Mittwoch, 01.09.2021 / 10:27 Uhr

Mit dem deutschen Außenminister in Pakistan

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Wikimedia Commons

Ausgerechnet Pakistan hat sich der deutsche Außenminister ausgesucht, um der Welt Lehren aus der Geschichte zu präsentieren. Grund für einen offenen Brief.

 

Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister Heiko Maas,

ich hoffe, dies ist ein letzter offener Brief, den ich Ihnen schreibe.

Fassen wir es kurz zusammen: Während die deutsche Bundeskanzlerin von 10.000-40.000 sogenannten Ortskräften spricht, die die Bundesrepublik zurückgelassen habe – also auch heute noch nicht einmal klar ist, wie viele Afghaninnen und Afghanen es eigentlich gibt, die für Bundeswehr, NGO und Botschaft gearbeitet haben und ein Recht auf Evakuierung gehabt hätten – bereisen Sie die Region, um dort Verhandlungen zu führen.

Dabei geht es vor allem auch um Rettung dieser Menschen, weil Ihr Ministerium und Ihre Kolleginnen und Kollegen es so kläglich versäumt haben, sie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Angeblich seien ganze 500 sogenannte Ortskräfte ausgeflogen worden, heißt es. Das als totales Scheitern zu bezeichnen wäre noch ein Euphemismus: Es fehlen einem, ehrlich gestanden, dieser Tage auch einfach die Worte, das ganze Debakel adäquat zu beschreiben.

Nun sind Sie also in Pakistan, dem Land, das den Taliban immer Unterschlupf gewährte und ohne dessen tätige Hilfe, da sind sich alle Experten einig, der schnelle Sieg nicht möglich gewesen wäre.

Ausgerechnet dort nun erklären Sie, Militäreinsätze seien nicht geeignet, um langfristig eine Staatsform zu exportieren. Der Versuch sei in Afghanistan gescheitert und die westlichen Demokratien müssten die Lehren daraus ziehen.

Zumindest der Vizepräsident Afghanistans, Amrullah Saleh, der selbst zuständig war für die dortigen Geheimdienste, und er ist keineswegs der einzige, betont seit dem Einmarsch der Taliban in Kabul immer wieder, dass dies ohne pakistanische Hilfe so nie möglich gewesen wäre. Der Versuch in Afghanistan ist also unter anderem auch gescheitert, weil ein vermeintlicher Verbündeter des Westens, nämlich Pakistan, in Wirklichkeit jahrelang alles getan hat, um den Taliban bei ihrer Reorganisierung zu helfen, ihnen Unterschlupf gewährte und letztlich dann zum Sieg verhalf.

Wenn es momentan also ein Land gibt, in dem man solche Sätze gerade nicht von sich geben sollte, dann ist es ganz sicher Pakistan. Wenn es Politiker eines Landes gibt, die generell solche Sätze nicht von sich geben sollten, dann sind es deutsche Politiker.

Nur zur Erinnerung: Die Bundesrepublik Deutschland gibt es, weil die Vereinten Nationen, wie damals die Anti-Nazi-Koalition hieß, unter unglaublichen Opfern Deutschland 1945 militärisch in die Kapitulation zwang. Die Westalliierten unter Führung der USA und des Vereinigten Königreichs begannen dann, wenn auch halbherzig, mit einem Reeducation-Programm und schufen in ihren Besatzungsgebieten 1949 eben die BRD.

Wenn es also einen Staat auf der Welt gibt, auf den zutrifft, dass er qua Militäreinsatz geschaffen wurde, so der, als dessen Außenminister sie gerade durch die Welt reisen.

Und ganz zum Schluss, die „Islamische Republik Afghanistan“ war – der Name sagt es schon – nie als westliches Exportmodell gedacht, sondern damals lud ihr Vorgänger Joseph Fischer allerlei dubiose Warlords auf den Petersberg, und es wurde ausgehandelt, sie alle – solange sie nur keine Taliban waren – möglichst in einen Prozess einzubinden, der zu einem neuen afghanischen Staat führen sollte.

In diesem Staat sollten Religion, Stammeszugehörigkeit und ähnliches eine wichtige Rolle spielen, darauf insistierte gerade die Bundesrepublik. Insofern vielleicht stimmt es, dass es mit dem Export nicht geklappt hat. Angesichts dessen nun aber von „westlichen Demokratien“ zu sprechen, deren Export gescheitert sei und die daraus ihre Lehren zu ziehen hätten, ist schlicht falsch.

Schon damals gab es genug Kritik am Petersberger Konzept, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen hat. Das schmälert nicht die Erfolge, die es in Afghanistan in den letzten 20 Jahren auch gab. Kurzum, Herr Maas, das ganze Scheitern in Afghanistan hängt auch sehr viel an deutscher Außenpolitik und nicht nur an den USA oder daran, dass man Staatsformen nicht exportieren könne.

Vermutlich ist es selbst nach dem Totaldesaster von Kabul zu viel verlangt, aber statt in Pakistan solche Statements zum Besten zu geben, wäre es vielleicht wenigstens für ein paar Tage angemessener, ein ganz klein wenig bescheidener aufzutreten. Sehr viel mehr mag man ja gar nicht mehr verlangen, aber selbst das scheint schon vermessen.

In anderen Worten: Könnten Sie so freundlich sein, wenigstens bis zum Ende Ihrer Amtszeit der Welt derartige Belehrungen zu ersparen?

 

Mit freundlichen Grüßen,
Thomas v. der Osten-Sacken

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch