Sonntag, 29.08.2021 / 14:15 Uhr

Mit 'Bild' in der Taliban-Hölle

Von
Philipp Thiée

Mit deutschen Reportern in Kabul....

Sicher ist an beidem etwas dran, wenn auf Youtube unter der Bildreportage  "Bild in der Talibanhölle" über die Lage in Afghanistan einen Monat vor dem Sieg der Taliban ein Nutzer über den Reporter schreibt: "dem Paul ist entweder alles egal oder er hat Eier aus Stahl". Die Bildmoderatorin betont im Bericht "mir lief gerade wirklich ein kalter Schauer über den Rücken." 

Den Effekt kann man sicher wiederholen. Ein guter Anlass für eine erneute Reportage, die Grusel auslöst: die Evakuierungen aus dem Flughafen von Kabul und aus einem Flieger steigt Bildvize Paul Ronzheimer, um 
Live für das neue Bild-TV Format zu berichten, wie die NATO kapituliert und die Taliban triumphieren. Ein paar Stunden später wird er aber schon wieder in ein Militärflugzeug gepackt und ausgeflogen, wo er statt einem Flüchtling Platz findet. Aber sein Fotograph macht immerhin ein "Ikonisches" Foto des Leidens.

Aber es gelingt Ronzheimer noch den vier ihn befragenden Bildmoderatoren eine Botschaft vom Flughafen in Kabul zu transportieren: "ich würde mir wünschen von der Kanzlerin - auch wenn es unrealistisch ist - dass sie hier mit ihrer Maschine landen würde und sich das selbst anschaut." Amerikanische Soldaten verfrachten ihn daraufhin mit anderen Journalisten in eine Maschine aus Afghanistan heraus. In Tweets behauptet er sodann ein Opfer durch eine Einschränkung der Pressefreiheit gewesen zu sein. Kurz darauf wird in der Presse kolportiert, Angela Merkel hätte ihren Unmut bekundet, dass die Bundeswehr Reporter nach Afghanistan einfliegt, was aber nicht der Fall war.

Auf Twitter kommt sofort die Antwort: "Dass Merkel beim Kabinetts-Frühstück am Mittwoch AKK angeblafft hat, ob SIE Schuld daran habe, dass ICH in Kabul landen konnte, ist auch nur noch absurd. Wenn die Kanzlerin sich nur so um die Evakuierungen gekümmert hätte wie um einzelne Reporter. #Pressefreiheit"

Dieser Reporter, der auch Flüchtlinge über das Mittelmeer begleitet hat, mag ernsthafte humanistisch geprägte Sorgen haben, wenn er über den Sieg der Islamisten vor Ort berichtet. Wenn er darauf aufmerksam macht, dass es in Afghanistan einige gibt, die unter den Taliban leiden werden und für die die NATO Verantwortung hat, ist das humaner als die meisten Kommentare der Zuschauer unter den Reportagen. Auch die Selbststilisierung mag vor dem Hintergrund erträglich sein. Aber in welchen Kontext werden die Sorgen eingebettet?

Egal welches Thema in der Bild bearbeitet wird folgt es einem Dreiklang: 1. siehe dort: Leid/Skandal/Elend - 2. ein unpolitischer - unser - Held tritt auf/die große Tat/Der schwer Bewaffnete mit einem Kind im Arm und Tränen in den Augen - 3. Zuletzt: Welche Person ist Schuld? Merkel zieht da heute immer gut. Als das Kleinbürgertum sich mit der Staatsgewalt noch identischer gesehen hat, mag es Rudi Dutschke gewesen sein. In der weltpolitischen Lage heute fällt es aber schwerer sich bei den Angestelten des Staates warm aufgehoben zu fühlen.
 

Auch die NZZ weiß wer Schuld hat

Der Chefredakteur, der von ihm ins kostengünstig und meinungsstark rechtsgewendeten NZZ, Eric Gujer, geht da in seinem Kommentar  zum Triumph der Taliban einen Schritt weiter. Er titelt: "Afghanistan war Merkels Krieg – und sie hat ihn verloren" In seinem Wunsch der Schuldzuweisung offenbart er ein umfassendes Nichtwissen über die Ereignisse der letzten Jahre. Afghanistan sei Deutschlands erster Krieg seit 1945 gewesen und man könne Trump einiges Nachsagen aber: "Im Sturm und Drang übersah Berlin allerdings Entscheidendes. Trump redete abfällig über die Partner Amerikas, seine Administration verhielt sich jedoch meist bündnistreu. Bei Biden ist es genau umgekehrt. Über den Abzug aus Afghanistan und dessen Tempo liess er seine Alliierten im Unklaren."

