Donnerstag, 17.06.2021 / 22:10 Uhr

Ein neuer Khamenei im Iran?

Von
Gastbeitrag von Hossam Sadek

Mit den Präsidentschaftswahlen, bei denen der Sieger bereits festzustehen scheint, will Khamenei zwei Botschaften aussenden: dass Raisi sein Nachfolger werden soll und dass jedweder Protest gewaltsam verfolgt werden wird.

 

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Zerstörtes Wahlposter Resais, Bildquelle: NCR-Iran

 

Die Iraner gehen am 18. Juni an die Urnen, um in einer Präsidentschaftswahl abzustimmen, bei der der Sieger bereits festzustehen scheint: der dem Obersten Führer Ali Khamenei nahestehende Ebrahim Raisi. Die erwartete Wahl von Raisi zum iranischen Präsidenten ist dabei allerdings nur ein Schritt in Richtung eines größeren Ziels: der konservative Kleriker soll dem seit Jahren an gesundheitlichen Problemen leidenden Khamenei nachfolgen und in die Position des Obersten Führers aufrücken.

Sechst Kandidaten, von denen die fünf als (ultra)konservativ und einer als gemäßigt gelten, treten am kommenden Freitag in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen an. Erhält kein Kandidat die absolute Mehrheit, findet am 25. Juni der zweite Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten statt, die die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht schrieb das britische Magazin The Economist, dass die iranischen Wahlen quasi für Ibrahim Raisi arrangiert wurden: „Es gibt keine freien Wahlen im Iran, in dem die Kleriker die oberste Macht haben und jeden Kandidat ohne Angabe von Gründen von den Wahlen ausschließen können.“

Das Magazin fügte hinzu: „Mehr als 600 Kandidaten haben sich für die Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen beworben, die für den 18. Juni angesetzt sind, aber der Wächterrat, dem Juristen und Kleriker angehören und der die Kandidaten eine Überprüfung unterzieht, hat nur sieben Kandidaten zur Teilnahme zugelassen.“ Ein ursprünglich zugelassener Kandidat stieg am Mittwoch freiwillig aus dem Rennen aus.

Mächtiger Funktionär mit Blut an den Händen

Raisi ist ein 60-jähriger konservativer Kleriker und Politiker, der 2016 von Khamenei zum Leiter der gemeinnützigen Stiftung „Astan Quds Razavi“ ernannt wurde, die die Angelegenheiten des berühmten den Imam-Reza-Schrein in Maschhad – eines der wichtigsten Heiligtümer im Iran – betreut.

Die Stiftung hat aber nicht bloß religiöse und politische Macht, sie erhält auch enorme Geldsummen, die in verschiendenste Projekte investiert werden. Sie besitzt Immobilien, Grundstücke sowie Unternehmen in verschiedenen Bereichen, wie z.B. im Bauwesen, im Tourismus und in der Konsumgüterindustrie. Mit anderen Worten: Die Organisation kann als Racket: als ein Art Staat im iranischen Staat bezeichnet werden.

Wer solch eine so Wohltätigkeitsorganisation leitet, führt also zugleich ein wirtschaftliches Imperium, was Ebrahim Raisi in den drei Jahren seiner Leitung der „Astan Quds Razavi“-Stiftung große politische Macht und Einfluss in verschiedenen Bereichen verschaffte. Nicht zuletzt deswegen ernannte der Oberste Führer Khamenei den als „Blutrichter“ berüchtigten Raisi im März 2019 zum Chef der iranischen Judikative.

Raisi ist für seine konservativen Ansichten bekannt und wird beschuldigt, eine wichtige Rolle bei der Aburteilung und Hinrichtung von Tausenden von Gefangenen in den späten 1980er Jahren gespielt zu haben. Der heutige Präsidentschaftskandidat diente in den 1980er Jahren auch als stellvertretender Generalstaatsanwalt für das iranische Revolutionsgericht in Teheran, wo er an Prozessen beteiligt war, im Zuge derer politische Gegner des Regimes reihenweise zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

In Khameneis Fußstapfen

Generell stiegen Raisis Chancen, die iranischen Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, nachdem der Wächterrat die Kandidatur vieler iranischer Politiker abgelehnt hatte. Der Wächterrat schloss so gut wie alle Kandidaten der „Reform“-Bewegung sowie starke Kandidaten aus der „Hardliner“-Fraktion aus, darunter der ehemaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad.

Diese Entscheidung des Rates ist nicht als autonome Maßnahme zu verstehen, sondern spiegelte den Wunsch des Obersten Führers Khamenei wieder, das Feld für Ebrahim Raisi zu bereiten, um diesem einen leichten Wahlsieg zu ermöglichen.

Das Rawabet Zentrum für Forschung und strategische Studien im Irak erklärt, dass Khamenei Raisi als Präsident des Iran sehen will. „Die naheliegendste Erklärung ist, dass Raisi mehr Gewicht und Rückhalt in den herrschenden Kreisen hat als alle seine Konkurrenten, insofern er der wahrscheinlichste Kandidat für die Nachfolge Khameneis als Oberster Führer ist.“

Rawabet führt weiter aus: „Raisis Übernahme der Präsidentschaft wird der letzte Schritt im Prozess seiner Qualifizierung für die Position des ‚Obersten Führers‘ sein. Sie stellt eine endgültige Bestätigung der Empfehlung Khameneis dar, dass Raisi ihm als Oberster Führer nachfolgen soll – zumal Khamenei selbst Präsident des Iran war, bevor er 1989 die Position des Obersten Führers übernahm.“

Khamenei legte damals sein Präsidentenamt zurück, um am 4. Juni 1989, nach dem Tod von Revolutionsführer Ruhollah Khomeini, die Position als Oberster Führers der Islamischen Republik Iran zu übernehmen.

Nach der Möglichkeit einer Wiederholung dieses Szenarios mit Ibrahim Raisi in der Rolle des Nachfolgers gefragt, sagte der Oppositionelle und Unterstützer des Nationalen Widerstandsrates des Iran, Ehsan Ayatollah, gegenüber Mena-Watch, dass solch ein Szenario „sehr gut möglich“ sei.

Obenderein, schloss Ehsan Ayatollah seine Ausführungen, sei die Präsidentschaftskandidatur von Ebrahim Raisi, der beschuldigt wird, an einer der großen Hinrichtungswellen im Iran beteiligt gewesen zu sein, auch eine Botschaft des Regimes an seine Bevölkerung, dass es den Weg der gewaltsamen Niederschlagung jedweden Protests ungemindert weitergehen wird.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch