aus der Zeit der Kreuzzüge, erwähnt aber nicht, dass diese eine Reaktion auf die arabischen/islamischen Eroberungsfeldzüge auf dem Gebiet des Byzantinischen Reiches waren. Zurecht fragt Heinisch:

„Sollten die Bedrohten und Eroberten freundliche Worte für die Aggressoren finden? Der erste Kreuzzug war eine Reaktion auf diese für Byzanz äußert bedrohliche Situation. Dass kriegerische Auseinandersetzungen mit gegenseitigen Polemiken einhergehen, sollte nicht verwundern. Wir finden sie auch auf islamischer Seite. (…) Christliche Länder jener Zeit waren mit einem Islam konfrontiert, der als kriegerische Streitmacht auftrat, die eroberte, versklavte und zwangskonvertierte. Es wäre erklärungsbedürftig, wäre die Reaktion darauf keine abwehrende, feindliche gewesen.“

Dass sich der Realitätsgehalt des „negativen Islambilds“ qualitativ von dem der Judenfeindschaft unterschied, fällt Hafez nicht einmal bei den Personen auf, die beiden Denkweisen anhingen, wie das bei Martin Luther der Fall war. Auch hier ist Hafez nicht in der Lage oder willens, den„historischen Hintergrund, die Bedrohung von Teilen Europas durch türkische Heere, zu veranschaulichen und in seine Bewertung einzubeziehen. Denn anders als Luthers Judenfeindschaft, die auf keiner realen Gefahr basierte – Juden waren weder Invasoren noch Aggressoren –, sondern alleine das Produkt eines allgemeinen Wahns war, war die Gefahr real, die von islamischen Heeren ausging.“

Würde Hafez sich wirklich auf die von ihm vorgebrachten Beispiele einlassen, ohne den jeweiligen Kontext auszublenden und die zugrundeliegenden Fakten zu vernebeln, so würde deutlich werden, dass Antisemitismus und „Islamophobie“ eben keineswegs die vergleichbaren, auf denselben Mechanismen beruhenden Phänomene sind, als die er sie partout verstanden wissen will.

Hafez‘ selektiver Blick auf die Geschichte dient der Untermauerung seines Hauptanliegens, alles, was den Islam irgendwie anders als in rosigem Licht erscheinen lässt, als Ausdruck von „Islamophobie“, „Islamfeindlichkeit“ und „antimuslimischem Rassismus“ zu brandmarken. Diese Begriffe trennscharf zu definieren, gelingt ihm in „Feindbild Islam“ genauso wenig wie in seinen anderen Publikationen zum Thema „Islamophobie“.

Aus Armin Pfahl-Traughbers zurückhaltender Sicht hat man es hier mit einem Werk zu tun, „das die selbstgestellten Ansprüche nicht nur hinsichtlich einer Begriffsbestimmung nicht erfüllt.“ Heinischs Urteil fällt dagegen deutlicher aus: Ihm zufolge hat Hafez „eine schwer lesbare ideologische Arbeit vorgelegt, die ein politisches Konzept postuliert, während sie vorgibt, ein Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Oder anders gesagt: Hier gibt sich ein politischer Aktivist als Wissenschaftler aus.“

Der European Islamophobia Report

Diesem Versteckspiel kann bei den von Hafez seit 2015 jährlich mitherausgegeben European Islamophobia Reports kaum jemand auf den Leim gehen – zu offensichtlich ist, wie hier mit dem politischen Kampfbegriff „Islamophobie“ um sich geworfen wird, um alle möglichen Menschen als islamfeindlich und rassistisch an den Pranger zu stellen, von tatsächlich ressentimentgeladenen rechten Politikern über kritische Wissenschaftler und Dissidenten aus arabischen Ländern bis hin zu Journalisten, die sich im Zuge ihrer Arbeit auch den weniger schönen Seiten des Islam und den Problemen in islamischen Communities zuwenden und Hafez schon allein deshalb ein Dorn im Auge sind.

Im profil listete Gernot Bauer einige der Fälle auf, die sich in der 2015er-Ausgabe dieses Machwerks finden ließen: Nachforschungen des österreichischen Heeresabwehramts wegen des Verdachts auf Islamismus bei Bundesheerrekruten; ein Zeitungskommentar, in dem Muslime zur Gleichbehandlung von Töchtern und Söhnen aufgefordert wurden; Warnungen, unter ins Land gekommenen Flüchtlingen könnten sich auch IS-Kämpfer befinden; und die Forderung nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft im Falle der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – alles das stellt für Hafez & Co. „Islamophobie“ und Rassismus dar. Und das ist noch vergleichsweise harmlos im Gegensatz zu der Art und Weise, wie mit innerislamischen Kritikern umgegangen wird: hier werde der Bericht „offen denunziatorisch“.

