Montag, 28.02.2022 / 12:10 Uhr

'Im Zweifelsfall ruft Deutschland zu Dialog und Mäßigung auf'

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die Werteinitiative e. V. hat gerade einen außenpolitischen Reader herausgegeben. „Deutsch-Jüdische Perspektiven auf die Außenpolitik“, in dem verschiedene auch den Lesern dieses Blogs bekannte Autorinnen und Autoren zu verschieden Themen schreiben.

Dazu hat sich mich letzten Dezember zu dem Themenkomplex Afghanistan/Syrien/Irak interviewt. Ein kleiner Auszug, der sich wohl gerade einigermaßen aktuell liest:

 

WerteInitiative: Diplomatische Lösungen sollten aber doch immer militärischen vorgezogen werden? Osten-Sacken:

Natürlich. Nur: Erstens bedarf es realistisch oft der Fähigkeit und des Willens, notfalls auch militärisch zu intervenieren, um genügend Druck aufzubauen, Diktatoren und autokratische Regimes von diplomatischen Lösungen zu überzeugen.

Ohne diesen Druck wirkt man zahnlos und genau dies ist eines der Probleme deutscher Außenpolitik. Solange Berlin im Windschatten einer USA agieren konnte, die willens waren, eben notfalls ihr Militär zu mobilisieren, mochte dies noch Sinn ergeben. Seit dem Amtsantritt Obamas ziehen sich die USA sukzessive aus dem Nahen Osten zurück. Diese Region spielt für Washington keine große Rolle mehr. Und die Folgen sind übersehbar für die USA, solange sie weitere Terroranschläge verhindern.

Despoten und Diktatoren weltweit können sich eigentlich ziemlich gut darauf verlassen, dass, wenn ein wirklicher Konflikt droht, Deutschland zu Mäßigung und Dialog aufruft.

Für Europa ist das anders: Es gibt Flüchtlinge, die sind 2015 von Syrien bis Budapest gelaufen. Was ich damit sagen will: Der Nahe Osten und Nordafrika sind, ob man dies nun will oder nicht, unmittelbare Nachbarn und was dort geschieht, hat deshalb für Europa und Deutschland ganz andere Auswirkungen. Oft wird aber so getan, als seien dies Gebiete, die in einer anderen Welt liegen. All die von Deutschland angestoßenen diplomatischen Initiativen sind bislang recht folgenlos geblieben und inzwischen kann man nicht einmal mehr notfalls militärisch drohen.

Die Bundeswehr ist in einem so desolaten Zustand, dass es noch nicht einmal zur Debatte stand, ob man ohne USA etwa weiter in Afghanistan hätte bleiben können.

WerteInitiative: Sie sprechen die syrischen Flüchtlinge an. Welche Rolle spielt die Massenflucht von Millionen von Menschen in der Außenpolitik?

Osten-Sacken: Spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 dominiert die Frage, wie man Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen abwehren kann, eine ganz zentrale Rolle. Aber Außenpolitik ist hierzulande nicht kohärent, das heißt ganz unterschiedliche Elemente existieren ohne größeren Bezug nebeneinander. Das ist wichtig zu verstehen: Da wären einerseits diese schön klingenden Programme bei denen es um Frieden, Menschenrechte und Entwicklung geht, dann etwa Waffenexporte an Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten in Milliardenhöhe, von denen niemand wirklich spricht – und dann eine Politik, die darauf setzt, mit irgendwelchen Regimes Abkommen zu schließen, damit es möglichst wenig Flüchtlinge nach Europa schaffen. Dafür arbeitet man dann mit der türkischen, ägypptischen oder auch pakistanischen Regierung zusammen und überweist ihnen viel Geld.

Es ist völlig paradox: Waffenexporte und Abkommen zur sogenannten „heimatnahen Unterbringung von Flüchtlingen“ konsolidieren Verhältnisse, vor denen Menschen zu fliehen gezwungen sind. Umgekehrt wäre es wichtig, Demokratiebewegungen in der Region zu unterstützen, die wiederum die Macht genau jener Despoten infrage stellen, die man braucht, um Flüchtlinge abzuhalten. Inzwischen ist Tayyib Erdoğan der wohl wichtigste Partner der Deutschen im Nahen Osten, denn nur er garantiert, dass nicht weitere Millionen von Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Staaten der Region sich nach Europa auf den Weg machen.

WerteInitiative: Kann man denn überhaupt von einer eigenen deutschen Politik gegenüber diesen Staaten sprechen?

Osten-Sacken: Wenn es um positive Aspekte geht, nein! Die Vorstellung, Deutschland könne sich als besondere Friedensmacht international profilieren, ist ebenso gescheitert wie die Idee, man müsse eine streng „menschenrechtsorientierte Außenpolitik“ verfolgen. Aber sicher hatte dieser deutsche Sonderweg negative Folgen, wenn es etwa darum ging, Härte gegen das Assad-Regime zu zeigen. Despoten und Diktatoren weltweit können sich eigentlich ziemlich gut darauf verlassen, dass, wenn ein wirklicher Konflikt droht, Deutschland zu Mäßigung und Dialog aufruft.

Und zahlt: Inzwischen ist die Bundesrepublik in all diesen Ländern der größte europäische Geber für humanitäre Hilfe. Das ist nicht schlecht, nur verbindet sie nie wirkliche Forderungen mit dieser Hilfe, zahlt sie inzwischen, so mein Eindruck, eher als eine Art Ablass, wie etwa in Syrien seit Jahren und nun wohl auch für Afghanistan. Solange zum Beispiel die total desolate Lage in Syrien nicht die Schlagzeilen dominiert und es dort irgendwie weitergeht, ohne dass Tausende von neuen Flüchtlingen 72 Schwerpunkt Syrien, Irak, Afghanistan Schwerpunkt Syrien, Irak, Afghanistan 73 kommen, ist man eigentlich zufrieden. Es sieht ganz so aus, dass es mit Afghanistan unter den Taliban ähnlich wird. Letztlich geht es nur noch darum, dass in solchen „Failed States“ oder sogar ganzen Regionen irgendwelche Machthaber für eine minimale Grundversorgung der Bevölkerung sorgen und sie möglichst davon abhalten, in den Westen zu fliehen. Außerdem sollten sie internationalen Terrororganisationen keinen Unterschlupf geben. Das nennt man dann Stabilität, auch wenn es sich bestenfalls um Friedhofsruhe handelt