Montag, 14.06.2021 / 15:45 Uhr

Iran: Die pseudodemokratische Fassade fällt

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Todesrichter und Präsidentschaftskandidat, Bildquelle: Wikimedia Commons

Für die NZZ hat Wilfried Buchta eine unbedingt lesenswerte Analyse der für diese Woche anstehenden Präsidentenwahlen im Iran geschrieben, in der eigentlich alles wissenswerte steht:

Nachdem der Wächterrat, der bekanntlich jeden Wunsch Khameneis getreulich erfüllt, Raisis schärfsten Rivalen abgelehnt hatte, unter ihnen renommierte Geistliche und altgediente Politiker, verblieben nur noch vier wenig populäre Konservative sowie zwei blasse Politik-Apparatschiks ohne feste Wählerbasis im Volk. Weder der reformorientierte ehemalige Vizepräsident Mohsen Mehralizadeh noch der frühere Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati, der zu den Moderaten um den scheidenden Präsidenten Hassan Rohani zählt, haben echte Chancen.

Mit seinem Wahlsieg könnte Raisi die Scharte der Präsidentschaftswahl von 2017 auswetzen, als er Rohani mit 38 Prozent und knapp 15 Millionen Stimmen unterlegen war. Seither nutzte er das Amt des Justizchefs klug, um sich öffentlich durch Prozesse gegen hohe Kader als unerschrockener Kämpfer gegen Korruption und als Verfechter von Gerechtigkeit für den «kleinen Mann» zu profilieren. In konservativen Zeitungen und im von Konservativen kontrollierten Staatsfernsehen war er seit 2019 quasi omnipräsent. (...)

Die Präsidentenwahl markiert einen Epochenwandel. Khamenei habe, so Shariatmadari, erkannt, dass es keinen Nutzen mehr erbringe, der Welt gegenüber die trügerische Fassade einer iranischen Hybrid-Demokratie mit republikanischen und theokratischen Staatsinstitutionen aufrechtzuerhalten. In Khameneis Augen hätten die Demokratien des Westens dieses Trugbild durchschaut und verstanden, dass alle republikanischen Institutionen von einer autoritären Theokratie beherrscht seien, die jeden Schritt hin zu Demokratisierung nach innen und politischer Öffnung nach aussen durchkreuze. (...)

Raisis Kalkulierbarkeit und seine Herkunft aus Mashhad seien in den Augen Khameneis für die Regelung der Nachfolge für das Amt des Revolutionsführers besonders wichtig, so Shariatmadari. Denn unter allen politisch-ökonomischen Machtkartellen Irans habe Khamenei das grösste Vertrauen in das Kartell aus Mashhad um den Freitagsprediger Ayatollah Ahmad Alamolhoda, den Schwiegervater Raisis. Khamenei, selbst ein Mashhadi, habe seit 1979 enge Interessenverflechtungen familiärer, finanzieller und wirtschaftlicher Natur zu diesem Kreis.