Donnerstag, 29.04.2021 / 21:09 Uhr

Free Hugs in Kurdistan und die Folgen

Von
Amed Sherwan
Free hugs

Vor 5 Tagen hat ein Paar in einem Café in Silêmanî spontan einen wunderschönen Tanz hingelegt. Silêmanî ist ein modernen Ort, an dem das eigentlich nichts Ungewöhnliches ist. Doch der Tanz ist gefilmt und ins Netz gestellt worden. Keine Stunde danach sind die ersten wütenden Stellungsnahmen islamistischer Gruppen und Parteien und Drohungen gegen die Betreiber des Cafés und das Paar aufgetaucht. Die Stimmung hat sich sehr schnell aufgepeitscht. Das Paar hat sich öffentlich dafür entschuldigt, die religiösen Gefühle zu verletzen. Der Betreiber hat erklärt, dass sowas öfter vorkommt und nicht unterbunden werden kann, weil es kein Gesetz dagegen gibt. Das Café hat aber dennoch schließen müssen und viele Menschen haben gefordert, das Paar vor Gericht zu stellen. Eine große Gruppe islamistischer Männer ist dann am nächsten Tag im Café aufmarschiert und hat dort demonstrativ gebetet. In dem Zusammenhang haben einige Islamisten sich beschwert, dass das zu spät sei, man hätte direkt vor Ort sein müssen, um so ein Verhalten mit Gewalt zu verhindern und zu bestrafen. Erschreckenderweise hat dieser wütende Mob sehr viel Zustimmung bekommen, sogar aus moderateren religiösen Kreisen. Es sei unangemessenes Verhalten, gerade im Ramadan.

Vor 3 Tagen hat die syrische Sängerin und YouTuberin Caroline Merlini sich mitten im Zentrum von Hewlêr (Erbil) mit einem Schild mit der Aufschrift »Free hug« hingestellt, während ein Freund sie dabei gefilmt hat. Die Aktion ist nicht neu und angesichts des Infektionsgeschehens wahrscheinlich auch nicht besonders schlau. Dennoch haben Menschen sich zunächst gefreut. Nach wenigen Minuten hat sich jedoch ein wütender Mob um sie versammelt und geschimpft, was ihr einfiele, so etwas Ehrloses mitten im Ramadan zu veranstalten. Am selben Abend haben sich Hunderte im Zentrum versammelt und gegen diese Aktion protestiert und »free paradise« statt free hug gefordert. Die Frau ist so heftig bedroht worden, dass sie ein Video an die kurdische Presse geschickt hat, wo sie sich völlig aufgelöst entschuldigt, und unter Tränen beteuert, dass sie mit der Aktion nur zeigen wolle, wie freundlich Erbil sei. Sie liebe Erbil und wolle damit der arabischen Welt die Augen dafür öffnen, wie schön Kurdistan sei. Das ist wohl ziemlich nach hinten losgegangen.

 

Glücklicherweise mischen sich kritische Stimmen in die Debatte und unterstrichen, dass weder Tanz noch Umarmungen unangemessenes Verhalten sind. Viele fordern, dass man eher gegen die Ehrlosigkeit von Kinderehen und Korruption vorgehen sollte. Die kurdische AbgeordneteShady nawzad شادی نەوزاد ist eine besonders scharfe Kritikerin der aktuellen Vorgänge. Sie sagt, dass Daesh zwar offiziell als besiegt gilt, die Ideologie aber noch lebt. Sie warnt vor islamistischen Kräften, die überall in die Gesellschaft dringen. Und sie skandalisiert, dass es inzwischen in Kurdistan schon Bücher zu kaufen gibt, die so extremistisch sind, dass sie in vielen muslimischen Ländern verboten sind. Wenn das so weiter geht, läuft Hewlêr aus ihrer Sicht Gefahr das nächste Raqqa zu werden.

Ich hoffe, dass sich ein breiter Protest gegen den Islamismus bildet! Islamisten waren schon meiner Jugend eine Weile sehr stark in Kurdistan. Das darf nicht noch mal passieren!