„Mit einer seriösen wissenschaftlichen Bestandsaufnahme oder gar Forschung hat das Ganze nichts zu tun“, konstatierten Nina Scholz und Heiko Heinisch auf Mena-Watch anhand des Reports von 2016. Das Österreich-Kapitel, verfasst von Hafez, sei ein Sammelsurium von „willkürlichen und teils verwirrenden Aufzählungen“ von Fällen, die anhand von nicht ausgewiesenen und noch weniger nachvollziehbaren Kriterien vom Autor als „islamophob“ klassifiziert würden. Darüber hinaus habe Hafez „leider durchwegs darauf verzichtet, überprüfbare Quellen anzugeben, also etwa die Bilder [von ‚islamophoben‘ Graffitis oder Aufklebern] mit genauen Orts- und Datumsangaben zu versehen“.

Der European Islamophobia Report stellt für Scholz und Heinisch einen „Puzzlestein in der Propaganda-Strategie islamistischer Organisationen“ dar, die das Ziel verfolge, „politische Gegner als rassistisch und muslimfeindlich zu denunzieren“. Mit dem „Islamophobie“-Vorwurf versuchten politisch-islamische Gruppen von der türkischen AKP bis zur Muslimbruderschaft, die „Deutungshoheit über die Islam-Diskurse zu erlangen“. Organisationen, die vornehmlich mit dem Kampfbegriff „Islamophobie“ operieren, „können fast ausnahmslos dem organisierten politischen Islam zugerechnet werden“.

Lachen über eine massakrierte Redaktion

Nicht überraschend ist daher, dass einige der von Hafez eingebundenen Co-Autoren höchst problematisch sind. So etwa handelte es sich beim Verfasser des Frankreich-Kapitels im Report von 2016 um Yasser Louati, den ehemaligen Sprecher des Collectif contre l’Islamophobie en France (CCIF), das dem Netzwerk der Bruderschaft zugerechnet wurde und nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty mit seiner Selbstauflösung im November 2020 nur einem behördlichen Verbot zuvorkam.

Das Kapitel über Großbritannien wurde 2016 von Arzu Merali geschrieben, einer Mitgründerin der Islamic Human Rights Commission (IHRC), bei der es sich laut Scholz und Heinisch um eine „islamistische, manche sprechen von neo-khomeinistische, Organisation“ aus London handelt, „die in Verdacht steht, die libanesische Hisbollah zu unterstützen“. 2015, zwei Monate nach dem islamistischen Massaker in den Büros der Satirezeitschrift Charlie Hebdo verlieh die IHRC ihren „Islamophobe of the Year Award“ an die Redaktion der Zeitschrift – und machte sich dann darüber lustig, dass keiner der Ausgezeichneten zur Preisverleihung erschien.

Eine Stiftung ganz nach Erdoğans Geschmack

Herausgegeben und mitfinanziert wird der European Islamophobia Report von der 2005 gegründeten Siyaset, Ekonomi ve Toplum Arastirmalari Vakfi (Stiftung für Politik-, Wirtschafts-und Sozialforschung, kurz: SETA). Personell wie ideologisch ist SETA klar dem Lager des islamistischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner AK-Partei zuzuordnen, die auf internationaler Ebene heute zu den wichtigsten Fürsprechern der Muslimbruderschaft zählen und als eine Art türkisches Pendent betrachtet werden können.

Einer Studie der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik zufolge ist SETA „eng mit der Regierung“ verbunden. Im Falter wies Nina Scholz auf einige der personellen Verflechtungen hin, denen sich zahlreiche weitere hinzufügen ließen:

„Der Gründungsdirektor von SETA, der Theologe Ibrahim Kalın ist heute Sprecher von Erdoğan. Bereits 2009 war er von diesem zum außenpolitischen Berater ernannt worden. (…) Aus der aktuellen Beantwortung einer Anfrage der Partei ‚Die Linke‘ an die deutsche Bundesregierung, geht hervor, dass die SETA Stiftung von der einflussreichen Familie Albayrak finanziert wird. Sadik Albayrak ist ein enger Freund Erdoğans. Sein Sohn Berat ist türkischer Finanzminister und Erdoğans Schwiegersohn. Serhat, ein zweiter Sohn, leitet die mächtige regierungsnahe Mediengruppe Sabah und ist – auch das keine Überraschung mehr – der aktuelle Chef der SETA-Stiftung.“

Erinnerte die Stiftung in ihren Anfangsjahren eher noch an einen normalen außenpolitischen Thinktank, so vollzog sie, wie Gernot Bauer im profil bemerkte, infolge des Putschversuches in der Türkei 2016 den Wandel zu einer „Verlautbarungsstelle im Kampf gegen die Gülen-Bewegung, die von Erdoğan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird.“ Wenn sie nicht gerade Hafez‘ Islamophobie-Berichte vertreibt, diffamiert sie Journalisten, die sie als Gegner des türkischen Präsidenten betrachtet, oder Menschen, denen sie die Unterstützung von „Terrororganisationen“ vorwirft.

So geschehen etwa in einem SETA-Bericht über „die Struktur der PKK in Europa“, in dem auch etliche Österreicher an den Pranger gestellt wurden. Der dänische Geheimdienst hielt „den Bericht für so gefährlich, dass er alle Personen aus Dänemark, die in ihm erwähnt wurden, warnte. Außenminister Jeppe Kofod legte Beschwerde bei seinem türkischen Amtskollegen ein, woraufhin sich SETA gezwungen sah, die Namen von 35 Personen aus dem Bericht zu streichen.“

Für Hafez kein Problem – warum auch?

Die von SETA im Deckmantel der Wissenschaftlichkeit daherkommende Vernaderung von Kritikern des türkischen Präsidenten und seiner in vielerlei Hinsicht aggressiven Politik scheint für Farid Hafez kein Problem darzustellen – im Grunde passen seine hunderte Seiten dicken „Islamophobie“-Berichte mit all ihren haarsträubenden Diffamierungen angeblich „islamophober Rassisten“ bestens in das SETA-Umfeld.

Hafez betont, dass es bei den von ihm mitherausgegebenen European Islamophobia Reports „keine einzige Intervention von Seiten SETA gegeben hat, was den Inhalt anbelangt“, ihm werde „absolute Freiheit gegeben“. Doch warum hätte SETA auch Einsprüche gegen seine Arbeit erheben sollen? Seine Berichte fügen sich doch bestens in den von den Muslimbrüdern, der AKP und anderen Islamisten ausgerufenen Kampf gegen die angeblich allgegenwärtige westliche „Islamophobie“.

Geld von der EU

Zu erwähnen ist hier noch, dass für die Finanzierung von Hafez‘ „Islamophobie“-Berichten nicht allein SETA aufkommt – sondern auch die EU, die im Jahr 2018 rund 127.000 Euro dafür aufbrachte. Seit das bekannt wurde, hagelte es allerdings Kritik. Das österreichische Außenministerium erklärte: „Wir lehnen sowohl die Schlussfolgerungen als auch die Methodologie dieses Berichts klar ab“, es bedürfe einer Überprüfung der Förderungskriterien der EU.

In einem offenen Brief forderten einige der von Hafez und seinen Mitstreitern diffamierten Personen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, "die Zusammenarbeit mit und die finanzielle Unterstützung von türkischen Organisationen einzustellen, die ihre Aufgabe darin sehen, Bürgerinnen und Bürger Europas, die sich öffentlich und kritisch mit der türkischen Regierungspolitik und politisch-islamischen Strömungen in Europa beschäftigen, in regelmäßigen Denunziationsberichten öffentlich anzuprangern.“

Die Appelle dürften Erfolg gehabt haben: Verkündete der Bericht für das Jahr 2018 gleich zu Beginn noch prominent, dass er von der Europäischen Union gefördert wurde, fehlen derartige Hinweise in der Ausgabe für das Jahr 2019: hier tritt nur mehr SETA als Förderer in Erscheinung.

Eine Konferenz in Köln

Im Januar 2019 fand in Köln eine interessante Konferenz namens „II. Treffen der europäischen Muslime“ statt. Veranstaltet wurde diese Zusammenkunft von der türkischen Religionsbehörde Diyanet in der Zentralmoschee des der Behörde unterstellten Verbandes DITIB (dem deutschen Pendent zur österreichischen ATIB). Gegenstand der Konferenz, an der mehr 150 Teilnehmer aus 17 Ländern beteiligt waren, war die „Zukunft der Muslime in Europa“.

