Freitag, 20.08.2021 / 12:47 Uhr

Europa als Baghdad-Bob

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Muhammad as-Sahhaf, Bildquelle: Youtube

2015, hört man, dürfe sich nicht wiederholen. Tut es auch nicht. In Wirklichkeit ist es viel schlimmer.

Panisch hört man nun von Politikern aller Parteien, 2015 dürfe sich angesichts der Totalkapitulation von Kabul auf keinen Fall wiederholen. Was eigentlich meinen sie damit, sollten sie irgend etwas meinen und nicht nur Politsprech angesichts der selbstverursachten Krise absondern?

Nun, ganz einfach, sie wollen nicht für die Folgen verantwortlich sein, bzw. nicht einmal die Folgen dessen, was sie da angerichtet haben, sehen, denn es stört nicht nur den Betrieb, sondern stellt ihn völlig bloß.

Die Flüchtlingskrise von 2015 fiel schließlich nicht vom Himmel und war keine unvorhersehbare Naturkatastrophe, ihr ging ein langer Prozess voraus, der im Verrat all jener Syrerinnen und Syrer gipfelte, die gegen Assad aufgestanden waren und denen die USA und EU Hilfe und Unterstützung versprochen hatte. Stattdessen gab es Folter, Vertreibung und am Ende Giftgas, ohne dass diese westlichen „Freunde Syriens“ irgend etwas taten. Monat für Monat mussten deshalb mehr Menschen aus dem Land fliehen, um zu Millionen unterversorgt in irgendwelchen Camps in den Nachbarländern ihr Leben zu fristen.

In Afghanistan hätte es ausgereicht, fünf beliebige Menschen im Bazar von Kabul oder Kunduz zu befragen, um zu wissen, was kommen würde.

Warnung, dass dies nicht ewig so bleiben würde gab es seit 2013 genug, hören wollte sie nur niemand in der Regierung – vermutlich zog man es vor, irgendwelche weltfremden Expertenberichte in NGO-Kauderwelsch zu lesen, in denen irgend etwas anderes stand -, bis es dann eben zu spät war. Über die Vorgeschichte von 2015 wurde viel geschrieben, verstanden scheint sie niemand zu haben, auch das Teil dieses Betriebs, der nach jeder Katastrophe als Teil des Betriebs „Nie wieder“ stammelt.

In Afghanistan hätte es ausgereicht, fünf beliebige Menschen im Bazar von Kabul oder Kunduz zu befragen, um zu wissen, was kommen würde, zögen der Westen so planlos und überhastet ab. Ebenso, wie es im Januar 2015 gereicht hätte mit fünf Flüchtlingen in einem Lager zu sprechen, um zu wissen, was in Kürze geschehen würde.. Nur: Was tun mit diesen Erkenntnissen, wenn man sie nicht hören will? Dann beschäftigt man für viel Geld irgendwelche Expertinnen und Experten, um einem zu schreiben, was man hören will, in etwa so, wie Saddam Hussein sich berichten ließ, seine Armee habe den Amerikanern schwere Niederlagen beigebracht, als die US-Truppen in Wirklichkeit schon vor den Toren Bagdads standen.

Diesmal nur wird keine kurze Phase von Lufballonschwenken an Bahnhöfen kommen.

Damals wurde der irakische Propagandaminister, der diese Stories dann öffentlich erzählte als Witzfigur Baghdad-Bob ausgelacht, heute dürfte er mit Genugtuung sehen, dass sämtliche westliche Regierungen sich so aufgeführt haben, wie er einst, nur ohne die Komik, die ihm eigen war.

2015 ist also längst da, die Wiederholung wurde nicht nur nicht verhindert, sondern forciert aus Dummheit, Ignoranz, Zynismus und Gleichgültigkeit, nur will es wieder niemand gewesen sein und so führt man die nächste Scheindebatte noch während sich ehemalige Angestellte von Bundeswehr, Konsulaten und NGOs in Afghanistan verstecken, weil sie zu recht Angst um ihr Leben und das ihrer Angehörigen haben.

Diesmal nur wird keine kurze Phase von Lufballonschwenken an Bahnhöfen kommen, sondern gleich zur Sache gegangen: Der Kapitulation von Kabul wird die von Teheran, Ankara und anderen Orten folgen, wo die herrschenden Despoten zwar selbst Angst vor neuen Flüchtlingen haben, aber sich angesichts der kommenden EU-Milliarden mit Blick in ihre leere Staatskassen die Hände reiben. Denn sie alle werden nun irgendwelche Flüchtlingsdeals à la Erdogan anbieten und sich dafür gut bezahlen lassen.

Ihr Blick auf Europa ist einer, der in jeder Hinsicht stimmt: Es erscheint wie der abgelebte, korrupte Erbonkel, den die auf die Erbschaft sinnende Verwandtschaft schon zu Lebzeiten mit aller Drohungen melken kann, weil er eh nichts mehr auszurichten vermag. Oder anders ausgedrückt: Erpressung ist eine Einbahnstraße, wer sich einmal als erpressbar zeigt, wird es auch weiter sein.

Insofern hinkt der Vergleich mit 2015, es ist in Wirklichkeit viel schlimmer, zeigt Europa doch, dass es nicht nur nicht in der Lage war, irgend eine Lehre aus damals zu ziehen, sondern es das nächste Mal sogar viel katastrophaler wurde.