Montag, 21.10.2024 / 18:36 Uhr

Der #LinkeBPT und der Nahostkonflikt: Ein Balanceakt zwischen Solidarität, Antizionismus und moralischer Verantwortung

Bild: Lucas Wirl

Die Linke steht vor einem moralischen Scherbenhaufen. Zwischen Solidarität mit Palästina, Antizionismus und dem Versuch, jeden Antisemitismus zu bekämpfen, stolpert sie über ihre eigenen ideologischen Beine. Der jüngste Parteitagsbeschluss „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“ zeigt: Die Linke ist tief gespalten – zwischen moralischem Anspruch und politischer Realität. Offiziell werden klare Positionen bezogen, doch die innerparteilichen Debatten offenbaren beunruhigende Widersprüche, die den Kampf gegen Antisemitismus nicht nur gefährden, sondern in Teilen pervertieren.

Der Beschluss als Kapitulation der Vernunft

Der Beschluss „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“, den die Linke beim BPT 2024 verabschiedete, ist nicht nur Ausdruck einer ideologischen Haltung, sondern offenbart auch den intellektuellen Bankrott der Partei. Es wird deutlich, dass es hier weniger um eine konstruktive Friedenslösung geht, sondern um eine gefährliche Vernebelung der Realität. Die zentrale Frage nach der Verantwortung für die Gewalt wird bewusst umgangen. Während die Hamas am 7. Oktober 2023 das schwerste antisemitische Massaker seit dem Holocaust verübte, ignoriert die Linke in ihrem Beschluss die Verstrickungen der Hamas und stellt stattdessen Israel als Hauptverantwortlichen des Konflikts dar.

Der Beschluss entlarvt sich als das, was er ist: eine moralische Kapitulation. Die Forderung nach einem Waffenstillstand, ohne die Hamas als Aggressor klar zu benennen, ist nichts anderes als eine Einladung, die Gewalt fortzusetzen. Dies ist kein Friedensaufruf, sondern ein Freifahrtschein für die Fortsetzung des Terrors. Die rhetorische Gleichstellung der Täter*innen und der Opfer, die in der Forderung nach der Freilassung aller „unrechtmäßig Festgehaltenen“ mitschwingt, zeigt die moralische Verblendung der Partei. Die Linke verkennt hier die eindeutigen Kriegsverbrechen, die durch die Geiselnahme begangen wurden, und schwächt damit das internationale Recht, das sie selbst immer wieder als Maßstab anführt.

Anstatt eine klare Position zu beziehen, die beide Seiten des Konflikts ernst nimmt, verharrt die Partei in einer ideologischen Sackgasse.

Der Beschluss mag von der historischen Haltung der Linken zur israelischen Besatzungspolitik geprägt sein, doch in seiner Einseitigkeit ignoriert er die Komplexität des Konflikts völlig. Indem die Partei Israels Besatzungspolitik in den Vordergrund stellt, ohne die Bedrohungen zu thematisieren, denen Israel seit der Räumung Gazas durch Israel am 15.08.2015 durch die Hamas ausgesetzt ist – von Raketenangriffen und genozidalen Drohungen –, verrät sie ihren eigenen Anspruch auf Gerechtigkeit. Hierin liegt die eigentliche Kapitulation der Vernunft: die Weigerung, die Gewalt der Hamas als das zu benennen, was sie ist – Terrorismus. Es bleibt kein Zweifel, dass eine Linke, die sich weigert, Antisemitismus und Terror in ihren eigenen Reihen zu bekämpfen, ihre Glaubwürdigkeit endgültig verspielt.

Die inneren Konflikte der Linken – zwischen Solidarität mit Palästina, Antizionismus und der Ablehnung von Antisemitismus – werden in diesem Beschluss deutlicher denn je. Anstatt eine klare Position zu beziehen, die beide Seiten des Konflikts ernst nimmt, verharrt die Partei in einer ideologischen Sackgasse.

Zwischen Antizionismus und Antisemitismus: Die Widersprüche der Linken

Die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik ist in großen Teilen berechtigt. Doch in manchen Flügeln der Partei ist die Position „Solidarität mit dem palästinensischen Kampf“ zu einer heiligen Kuh geworden – unantastbar, unreflektiert. Jede Erwähnung des Existenzrechts Israels wird sofort als zionistische Propaganda abgetan. Beispielhaft dafür ist eine Abstimmung auf dem Parteitag: Fast 49 % der Delegierten hatten kein Problem damit, einen Antrag nicht abzulehnen, der der Gruppe ‚Handala‘ eine Bühne für einen Redebeitrag geben wollte – einer Gruppe, die Israel das Existenzrecht abspricht und das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 als „Befreiungstag“ feiert.

Wer nicht bereit ist, Israel pauschal zu verurteilen, gilt in Teilen der Linken nicht als „guter Jude“.

Die offizielle Begründung, warum ‚Handala‘ keinen Redebeitrag halten sollte, lautete „Brandschutz“ – eine ausweichende und feige Entscheidung, wie Kritiker anmerken. In Wahrheit war die politische Konfrontation mit dieser antiisraelischen, die Hamas glorifizierenden Gruppierung notwendig, doch sie wurde vermieden. Dass ‚Handala‘ eine Genossin bereits öffentlich als Feindin markiert hatte, hätte Grund genug sein müssen, diese Gruppe klar zurückzuweisen. Stattdessen: Schweigen und Ausflüchte, während 49 % der Delegierten nichts dabei fanden, einer solchen Gruppe eine Bühne zu bieten.

