Samstag, 04.09.2021 / 16:13 Uhr

„Tod den Taliban in Teheran und Kabul!“

Von
Danyal Casar

Demonstration in Herat gegen die Taliban, Bildquelle: KP Press

„A British soldier was cut into pieces [in] broad daylight in London or near London. Will [the] British government ever, instead of putting that guy to justice, put him in a five-star hotel and say, 'Brother, what made you do this? Can we accommodate your grievances?' That is what the West is expecting [of] us – to bring the killers of our brothers, to bring those who cut the noses of the Afghan women, to bring those who do suicide bombings in our wedding parties, to put them on the other side of the table and say, 'Brother, you represent our religion and I have lost my direction. Let us talk.' That is because there is not much respect for the dignity of the nation called Afghanistan when it comes to geopolitics.“ Amrullah Saleh, 9. Juni 2013

 

Als Werbebeauftrager der Taliban tritt in diesen Tagen der höchste russische Repräsentant in Afghanistan auf. Nachdem in Kabul noch hektisch weibliche Antlitze auf Reklame unkenntlich gemacht wurden, um nicht den Groll der Tugendterroristen zu provozieren, und nunmehr viele Afghanen verängstigt zuhause ausharren, schwärmt der russische Emissär Dmitrij Zhirnov davon, dass die Tage nach dem Einmarsch der Taliban „die friedlichsten“ gewesen wären, die er „in Kabul erlebt habe“. Während am Kabuler Flughafen panisch Flüchtende zu Tode getrampelt werden und Russia Today gegen die den Taliban Entkommenen hetzt, schwadroniert der Propagandist von „Touristen“, die alsbald nach Afghanistan kommen könnten: „Afghanistan erinnert mich an die Krim, nur das Meer fehlt.“

Russland begrüßt den Sieg der Taliban

Das russische Regime ist dabei nicht das einzige, welches den Durchmarsch der Taliban zum Präsidentenpalast in Kabul begrüßt. „Wir respektieren die Entscheidung des afghanischen Volkes“, heißt es dreist aus China – ganz so als wären Taliban und Volkswille eins. Noch vor kurzem wurde im chinesischen Tianjin eine hochrangige Delegation der Taliban empfangen. Die Taliban hätten mit Blick auf die muslimische Krisenregion Xinjiang versprochen, die Interna Chinas zu respektieren. Das also muss die pragmatische Wendung der Taliban sein, über die von allen Seiten spekuliert wird.

Auch die Islamische Republik Iran empfing diese Jahr noch eine offizielle Abordnung der Taliban. Während in Afghanistan die schiitischen Hazara die Taliban mehr als alle anderen fürchten müssen, hat der khomeinistische Iran in der jüngeren Vergangenheit das perfide Interesse verfolgt, ganz ähnlich wie im Irak, die Befriedigung eines stabilen pro-US-amerikanischen Anrainerstaats zu verunmöglichen und zu diesem Zweck, seine Grenzprovinzen zu Afghanistan zu einer logistischen Flanke für die Taliban gemacht. Während manch namhafter Geistliche im Iran zu Vorsicht angesichts der feindseligen Gesinnung der Taliban mahnt, werben die Propagandaorgane der Armee der Wächter der Islamischen Revolution, dem mächtigsten Racket in der Islamischen Republik Iran, sowie des Großen Führers, Ali Khamenei, für das neue Antlitz der Taliban. Tasnim News Agency, die die Ansichten der Wächterarmee zur Sprache bringt, denunziert etwaigen Widerstand der Hazara gegen die Taliban als in „Einheit mit US-amerikanischen Interessen“.*

Schadenfreude in Teheran, Moskau und Peking

Was das russische und chinesische Regime mit der khomeinistische Despotie eint, ist die Schadensfreunde darüber, dass die US-Amerikaner in der Befriedigung Afghanistans gescheitert sind. Pakistans Parteinahme in Afghanistan ist darüber hinaus seit den 1970er Jahren eine für die gnadenlosesten unter den islamistischen Reaktionären. Die Taliban selbst sind den Madrassen der revivalistischen und ultra-puritanischen Deobandi entkrochen. Als in den frühen 1990er Jahren die Milizen der islamistischen Warlords unter Pakistans Protektion, Gulbuddin Hekmatyar und Abdul Rasul Sayyaf, verschleißt waren, traten von Kandahar aus die Taliban als Gamechanger an. Von Beginn an wurden sie gefördert durch den paramilitärischen Inter-Services Intelligence (ISI) des tiefen Staats in Pakistan – ohne mit diesem identisch zu sein. Ein Emirat in Afghanistan ist Pakistan weiterhin vor allem ein Prellbock gegen Indien, das in jüngerer Vergangenheit ausgiebig in Afghanistan investiert hat und dessen Kulturindustrie in der afghanischen Jugend höchst populär ist, sowie gegen die eigene säkulare Opposition unter den Paschtunen, die auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze leben. Pakistans Premierminister Imran Khan agitierte einen Tag nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul gegen die Universalität und für die kulturalistische Konterrevolution: „Wenn man die Kultur eines anderen übernimmt, glaubt man, dass diese der eigenen überlegen ist, und wird am Ende ein Sklave davon sein.“ Die Taliban, so Imran Khan ohne diese namentlich zu nennen, „haben die Fesseln der Sklaverei in Afghanistan gebrochen“.

Pakistans Militärstrategen haben von Beginn an einkalkuliert, dass den US-Amerikanern die Geduld fehlen wird, in Afghanistan solange auszuharren, bis der junge afghanische Staat die Stabilität hat, allein die terroristische Zermürbungstaktik der Taliban und anderer islamistischer Rackets zu brechen. Über verschiedene Fraktionen der Taliban, vor allem über das militante Haqqani Network, verfolgte Pakistan systematisch eine Destabilisierung Afghanistans.

Folgen des Vertrags

Zum Präsidentenpalast eskortiert, wurden die Taliban schlussendlich aber von Donald Trump, Joseph Biden und vor allem einer ihrer engsten Partner: Katar. Als sich im Februar 2020 die US-amerikanische Regierung unter Donald Trump in Katar mit den Taliban über den militärischen withdrawal aus Afghanistan geeinigt hat, wurde der so genannte Friedensvertrag in einer Sprache gehalten, als wäre die Ermächtigung Afghanistans durch die Taliban allein noch eine Frage der Zeit gewesen. Die Einigung versprach den Taliban die Beendigung ihrer ökonomischen Sanktionierung sowie, gegen den Willen des amtierenden Kabinetts in Kabul, ein Haftende für 5.000 Militante der Taliban. Wenige Tage nach der Vertragsunterschrift forcierten die Taliban ihre militärischen Aktionen gegen die afghanische Nationalarmee. Der Friedensvertrag forderte von den Taliban einzig ein Ende ihrer Aggression gegen das US-amerikanische Militär und das seiner in Afghanistan anwesenden Partnerstaaten des Nordatlantikpakts. Im März 2020, die Aggression hielt ungeschmälert an, sprach Donald Trump persönlich mit dem Taliban-Veteran Abdul Ghani Baradar und beschwor eine gute Unterredung.

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Mullah Abdul Ghani Baradar ist einer der Mitbegründer der Taliban, er war früher der Vertraute des berüchtigten Mullah Omar und ist heute das bärtige Angesicht der „pragmatisch“ gewendeten Taliban. Auf Drängen der US-Amerikaner händigte Pakistan ihn nach Katar aus, wo er das Politbüro der Taliban übernahm. Nach dem Durchmarsch der Taliban nach Kabul wurde er nicht in Katar in Hausarrest gezwungen, vielmehr flog ihn die katarische Airforce nach Kandahar, der spirituellen Geburtsstadt der Taliban. Das Emirat Katar, die Makleragentur von Hamas, ägyptischen Muslimbrüdern und Taliban, wird in diesen Tagen von Joseph Biden bis Angela Merkel ausgiebig gelobt für seinen Beitrag „zur Förderung der regionalen Sicherheit“.

Ganz augenfällig hat sich für die Taliban ihre ausdauernde Destruktivität längst amortisiert. Denn es nicht ihre etwaige Popularität in Afghanistan, die die Taliban als Staatsracket empfiehlt, vielmehr ist es die Drohung mit endloser Zermürbung, die die Kapitulation erzwungen hat. Ganz ähnlich wie in diesen Tagen in Afghanistan war der withdrawal aus Nordsyrien die Generalabsolution für jene türkische Staatsbestie, die am hysterischsten heult. Die Spekulationen über ein Einsickern der al-Qaida nach Afghanistan ist mit der türkischen Katastrophenpolitik in Nordsyrien längst hinfällig. Anders als die Gründergeneration in Afghanistan – die noch gezwungen war, sich in Höhlen zu tarnen – herrschen die Derivate von al-Qaida in Nordsyrien mit Namen und Adresse über ein Territorium entlang eines Teils der südöstlichsten Grenze des Nordatlantikpakts.

Von der Gnade der Barbaren abhängig

Auf die deutsche Schicksalsgläubigkeit – „Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanistan“ (A. Merkel) – wird der Ruf nach kritischem Dialog und Anerkennung der Wirklichkeit folgen. Am Flughafen in Kabul wurden die Taliban ohne langes Zögern zum Kooperationspartner gemacht, vielmehr noch wurden die Evakuierungen von der Gnade dieser Barbaren abhängig gemacht – im vollen Wissen darüber, dass alle, die in Afghanistan verbleiben, unter ihre puritanische Despotie gezwungen werden. Für Ordnung in Kabul garantiert inzwischen das Haqqani Network, ein berüchtigtes Racket innerhalb der Taliban. Auf Anfrage der Taliban hin wird demnächst ein türkisch-katarisches Konsortium das Management über den Flughafen in Kabul übernehmen.

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