Samstag, 16.07.2022 / 14:25 Uhr

"Sünde wider den Geist": Die documenta und der Antisemitismus der Linken

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Ausschnitt von der Homepage der documenta fifteen

Im Skandal um die documenta fifteen manifestiert sich vor allem der Geschichte von linkem Antisemitismus bzw. Antisemitismus in der Linken, die bis heute so gut wie gar nicht aufgearbeitet oder begriffen ist und sich deshalb immer aufs Neue wiederholt. Daran dürfte auch der heute bekannt gegebene Rücktritt der documenta-Generaldirektorin wenig ändern.


Jean Améry stellte vor Jahrzehnten fest, linker Antisemitismus sei "wider die Natur, Sünde wider den Geist" und ja, er lebte noch in Zeiten, in denen Menschen sich daran erinnerten, dass etwa in Sozialdemokratie, Gewerkschaften, und - mit einigen Ausnahmen - kommunistischen Parteien Antisemitismus als „Sozialismus der dummen Kerls“ verpönt war und auf wenig Resonanz stieß, selbst wenn es nur wenige entsprechende Analysen gab.

Das alles änderte sich spätestens in den 60er Jahren, als die UDSSR in Propaganda und ihren Medien weltweit eine extrem widerwärtige Kampagne gegen Israel eskalieren, die sich gegen Kosmopolitismus im Inneren richtete und zugleich den „turn“ vollzog, Israelis zu den Nazis von heute zu erklären und dabei ganz bewusst auch auf ältere – meist auch antibolschewistische – Stereotype und Bilder zurückgriff.

Diese Moskauer Giftküche schaffte eine Folie, vor der weltweit Linke nun guten Gewissens gegen den wahlweise "Nazi"-, "Apartheids"- oder "Imperialistenstaat Israel" sich positionieren und agitieren - sich also „versündigen“ - konnten, ohne auch nur ein wenig schlechtes Gewissen dabei zu empfinden. Darüber ließ sich der „Judenknacks“  entsorgen, ja, praktiziertes antifaschistisches „Nie wieder“ lebte sich sogar fortan, wie bei der RAF, in PLO-Ausbildungslagern aus, wo man Seite an mit Kämpferinnen und und Kämpfern der „Opfer der Opfer“ den bewaffneten Kampf probte.

Derweil entdeckte man, auch, via chinesischer Kulturrevolution und später dem Genossen Pol Pot, das Volk als kämpfendes Subjekt wieder und konnte  danach so reden, wie die eigenen Großeltern nach 1933, nur eben in ganz revolutionärer Pose: "Sieg im Volkskampf" etc. lauteten bekanntlich die beliebten Parolen.

Internationale Chiffre

Dass ausgerechnet der Kampf der Palästinenser zur internationalen Chiffre für den aller "unterdrückter Völker" wurde, lag und liegt auch am enormen Interesse westlicher Linker aller Couleur, die ihm so einen ungeheuren Resonanzraum verschafften, wobei das reale Leben und auch Leiden von Palästinensern dabei immer nur eines bestenfalls tertiäre Rolle spielte. (Man mache sich nur die Mühe, einmal zu recherchieren, wie viele Pamphlete, Bücher und ähnliches in der Linken über den israelisch-palästinensischen Konflikt verfasst wurden und wie viele über andere internationale Themen.)

Die Revoluzzer von einst sind das Establishment von heute, sitzen in Stiftungen, Universitäten und dominieren den Zeitungs- und Kulturbetrieb. Verraten haben sie alle Ideen von damals, um heute teilzuhaben an Macht und Geld. Denn gerade Aufhebung und Abschaffung von Macht und Herrschaft war es, wofür sie zumindest laut eigenen Erklärungen einst antraten und was sie von ihren politischen Gegnern unterschied, die nie Verhältnisse umwerfen wollten, in denen der Mensch ein verächtliches und geknechtetes Wesen ist. 

Der Gespenstertanz um die documenta fifteen (und andere, weniger bedeutsame Konferenzen und Kulturveranstaltungen), dreht sich zwingend notwendig immer wieder um dieses Thema (und wird sich weiter um es drehen), nicht nur weil sie so ganz folgenlos weiter Anschluss finden an einen weitgehend imaginierten „globalen Süden“, sondern weil, wer späten Einsichten bzw. Sachzwängen folgend Staat, Nation und Kapitalverhältnis irgendwann als gegeben hinnimmt und sich in ihnen einrichtet, fast zwangsnotwendig sich gegen den einzigen Staat positionieren muss, den jüdischen, der innerhalb einer in Nationen organisierten Welt einzig jenen Schutz bietet, die so zielsicher und begriffslos als die Feinde dieser Welt identifiziert werden: Juden, nicht etwa als Gruppe, gegen die irgend eine Menschenfeindlichkeit ins Spiel kommt, sondern als Verkörperung und Projektion von abstrakten Prinzipien

Aktualisierung völkischer Vorstellungen

Wenn nur einen Tag, bevor das inkriminierte Bild in Kassel enthüllt wurde, der deutsche Kulturbetrieb unisono in Kassel das „kollektive Produzieren“, den Tausch, statt des abstrakten Geldes, die Verwurzelung und ähnliches fast hymnisch lobte, eben weil es diesmal aus Indonesien und nicht irgendwelchen Broschüren der völkischen Jugendbewegung der 20er Jahre entstammte, so demonstrierte er damit, wie wenig er die Grundlagen und Strukturen antisemitischen Denken verstanden hatte oder bereit war, überhaupt verstehen zu wollen.