Die Regierung Trump aber war es, die die Kapitulation den Taliban anbot und "aushandelte". Er twittert, dass er im Oktober 2020 aus Afghanistan raus sein wolle. Seine Administration war es auch, die kurdische Verbündete in Syrien und Kirkuk hängen ließ. Über die Ukraine könnte man hier auch sprechen.

Sicher ist auch Trump nicht die Ursache für das Scheitern in Afghanistan. Die Berichterstattung über den Sieg der Taliban zeigt aber deutlich, dass 20 Jahre nach 9/11 kaum einer mehr weiß, warum in Afghanistan interveniert wurde; und dass aber offensichtlich eine Person erwartet wird, die Fähig ist, emotional Stärke und Einfühlsamkeit zu vermitteln - die ein unpolitischer aber bewaffneter Tröster

Zwischenrufe auf das Schlachtfeld aus der ersten Reihe 

Da täuscht auch der humanistische Gestus der Kriegsberichterstattung in der Bild nicht hinweg, der vor allem auf den Helden und das Gruseln zielt. In die letzten Tage der Menschheit lässt Karl Kraus die real existierende Kriegsreporterin Alice Schalek auftreten. Sie taucht zumeist als Anführerin einer Truppe Kriegsberichterstatter unerwartet und ungewollt auf dem Schlachtfeld auf:

"DIE SCHALEK: Was is das für eine Stellung? Das soll eine Stellung sein? Ich hab schon bessere
Stellungen gesehn!
DER OFFIZIER: Bitte Nachsicht zu haben – in der kurzen Zeit –
DIE SCHALEK: Sie, Herr Oberleutnant, wissen Sie was, ich möchte bißl schießen.
DER OFFIZIER: Von Herzen gern, Fräulein, aber das ist momentan leider unmöglich, weil es den Feind aufregen könnte. Jetzt ist grad eine Gefechtspause und wir sind froh –
DIE SCHALEK: Aber bitt Sie machen Sie keine Geschichten – also der Kurat darf und ich darf nicht?
– wenn ich schon eigens herausgekommen bin – wie Sie wissen, schildere ich nur aus dem
persönlichen Erleben – bedenken Sie, daß ich die Schilderung unbedingt vervollständigen muß –
es is doch für Sonntag!
DER OFFIZIER: Ja – also – eine Verantwortung kann ich nicht übernehmen –
DIE SCHALEK: Aber ich! Geben Sie her. Also wie schießt man?"

Die reale Alice Schalek, die im ersten Weltkrieg begeistert für das Militär der österreichischen Monarchie war, wurde später überzeugte Stalinistin. Sie gilt aber auch als Vorreiterin eines emanzipierten Frauenbildes.

Sophia Thomalla war übrigens auch Kommentatorin bei BildTV, als dort als "
Aufreger der Woche" am 25.08.2021 Ronzheimers Zurückweisung durch das US-Militär am Flughafen von Kabul besprochen wurde:

„Ich bin heute schon den ganzen Tag gedanklich bei meinem Kollegen Paul Ronzheimer“, sagte zuvor Claus Strunz. DENN: Ronzheimer ist von Berlin nach Afghanistan gereist, um dort über die dramatische Lage zu berichten. ABER: „Das US-Militär verbietet uns, das Flughafen-Gelände zu verlassen“, so der BILD-Reporter in der Sendung live aus Kabul. Stattdessen werden die Journalisten, die noch vor Ort sind, aus dem Land geschickt. (...) Nena Schink fragt: „Warum schaltet sich Angela Merkel nicht ein? Warum tritt sie nicht für die Pressefreiheit ein? Sie könnte für die Journalisten vor Ort eine Lanze brechen.“

Sophia Thomalla hat zwar zu Afghanistan direkt nichts zu sagen. Aber auch sie hat am 25.08. einen passenden Aufreger der Woche, der zeigt, dass man bei der Bild verstanden hat, worum es in Afghanistan ging:

"Sophia Thomalla kann es nicht fassen: Das Auswärtige Amt hat jetzt Verhaltensregeln für Männer aufgestellt – um mehr Gleichberechtigung zu erreichen. (...) „Was ich so ekelhaft an dem ganzen Thema finde, ist, dass Hausfrauen abgestempelt werden“, so Thomalla. „Es gibt viele Frauen, die möchten sich gerne um die Kinder und den Haushalt kümmern.“"

Ein guter Rat um auch jenseits des Genderwahnsinns in der Zukunft in Afghanistan zurecht zu kommen.