Montag, 19.07.2021 / 20:20 Uhr

Waffen für AKP Anhänger?

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Aus dem Netz

Ein ehemals in Regierungskreisen verkehrender Mafiaboss erklärte in einem neuen Enthüllungsvideo, dass Parteigänger Erdogans beim Putschversuch 2016 Waffen an AKP-Anhänger verteilt hätten.

 

"Der flüchtige türkische Mafiaboss Sedat Peker hat in seinen Enthüllungsgeschichten gegen Ankara eine neue Bombe platzen lassen. Er behauptet, nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 seien heimlich Waffen an Mitglieder der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) verteilt worden.

Die Anschuldigungen haben Ängste geschürt, wie weit die Herrscher des Landes gehen könnten, um ihre Macht zu erhalten, da es immer mehr Anzeichen dafür gibt, dass ihre Unterstützung in der Bevölkerung nachlässt.

In einer Reihe von Tweets in der vergangenen Woche beschuldigte Peker – ein verurteilter Gangster, der bei einigen AKP-Mitgliedern eine gewisse Gunst genoss, aber im Zuge von Machtkämpfen in den Reihen der Regierung in Ungnade fiel – den damaligen Arbeits- und heutigen Innenminister Süleyman Soylu, im Gefolge des Putsches die Verteilung von nicht im staatlichen Inventar registrierten Waffen an regierungsnahe Gruppen koordiniert zu haben.

Der Mafioso beschrieb ausführlich, wie eine Kiste mit AK-47-Gewehren im August 2016 von Esenyurt, einem Istanbuler Außenbezirk, in das Viertel Balat im alten Herzen der Stadt gebracht worden sein soll. Die beiden im Fahrzeug befindlichen Personen sollen Abdulsebur Soganli, Leiter der AKP-Jugendabteilung in Esenyurt, und Ahmet Onay, ein Mitarbeiter des Innenministeriums, gewesen sein.

Die Waffen seien dann an Osman Tomakin übergeben worden, der heute Vorsitzender der AKP-Jugendorganisation in Istanbul ist. Onay bestätigte, in jener Nacht im Auto gewesen zu sein, sagte aber, er sei im Fahrzeug geblieben und wisse nicht, welche Ladung an Tomakin übergeben worden sei.

Pekers Enthüllungen scheinen bereits zuvor erhobene Vorwürfe zu bestätigen, dass nach dem Putsch Waffen an Regierungsanhänger verteilt worden waren. Solche Vorwürfe waren laut geworden, als nach dem Putsch die Zahl vermisster Waffen wie auch das Ausmaß individueller Bewaffnung sprunghaft zunahm. Die Staatsanwaltschaft schweigt zu der Frage, ob es eine gerichtliche Untersuchung der Behauptungen des Mafioso geben werde.

Mehmet Tum, ein ehemaliger Abgeordneter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), der das Thema häufig im Parlament zur Sprache gebracht hatte, wies in einem Kommentar zu Pekers Behauptungen auf den massiven Anstieg verlorener oder gestohlener Waffen im Innenministerium nach dem Putschversuch hin.

Unter Berufung auf Berichte des Ministeriums stellte er fest, dass die Zahl der vermissten Waffen von etwa 14.000 im Jahr 2014 auf etwa 107.000 im Jahr 2017 angestiegen sei. „Ein solch dramatischer Anstieg wäre überall auf der Welt Gegenstand einer dringenden Untersuchung gewesen. Aber wurde der Fall in der Türkei untersucht? Nein!“, tweetete er.

Tum wies auch auf Behauptungen hin, dass polizei- oder armeeeigene Waffen in der chaotischen Nacht des Putsches in die Hände von Zivilisten gelangt seien, als Menschenmengen auf die Straße gingen, um die Soldaten zu konfrontieren. Tum sagte, dass solche Waffen später bei Morden verwendet worden seien.

Mindestens ein solcher Vorfall wurde offiziell bestätigt, als ein Mordverdächtiger 2017 aussagte, er habe die Mordwaffe – eine MP5-Maschinenpistole – erhalten, als während des Putschversuchs vor dem Polizeipräsidium in Ankara Waffen verteilt wurden.

Das Büro des Gouverneurs von Ankara bestätigte, dass die Waffen eilig an Polizeibeamte verteilt worden seien, ohne Aufzeichnungen darüber zu führen, wer was bekommen hat, bestritt aber, dass Zivilisten unter den Empfängern gewesen seien. Die Waffen seien später wieder eingesammelt worden, hieß es in der Erklärung, die allerdings einräumte, dass eine MP5 gefehlt habe.

Tum sagte, er habe zahlreiche parlamentarische Anfragen zum Thema eingereicht, aber das Innenministerium habe bloß „obskure und ausweichende“ Antworten gegeben. In ähnlicher Weise blockiert die AKP-Mehrheit im Parlament die Vorschläge der Opposition für eine parlamentarische Untersuchung im Fall der verschwundenen Waffen. Auch die Regierung ignoriert die öffentlichen Diskussionen weiterhin, die Pekers Ausführungen nach sich zogen.

Viele in der Türkei stellen sich nun die Frage, ob regierungsfreundliche Gruppierungen systematisch bewaffnet werden und dabei auf öffentliche Mittel zurückgegriffen wird. Solche Ängste wurden auch schon durch dementsprechende Drohungen von AKP-Anhängern in der Vergangenheit geschürt."

(Aus dem Artikel Turkish mobster claims AKP supporters secretly armed after putsch“, der im Wall Street Journal erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber, Mena Watch.)