Das Echte, Tiefe, Unvermittelte gegen das Unechte und Vermittelte, „natürliches Landleben“ versus „verkommene Stadt“, aktualisiert: unterdrückter Süden gegen bösen Norden, kollektives Schaffen gegen vereinzeltes Individuum, das gar sich noch der Gemeinschaft bewusst entzieht und statt Lebenslust und Vitalität sich Melancholie und selbstzerstörerischen Genußmitteln hingibt und sich dem Mitmachen versagt.

Wo solche Ideen, am besten noch, im, dem deutschen Feuilleton so gruselig geläufigen Jargon der Eigentlichkeit gepriesen werden, ist Antisemitismus immer schon ans Ticket angeheftet, ob man nun will oder nicht. Und da nun Israelis als zeitgenössische Wiedergänger der Nazis, ihr Staat - mit Verweis auf Amnesty - als Apartheidsregime und seine Bewohner als Siedlerkolonisten und weiße Nutznießer einer ungerechten Weltordnung auf unzähligen kritischen Konferenzen bezeichnet werden können, steht man damit ja auf Seiten der Unterdrückten und Entrechteten dieser Erde, ist ganz fortschrittlich und Lichtjahre entfernt von einer Rechten, die man natürlich als rassistisch und menschenfeindlich zutiefst verabscheut.  

Nur klebt eben an diesem linken Ticket  auch das Blut all jener, die die in den letzten Dekaden im Namen von Sozialismus, Kampf gegen Imperialismus und Gerechtigkeit für die Unterdrückten in Gulags, Killing Fields und Arbeitslagern zu Tode kamen, die nach Folter und erzwungenem Geständnis in der Morgendämmerung per Genickschuss getötet oder als Volksfeinde liquidiert oder deportiert wurden.

Verlorene Unschuld

Linkssein hat in so vieler Hinsicht seine Unschuld verloren und so oft wider den Geist gesündigt, dass eigentlich, wer sich trotzdem noch in diese Tradition stellt, mit äußerster Demut und Vorsicht auftreten müsste. Ganz besonders gilt dies, wo auch nur der Verdacht aufkommt, antisemitische Welterklärung oder Ideologie könnte sich, selbst wenn nur durch eine Hintertür, einschleichen.

Das Gegenteil nur ist seit Jahrzehnten der Fall. Jene Figuren des Establishment, die nun an den Fleischtöpfen sitzen, nachdem sie entweder früher den widerwärtigsten Regimes, so sie nur sich in eine rote Fahne wickelten, akklamierten – man schaue nur, wie viele Mitglieder des maoistischen KBW etwa heute es nach ganz oben gebracht haben – oder aber dem dummen Spruch folgen, dass Klugheit gebiete, mit zwanzig revolutionär und mit fünfzig konservativ zu sein, sind weiter das inkarnierte gute Gewissen, das leiseste Kritik als persönlichen Angriff und zersetzenden Defätismus abwehrt, um sich dann, wenn's mal eng wird, per studierter Pose als Opfer zu kostümieren.

Wenig bis nichts hat dieser documenta Skandal deshalb mit rechten oder aktualisiertem neonazistischem Antisemitismus zu tun, vor der mäßig interessierten Öffentlichkeit breitet sich vielmehr das ganze Elend einer Linken aus, die sich standhaft weigert, über das kolossale eigene Scheitern auch nur einen Gedanken zu verwenden, die leider weiter begriffsblind, rechthaberisch, machtverliebt und aktivistisch sich im Hamsterrad des Betriebes dreht, den sie, weil sie nicht anders kann, seit Jahrzehnten mit Leben und Reflexion verwechselt.

Und selbst jetzt, wo im wahrsten Sinne des Wortes die Bilder an der Wand gemalt standen, werden sie nicht inne halten, bestenfalls einen kleinen Betriebsunfall einräumen, nur um danach um so verbissener weiter zu machen.

Wenn dies am Ende dann gar nicht mehr geht, wie nun im Falle der Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, die sich an ihren Posten bis zuletzt klammerte, dann nicht etwa aus Einsicht, wie ihre letzte Erklärung so deutlich zeigte. 

Denn wenn selbst der VW Konzern, einer der Hauptsponsoren der Ausstellung, verlauten ließ, man mache sich um das Ansehen von Stadt Kassel und der Republik Sorgen, die Schaden nehmen könnten, so bestand eben Handlungsbedarf und es wurde schlussendlich gehandelt.

Klar dürfte aber auch sein, dass dieser Rücktritt nun in den entsprechende Kreisen als einer wahrgenommen werden wird, der aufgrund äußeren Drucks zustanden kam, weil Zentralrat der Juden und andere ihn forderten, man sich also am Ende gebeugt hat und dies nicht aus Einsicht tat, sondern weil man es musste.