Laut der Rechercheplattform Addendum gaben sich in Köln „einige führende Köpfe der europäischen Muslimbruderschaft ein Stelldichein“, darunter der bereits mehrfach erwähnte Ibrahim el-Zayat, der als Ehemann der Nichte von Milli Görüş-Gründer Necmettin Erbakan die Verbindung zwischen dem arabischen Islamismus nach Art der Bruderschaft mit dem türkischen Islamismus von Milli Görüş in seiner Person verkörpert.

Diese immer enger werdende Verknüpfung fand Addendum zufolge auch in der Abschlusserklärung der Kölner Konferenz Niederschlag: In ihr wurde der organisatorische Zusammenschluss von Diyanet und Muslimbruderschaft für Europa unter der Führung der Diyanet beschlossen. Massive Auswirkungen auf die jetzt schon von Diyanet und Muslimbruderschaft dominierten Islamverbände in Europa sind damit vorprogrammiert. Es macht den Eindruck, als würden die europäischen Islamverbände auf die Linie der Muslimbruderschaft eingeschworen.“

Laut dem Artikel fanden sich auf der Teilnehmerliste der Konferenz aus Österreich die Namen von IGGÖ-Präsident Ümit Vural, der aus der Islamischen Föderation Wien und damit aus der islamistischen Milli Görüş kommt, der Name eines Mitglieds des Obersten Rates der IGGÖ – und der eines gewissen „Dr. Hafez Farid“.

Eine lange Kette von Zufällen

In einem Interview vor zwei Jahren beklagte sich Hafez, womit er sich herumzuschlagen habe:

„(D)er Vorwurf lautet ja nie: Der oder der ist Muslimbruder. Denn das müssten sie dann beweisen, und das können sie nicht. Sondern man sagt: Der kennt jemanden aus dem Umfeld von jemandem, der jemanden kennt. Das lässt sich aber nicht diskutieren. Deshalb finde ich das haltlos und will mich damit auch nicht auseinandersetzen.“

Wie zu Beginn dieser Serie erläutert haben, gibt es die Muslimbruderschaft in Österreich als offizielle Organisation nicht. Doch wenn man die Bruderschaft mit ihrem ehemaligen obersten Führer als eine „globale Bewegung“ begreift, „deren Mitglieder auf der ganzen Welt miteinander kooperieren, basierend auf der gleichen religiösen Weltanschauung“ (Mohammed Akef), dann lässt sich die Frage der Zugehörigkeit nur über persönliche Verbindungen, inhaltliche Übereinstimmungen und andere derartige Indizien klären.

Im konkreten Fall von Farid Hafez lauten diese Indizien:

  • dass er eine islamische Jugendgruppe mitgründete, der immer wieder eine Nähe zur Muslimbruderschaft nachgesagt wurde, die selbst eingesteht, zumindest eine Zeitlang (außerordentliches) Mitglied eines der Muslimbruderschaft zugerechneten Netzwerks von Jugend- und Studentenorganisationen gewesen zu sein, und die in ihrem Namen ein Gebetsbuch aus der Feder des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, herausbrachte;
  • dass er eine huldigende Biografie des ehemaligen IGGÖ-Chefs Anas Schakfeh verfasst hat, dem immer wieder nachgesagt wurde, zur syrischen Muslimbruderschaft zu gehören, und der den aktuellen Vordenker der Muslimbruderschaft, Yusuf al-Qaradawi, für einen so „großen Gelehrten“ hält, dass Schüler im islamischen Religionsunterricht jahrelang ein Buch des Islamisten und Antisemiten Qaradawi vorgesetzt bekamen;
  • dass er an einem Institut gelehrt hat, dessen Direktorin an der Kaderschule der Muslimbruderschaft studiert hat, ein Buch des Muslimbruder-Pioniers in Europa und Schwiegersohn von Hassan al-Banna, Said Ramadan, herausgegeben hat und Leiterin einer mutmaßlich von einem Deckverein der Muslimbruderschaft betriebenen und letztlich wegen fehlender Verfassungstreue aufgelösten islamischen Schule war;
  • dass er in seiner Lehre an diesem Institut (und sodann in seinem Buch über „Islamisch-politische Denker“) die Vordenker und Ideologen der Muslimbruderschaft (und andere Islamisten wie Khomeini) weitgehend kritiklos und von allen ihren problematischen bis abstoßende Seiten (wie dem teils rabiaten Antisemitismus) gesäubert präsentierte; und
  • dass er ganz im Sinne der Muslimbruderschaft und anderer Islamisten mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ herumwirft, um Kritiker am Islam zum Schweigen zu bringen und als Rassisten zu diffamieren, und sich dafür von einer Stiftung aus dem engeren Umfeld des islamistischen türkischen Präsidenten und Förderers der Muslimbruderschaft, Recep Tayyip Erdoğan, bezahlen lässt.

