Samstag, 21.08.2021 / 10:01 Uhr

Über Ortskräfte

Von
Thomas von der Osten-Sacken
Kabul Flughafen
Bild:
Flickr, CC BY 2.0

Man nennt sie Ortskräfte, die Afghaninnen und Afghanen, die nun in letzter Minute evakuiert werden sollen und tut so, als sei dies ihr größter Wunsch gewesen.

Eine Tasche dürfen sie mitnehmen ins neue Leben, so es denn eines irgendwo in Deutschland, den USA oder anderswo für sie gibt und sie es schaffen in eines der Flugzeuge, die die so genannten „Ortskräfte“ nun evakuieren. Und in den USA und Europa tun dann alle noch so, als sei dies fast ein Geschenk, bestimmt erwartet man von ihnen noch Dankbarkeit oder so etwas.

Was aber wenn diese „Ortskräfte“ eigentlich gar nicht gehen bzw. fliehen wollten? Denn dafür hatten Afghaninnen und Afghanen in den letzten Jahren genügend Zeit, aber es gab auch die, die bleiben wollten, die ihre Zukunft im Land sahen und eben auch zu lange den vollmundigen Versprechungen irgendwelcher westlicher Politiker geglaubt hatten, die, wie sich nun in wenigen Tagen herausstellten, das alles eigentlich nie so gemeint hatten.

Wer für Militär, Konsulate, NGOs oder andere arbeitete, war in Afghanistan ganz sicher Teil jener neuen, meist noch recht jungen gebildeten urbanen Schicht, die sich in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hatte. Die meisten von ihnen werden nun entweder ausgeflogen oder, sollte dies nicht klappen, wohl früher oder später die Repression der Taliban zu spüren gekommen. Früher nannte man so etwas brain drain und es gibt hunderte Expertenpapiere zu Flucht und Migration, in denen viel darüber geschrieben wird.

Die, die bis zuletzt blieben jedenfalls, blieben meist wohl nicht, weil sie keine andere Perspektive hatten, sondern weil sie bleiben wollten. Ausgerechnet sie müssen nun das Land verlassen, es geht um Leben und Tod. Nur: So zu tun, als wäre es ein Akt der Humanität und man erfüllte ihnen da eigentlich ihren sehnlichsten Wunsch ist nicht nur zynisch, sondern verkennt die Realität völlig: Die nämlich lautet, und wer mag kann sich gerne mit ein paar Flüchtlingen aus Afghanistan unterhalten und sie fragen, dass die meisten, hätten sie die Wahl, lieber in ihrem Land geblieben wären, wenn sie es gekonnt hätten.

Das gleiche gilt für die vielen Soldaten in der afghanischen Armee, von denen 70.000 im Kampf gegen die Taliban gefallen sind. Über die sagt einer, der es, anders als die vielen Schreibtischexperten, die sich nun zu Wort melden, nämlich der amerikanische General Petraeus folgendes:

Die Fakten sind, dass 27-mal so viele afghanische Sicherheitskräfte im Kampf für ihr Land gestorben sind wie US-Amerikaner. Ich bedauere diese Aussage [von Joe Biden], denn aus meiner Zeit als Kommandeur weiß ich, wie hart die Afghanen Seite an Seite mit unseren Frauen und Männern in Uniform gekämpft haben. Die Afghanen haben in riesiger Anzahl gekämpft, bis sie jetzt plötzlich gemerkt haben, dass ihnen keiner mehr Rückendeckung gegeben hat. Dass unsere Luftwaffe nicht mehr da war.