Donnerstag, 20.05.2021 / 09:54 Uhr

Narco-Staat Syrien

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die Führungsclique rund um den syrischen Präsidenten Assad transformiert den syrischen Staat in eine Art Mafiazentrale mit Staatsflagge und UNO-Sitz.

 

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Beschlagnahmung von Captagon in Italien, Bildquelle: Youtube

 

Wer über die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Recherche von Bellingcat, dem Centre for Operational Analysis and Research und dem Guardian wirklich überrascht ist, muss in den letzten Jahren eine der wichtigsten Entwicklungen im Nahen Osten verschlafen haben: Nach 2011 haben sich Syrien und der Libanon, genauer die Hisbollah, zu zwei bedeutender internationaler Drogenexporteure entwickelt.

Damit dürfte Syrien das einzige Land auf der Welt sein, das nicht nur indirekt von Drogenhandel profitiert – derer gibt es weltweit viele –, sondern in dem der Staat selbst diese Drogen produziert und sie zu einer der Haupteinnahmequellen einer völlig zerrütteten Ökonomie geworden sind.

Die in Frage stehende Droge ist Captagon, ein Amphetamin, das bis vor einiger Zeit auch in Europa in Apotheken erhältlich war. Wurde es zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges noch bevorzugt als Aufputschmittel etwa der, durch ihre besondere Brutalität bekannt geworden assadtreuen Shabiha Milizen genutzt einwickelte es sich zu einem wichtigen Exportgut Syrien. In der Vergangenheit verdienten daran auch einige der bewaffneten Oppositionsgruppen, heute allerdings hat das Regime de facto ein Monopol auf Produktion und Vertrieb.

 

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Shabiha Milizionäre, Bidquelle: Twitter

 

Captagon wirkt in größeren Mengen konsumiert wie Crack, ist billig in der Herstellung und hat inzwischen nicht nur im Nahen Osten, sondern auch Europa einen wachsenden Absatzmarkt. Letztes Jahr wurden beispielsweise vierzehn Tonnen (84 Millionen Pillen) davon in Neapel beschlagnahmt. Umgehend verbreiteten russische und andere Assad verbundene Medien die Geschichte, das Zeug stamme vom Islamischen Staat.

Wichtiger Teil der Staatseinnahmen

Schon damals wurde zu Recht die Frage gestellt, wie die Überreste der Jihadisten-Truppe es wohl geschafft haben mögen, eine solche Menge an Drogen aus einem vom syrischen Regime kontrollierten Hafen zu verschiffen. Dank der neuesten Recherche ist nun endgültig klar: Es ist die Regierung selbst bzw. – was eigentlich aufs gleiche hinausläuft – die das Land regierenden Familienclans, die mit Hilfe der Hisbollah das Captagon in großer Menge produzieren und auch ins Ausland verschicken.

Neben Captagon verdienen vor allem die Hisbollah aber auch das syrische Regime noch gut an Haschisch, das vor allem in der Bekaa-Ebene angebaut wird.

In dem eingangs zitierten Bericht heißt es deshalb treffend:

„Syrien ist ein Narkostaat mit zwei Hauptdrogen, die Anlass zur Sorge geben: Haschisch und das amphetaminartige Stimulans Captagon (…) Syrien ist das globale Epizentrum der Captagon-Produktion, die heute industrialisierter, flexibler und technisch ausgefeilter denn je ist. Im Jahr 2020 erreichten die Captagon-Exporte aus Syrien einen Marktwert von mindestens 3,46 Mrd. Dollar [2,86 Mrd. Euro]. Während es sich hier um eine Schätzung handelt, ist eine deutlich höhere Summe durchaus möglich.

Obwohl der Captagon-Handel einst zu den Finanzierungsquellen der bewaffneten nicht- bzw- antistaatlichen Gruppen gehörte, hat die Konsolidierung der territorialen Kontrolle es dem Assad-Regime und seinen wichtigsten regionalen Verbündeten ermöglicht, ihre Rolle als Hauptnutznießer des syrischen Drogenhandels zu festigen.“

2,86 Milliarden Euro Marktwert sind für Syrien ein bedeutende Summe, dürften auf jeden Fall zu den wichtigsten Staatseinnahmen gehören, zusammen mit dem systematischen Abschöpfen internationaler Hilfsgelder, die eigentlich für die darbende Bevölkerung gedacht wären. Schließlich belief sich der gesamte Haushalt für 2021 gerade einmal auf 2,2 Milliarden Euro, gerade mal ein Drittel des Haushalts von 2010.

Syrien ist nicht nur seit langem bankrott und das Regime überlebt – auf immer niedrigeren Niveau – bloß dank massiver Kredite und Zuschüsse aus dem Iran und Russland. Trotzdem verliert das Syrische Pfund kontinuierlich an Wert während Preise für alles, vor allem für Grundnahrungsmittel und Benzin, stetig steigen.

Derweil transformiert die das Land regierende bzw. ruinierende Elite sich ganz offen und schamlos immer schneller in ein kriminelles Racket und den Staat, den sie kontrolliert und als ihr Eigentum betrachtet, in eine Art Mafiazentrale mit Staatsflagge und Sitz in der UNO.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Mena-Watch