Kurz gesagt hat Hafez in seiner Karriere immer wieder zumindest mit dem Dunstkreis der Muslimbruderschaft zu tun – wenn er nicht, wie in Köln, mit mutmaßlich führenden Muslimbrüdern aus Europa direkt an einem Konferenztisch saß. Ein großer Teil seiner Arbeit verträgt sich bestens mit den Absichten der Muslimbruderschaft, sei es sein Versuch, angehenden Religionslehrern die Tradition „politisch-islamischer Denker“ (darunter al-Banna, Qutb und Qaradawi) schmackhaft zu machen, sei es, indem er großzügig von ihm als Gegner wahrgenommene Personen als „islamophob“ und rassistisch verunglimpft.

Aus alledem darf man, wenn es nach Farid Hafez geht, auf keinen Fall den Schluss ziehen, dass er selbst mit der Muslimbruderschaft etwas zu tun habe. In seinem Fall soll der sogenannte Ententest in die Irre führen: Es mag zwar aussehen wie eine Ente, schwimmen wie eine Ente und quaken wie eine Ente – soll in Wirklichkeit aber etwas völlig anderes sein.

Staatsanwaltschaft Graz (Aktenzahl 16 St 52/19t)

Die Staatsanwaltschaft Graz, die dafür verantwortlich ist, dass Hafez, für den die Unschuldsvermutung gilt, am 9. November 2020 unerbetenen Besuch von der Polizei erhielt, glaubt das nicht: Gestützt u.a. auf Informationen aus abgehörten Telefongesprächen sowie die Aussage eines anonymen Hinweisgebers zählt sie Hafez, zusammen mit fünf weiteren Personen, zu den „führenden Muslimbrüdern in Österreich“. (Bei einer dieser anderen Personen handelt es sich um einen der wenigen Fälle, in denen sich jemand öffentlich – wenn auch nicht in Österreich und nicht auf Deutsch – zu seiner Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft bekannt hat.)

Hafez selbst steht laut Staatsanwaltschaft unter dem Verdacht, dass er „eine führende Tätigkeit innerhalb der Muslimbruderschaft in Österreich ausübt“. Er soll „maßgeblich an Aktivitäten beteiligt [sein], welche der Anwerbung, Indoktrinierung, der Ausbildung und der Heranführung von Personen an das ideologische Umfeld der Muslimbruderschaft dienen“.

Gestützt auf die Aussage des Hinweisgebers behauptet die Staatsanwaltschaft darüber hinaus, dass Hafez im Zuge einer mit Mitstreitern gemachten Reise „bei einem ‚Murschid‘ (arabisch für Führer) von ‚Ichwan‘ (arabisch für Muslimbrüder) in Ägypten gewesen sei und dort (…) den Treueeid abgelegt“ habe.

Dass Hafez sich an der „Indoktrinierung“ und „Heranführung von Personen an das ideologische Umfeld der Muslimbruderschaft“ beteiligt, ist angesichts der in dieser Artikelserie zusammengetragenen Belege eine durchaus plausible Behauptung. Was den konkreten Vorwurf betrifft, in Ägypten der Muslimbruderschaft die Treue geschworen zu haben, antwortete Hafez auf Anfrage von Mena-Watch per Mail in aller Kürze: „Das ist alles eine Lüge.“

(Bisher erschienen:

  • Der Fall Farid Hafez (Teil 1): Wer oder was ist die Muslimbruderschaft in Europa? | Was wollen die Muslimbrüder? | Der Fall Farid Hafez.
  • Der Fall Farid Hafez (Teil 2): Jugendlicher Aktivismus | Beten mit Hassan al-Banna | Anas Schakfeh | Der Vordenker der Muslimbruderschaft? Ein „großer Gelehrter“. | „Zweifellos unter dem Einfluss“ der Muslimbruderschaft.
  • Der Fall Farid Hafez (Teil 3): Bildung, Bildung und wieder Bildung | Islamischer Unterricht | Im Netz der Bruderschaft | „Islamisch-politische Denker“ – lauter Demokraten! | Antisemitismus? Fehlanzige | Apologie der Muslimbrüder)