Freitag, 27.08.2021 / 10:06 Uhr

'A victory that wasn't expected'

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Us State Department

In Afghanistan ging es nie um "Western Style Democracy" und US-Militärs sind überzeugt, das Desaster hätte nie so kommen müssen, wie es kam. 

 

Afghanistan habe gezeigt, heißt es jetzt dauernd, dass es mit dem Export von "Western Style Democracies" eben nicht klappe. Das mag sein. Nur wurde das zumindest in Afghanistan auch nie versucht. Außer man bezeichnet eine große Stammesversammlung (Loya Dschirga), die Aufteilung eines Landes unter Warlords und die Schaffung einer Islamischen Republik - und genau das wurde bei der Petersberger Konferenz getan - als "Western Style". Ja, dann hat es in vielerlei Hinsicht nicht oder gar zu gut geklappt. 

Aber wenn es um dieses Land geht, scheint eh in USA und Europa nicht nur Moral und Eigeninteresse keine Rolle mehr zu spielen, sondern setzt selbst der letzte Rest von gesundem Menschenverstand aus.

Der Vertrag, den Donald Trump etwa 2020 mit den Taliban geschlossen hat und für dessen Unterzeichnung extra ein hochrangiger Typ, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt ist, aus dem Knast entlassen wurde, dürfte zu den irrsinnigsten zählen, je ausgehandelt wurden.

Irres Abkommen

Nicht nur war die afghanische Regierung nicht beteiligt oder irgend ein anderes Nato Land, auch sah dieses Abkommen vor, dass die Taliban weiter die Regierung bekämpfen dürfen, nur eben keine US-Soldaten. Zudem wurde ausgehandelt, dass 5000 Gefangene frei kommen, darunter nicht nur Taliban sondern üble Finger anderer jihadistischer Organisationen, wohl auch einige IS-Kämpfer.

Ausgerechnet an dieses Abkommen fühlt die Biden-Administration sich nun so gebunden, nicht aber an andere Entscheidungen ihrer Vorgängerregierung.

Unerwarteter Sieg

Würde es einen wundern, die Planer oder Exekutoren dieses Massakers gestern am Flughafen hätten vorher im Knast gesessen? Nein, keineswegs, es würde sogar ins Bild sehr gut passen.
Was die USA da veranstalten ist so, dass es selbst ihre Feinde, die jetzt ja plötzlich keine mehr sind, sondern eigentlich Partner, mit denen man die eigene Evakuierung koordiniert und ihnen Listen mit Namen gibt von US-Bürgern und Afghanen, damit die Taliban-Checkpoints passieren können (oder auch nicht), dass es selbst hartgesottene Taliban verblüfft, die öffentlich erklärten: „We have achieved a victory that wasn’t expected.“

Kooperation mit Top-Terroristen

In Folge dieses Sieges ernannten sie Khalil Ur-Rahman Haqqani zum Chef fütr die Sicherheit Kabuls. Auf seinen  sind von der CIA fünf Millionen US-Dollar ausgesetzt, er gilt als Top-Terrorist und Verbindungsmann zu Al-Qaida. Mit ihm koordinieren sich die US-Streitkräfte nun bei der Evakuierung und auch dem Schutz vor IS-Anschlägen. Wie Hoe Biden gestern der Presse erklärte, schickte man den Taliban Listen mit den Namen von US-Bürgern und Afghanen, die evakuiert werden sollen, damit diese Taliban-Checkpoints passieren können.

Einer, der es wissen muss

Die Taliban haben zwar irgendwie gesiegt, aber als Sieg im herkömmlichen Sinne mag man das Ganze dann doch nicht bezeichnen, sondern es war de facto eine Art Geschenk, dass die Trump Regierung besorgt und die Biden Administration dann ausgeliefert hat. Davon sind auch hochranginge US-Militärs überzeugt.

Wenn es also einen gibt, den dieser Tage zu interviewen sich lohnt, dann dürfte es der US-General David Petraeus sein. Wie kaum ein anderer hochrangiger Militär war er am War on Terror beteiligt, der fast vor genau zwanzig Jahren begann.

Das von ihm mitverfasste „Counterinsurgency Manual“ gilt als die bislang beste Anleitung, um asymmetrische Kriege zu gewinnen. Und das gelang den USA auch, nachdem ihm im Irak die Verantwortung im so genannten „Surge“ zur Befriedung des sunnitischen Dreiecks übergeben wurde.

Er tat, was die USA nach 2003 versäumten, und es gelang dem Militär unter ihm, Al-Qaida und andere Jihadisten weitestgehend zu besiegen und loyale sunnitische Verbände aufzubauen. 2010, kurz bevor unter der Obama-Administration die USA ihr Militär aus dem Irak abzogen und daraufhin der Islamische Staat erstarkte, war der Zentralirak befriedet.

Auch in Afghanistan war Petraeus aktiv, später sogar Direktor der CIA. Zu Recht fragt man sich dieser Tage, wie sich jemand wie er angesichts der Bilder aus Kabul wohl fühlen muss und wie er die Situation beurteilt. Peter Bergen von CNN hat ihn interviewt und Petraeus antwortet erstaunlich offen, bedenkt man, dass unter US-Militärs es eigentlich, anders etwa als bei ihren britischen Kollegen, die ihre Regierung viel offener kritisieren, zum guten Ton gehört, sich aus Politik heraus- und auch öffentlich zurückzuhalten.

Abzug hätte ganz anders verlaufen können

Liest man dieses Interview, wird erschreckend klar, dass selbst ein US-Abzug hätte ganz anders verlaufen können. Der, der das so deutlich sagt ist, wie gesagt, jemand, der weiß, wovon er spricht.

Ganz klar widerspricht er dem Narrativ der Biden-Regierung, dass das, was nun geschehen ist, sowieso so oder in einer anderen Form hätte geschehen müssen. Da wären zuerst die von Trump initiierten so genannten Friedensverhandlungen mit den Taliban, die so wie sie liefen, verheerende Konsequenzen hatten, nämlich:

„Erstens signalisierten sie dem afghanischen Volk und den Taliban , dass die USA wirklich die Absicht hatten, abzuziehen (…) Zweitens untergruben wir die gewählte afghanische Regierung, so fehlerhaft sie auch gewesen sein mochte, indem wir bei den Verhandlungen, die wir über das Land führten, das sie tatsächlich regierten, nicht auf ihre Teilnahme bestanden.

Drittens zwangen wir die afghanische Regierung im Rahmen des eventuellen Abkommens zur Freilassung von 5.000 Taliban-Kämpfern, von denen viele schnell als Verstärkung für die Taliban in den Kampf zurückkehrten. Viertens gaben sie Präsident Biden eine zusätzliche Rechtfertigung/Entschuldigung, das zu tun, was er ohnehin wollte: gehen.“

Afghanische Armee im Stich gelassen

Auch räumt Petraeus dankenswerter mit dem mehrfach in Washington vorgebrachten Argument auf, man wäre an die Vereinbarungen, die Trump ausgehandelt hatte, gebunden gewesen. Schließlich hätte die neue US-Regierung auch andere Entscheidungen ihrer Vorgängerin – wie den Ausstieg aus dem Pariser Klima Abkommen – rückgängig gemacht.

(And dieser Stelle sei erwähnt, dass Ex-Außenminister Mike Pompeo, man mag von ihm halten, was man will, sich kürzlich ebenfalls zu Wort gemeldet hat und erklärte, die Taliban hätten sich nicht an die Vereinbarungen gehalten, weshalb es auch die USA nicht hätten tun sollen.)

Weiter betont Petraeus, die afghanische Armee habe, anders als ihr neuerdings unterstellt wird, sehr wohl gekämpft, allerdings begriffen, dass die USA sie de facto im Stich lassen wird. Ganz besonders fatal sei die fehlende Luftunterstützung gewesen, die in asymmetrischen Kriegen entscheidend sei. Außerdem sei der Anzug anderer Experten und Vertragsfirmen fatal gewesen:

„Als die rund 18.000 Spezialisten zusammen mit den US-Streitkräften abzogen, begann auch die Fähigkeit der afghanischen Luftwaffe zu erodieren, zumal das Wartungsfrequenz extrem hoch war und viele Flugzeuge von Einsätzen mit Gefechtsschäden zurückkehrten.

Doch die afghanische Luftwaffe war das entscheidende Element, um sicherzustellen, dass afghanische Soldaten vor Ort wussten, dass ihnen jemand in einem harten Kampf den Rücken freihielt. Ohne funktionsfähige afghanische Luftwaffe im Rücken, wussten die afghanischen Soldaten, dass ihnen niemand mehr zu Hilfe kam.“

Wie andere Militärs in den letzten Tagen auch, insistiert Petraeus darauf, dass es längst nicht mehr um eine für amerikanische Soldaten bedrohliche Kampfsituation in Afghanistan ging, sondern nur noch um Unterstützung lokaler Einheiten, bei der in den letzten Jahren kein US-Soldat mehr zu Tode kam. Als auch diese und in Folge die anderen 7.000 Nato-Soldaten abgezogen wurden, „begriffen die afghanischen Soldaten, dass sie auf sich alleine gestellt waren“.

Deutlicher kann in der Tradition des US-Militär ein ehemaliger General kaum werden, aber die Einschätzung ist unmissverständlich genug: Das Desaster von Kabul hätte keineswegs stattfinden müssen und wäre recht leicht zu verhindern gewesen, hätte die US-Regierung es denn verhindern wollen.