Die jüdische Perspektive: Isolation und Verrat

Für jüdische Mitglieder und Sympathisant*innen der Linken, die nichts gemein haben mit den vereinzelten, in der jüdischen Gemeinschaft isolierten jüdischen Menschen, die den Zionismus zum Bösen erklären, sind diese Entwicklungen mehr als nur enttäuschend – sie wirken für sie wie ein Verrat an den antifaschistischen Idealen der Linken. Statt Solidarität mit einem angegriffenen Israel zeigt die Partei eine beunruhigende Gleichgültigkeit gegenüber der genozidalen Bedrohung durch die Hamas, Hisbollah und ihre Unterstützer im Iran. Die Absage an Waffenlieferungen an Israel, ohne zugleich die Lieferungen an dessen Feinde zu verurteilen, wirkt wie eine zynische Doppelmoral.

Jüdische Stimmen fühlen sich zunehmend isoliert. Wer nicht bereit ist, Israel pauschal zu verurteilen, gilt in Teilen der Linken nicht als „guter Jude“. Eine perfide Funktionalisierung von Antisemitismus ist die Folge: Progressive jüdische Stimmen, die für Gerechtigkeit und Humanität eintreten, werden ignoriert oder instrumentalisiert, während sie gleichzeitig von der Mehrheitsgesellschaft als Alibi für Repressionen missbraucht werden. Diese doppelte Marginalisierung führt zu einem tiefen Vertrauensverlust.

Die Realität der Diskrepanz: Schweigen statt klarer Worte

Ein weiteres Paradebeispiel für die moralische Zerrissenheit der Linken bot der Parteitag, als ein Delegierter aus Kassel-Stadt Ines Schwerdtner, Kandidatin für den Co-Vorsitz, fragte: „Ines, du hast gerade gesagt, wir wären die Partei des Völkerrechts und der Menschenrechte.“ Wenn das so ist, warum schaffen wir es dann nicht, uns dem Widerstand der Palästinenser anzuschließen? Denn dieser ist nach dem Völkerrecht in Ordnung.“

Schwerdtner wies diese den nicht einmal 12 Stunden alten Parteitagsbeschluss unterlaufende Frage jedoch, wie man eigentlich erwarten sollte, wenn sie die Beschlüsse der Partei, z. B. den Satz „Aus der Geschichte des Holocaust und des Antisemitismus ist der Staat Israel eine historische Notwendigkeit“, ernst nehmen würde, nicht etwa empört zurück, sondern schwieg. Dieses Schweigen ist symptomatisch für die inneren Konflikte der Partei, die einerseits eine offizielle Linie gegen Antisemitismus führt und das Existenzrecht Israels anerkennt, andererseits dem Antizionismus radikaler Kräfte in den eigenen Reihen nicht entschlossen genug entgegentritt.

Van Aken gegen die Verharmlosung von Extremismus

Der Co-Vorsitzende Jan van Aken versuchte, diesen Widersprüchen entgegenzutreten. Er machte auf dem Parteitag klar, dass die Partei die Verherrlichung der Hamas nicht dulden werde. „Wir als Linke gehen nicht auf eine Demo, wo Hamas-Fahnen sind, ohne zu reagieren“, erklärte er. Doch die Realität sieht anders aus. Während van Aken versucht, klare Positionen zu vertreten, steht ein nicht unerheblicher Teil der Parteibasis weiterhin auf Demonstrationen, bei denen die Hamas gefeiert wird, ihre Fahnen wehen und ihr Terror als legitimer Widerstand verherrlicht wird. Offizielle Ablehnungen zum Trotz bleibt die Verharmlosung extremistischer Gruppen tief in der Parteikultur verwurzelt.

Die moralische Zerrissenheit einer Partei

Die Linke offenbart eine grundlegende moralische Zerrissenheit. Einerseits bekennt sie sich zum Kampf für den Frieden, gegen Antisemitismus und Rassismus und für eine gerechte Zweistaatenlösung. Andererseits duldet sie Strömungen, die genau diese Prinzipien untergraben. Der Parteitag zeigt, dass fast die Hälfte der Delegierten bereit ist, Positionen Raum zu geben, die das Existenzrecht Israels infrage stellen und antisemitische Narrative unterstützen.

Statt Solidarität für das bedrohte Israel gibt es von der Linken eine Absage an Waffenlieferungen an Israel durch Deutschland und die NATO – ein Affront, der an Zynismus kaum zu überbieten ist. Die Absage an Waffenlieferungen durch Deutschland und die NATO wäre nachvollziehbar, wenn sie mit einer Absage an Waffenlieferungen an die Gegner*innen Israels wie die Hamas, die Hisbollah und den Iran einherginge – Kräfte, die getrieben sind von der größenwahnsinnigen Fantasie, Israel auszulöschen. Doch das Vernichtungspotenzial der Staaten und Organisationen, deren Ziel die Eliminierung Israels ist, wird im Beschluss vollständig ignoriert. Ihr Waffennachschub wird von der Partei Die Linke nicht infrage gestellt, während die „moralische“ Empörung gegen den jüdischen Staat im Beschluss „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“ das vorherrschende Narrativ bleibt.

Die Linke am Scheideweg

Die Linke befindet sich im Nahostkonflikt an einem gefährlichen Scheideweg. Sie kann sich entweder für eine konsequente Politik der Menschenrechte entscheiden oder weiterhin von inneren Widersprüchen zerrissen bleiben. Während einige Delegierte noch über die Zwei-Staaten-Lösung sprechen, träumen andere bereits von einer Welt ohne Israel.

Die Frage ist: Wie lange kann eine Partei, die ihren moralischen Kompass verloren hat, in dieser Form bestehen? Der innere Konflikt der Linken wird sich nicht von selbst lösen – und die Zeit drängt. Die Glaubwürdigkeit der Partei steht auf dem Spiel, sowohl im Nahostkonflikt als auch im Kampf gegen Antisemitismus und für universelle Gerechtigkeit.