Mittwoch, 30.10.2024 / 12:48 Uhr

Putsch von Israels Rechtsregierung: Demokratie aushöhlen, Araber raus

Smotrich und Ben Gvir, Bildquelle: JNS

Erneut versuchen Mitglieder von Israel Rechtsregierung ihre so genannte Justizreform auf den Weg zu bringen.

Im ersten Jahr seit dem Massaker am 7. Oktober hatte die Regierungskoalition weitgehend auf umstrittene Gesetzesvorhaben verzichtet. Am 28.10. begann die Wintersitzungsperiode der Knesset. Sie markiert das Ende dieses Kurses.

Der Ministerausschuss für Gesetzgebung, der entscheidet, welche Gesetzesentwürfe in der Wintersitzungsperiode die Unterstützung der Regierung erhalten, trat am Montag zusammen und stimmte mehreren Plänen zu: einer Justizreform, einem Gesetz zur Befreiung ultraorthodoxer Wehrpflichtiger vom Militärdienst, Vorschlägen zur Einschränkung der Redefreiheit von Lehrern sowie Gesetzesentwürfen, die den Einfluss der Regierung auf die Medien erweitern sollen. Damit versucht die Regierungskoalition, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben, Einfluss auf die Medien auszuüben und ihre Kontrolle über das Westjordanland zu verstärken. Dem Gesetzentwurf zur Einschränkung der Redefreiheit von Lehrkräften ist der Vorschlag des Likud-Abgeordneten Amit Halevi beigefügt, der vorsieht, dem Geheimdienst Shin Bet die Aufsicht über Lehrkräfte zu übertragen.

Der Angriff auf die Demokratie

Israel steht an einem Scheideweg, und die rechte Regierung lässt keinen Zweifel daran, wohin die Reise gehen soll: Sie zielt auf das Herz der Demokratie, das Justizsystem, ab. Ein Jahr lang kämpfte eine breite Bürgerbewegung gegen die radikalen Justizreformen. Doch der grausame Hamas-Angriff vom 7. Oktober hat diese Bewegung quasi ausgelöscht. Israel befindet sich im Krieg, was Neuwahlen ausschließt und den Widerstand gegen die Justizreformen lähmt. Die Regierung sieht nun eine Gelegenheit, ihre ursprüngliche Agenda ohne nennenswerten Protest durchzusetzen: den Umbau der Justiz, die Entmachtung des Obersten Gerichtshofs und die Einschränkung der politischen Teilhabe arabischer Israelis. 

Der Kriegszustand als Gelegenheit für Reformen ohne Widerstand 

Obwohl Premierminister Benjamin Netanyahu und Justizminister Yariv Levin die Reformpläne offiziell pausiert haben, deutet vieles darauf hin, dass diese nie wirklich vom Tisch waren. Der Kriegszustand hat die Kritik an den Justizreformen weitgehend verstummen lassen und bietet der Regierung eine Möglichkeit, das Gesetzespaket ohne gesellschaftliche Gegenwehr durchzubringen. Justizminister Levin erklärte bereits, dass die Reform „zurückkommen“ werde, sobald die Kriegssituation vorbei ist. Die Regierung kann ihre Gesetzesvorhaben nun mit der „Patriotismuskarte“ absichern und Gegner als unpatriotisch darstellen, was ihr eine noch breitere Basis für ihre umstrittenen Vorhaben verschafft. 

Gezielte Ausgrenzung arabischer Kandidaten 

Ein zentrales Element der Reformen ist die verschärfte Regelung zur Disqualifikation politischer Kandidaten. Der Likud-Gesetzesentwurf unter Koalitionsführer Ofir Katz besagt, dass bereits eine einzige Aussage, die als „Unterstützung des bewaffneten Widerstands“ ausgelegt wird, ausreichen kann, um arabische Kandidaten von Wahlen auszuschließen. Selbst eine Äußerung, die lange zurückliegt und keine aktuellen Positionen widerspiegelt, könnte ausreichen, um jemanden aus dem politischen Rennen zu werfen. 

Diese Regelung zeigt eine deutliche Doppelmoral: Während jüdische Extremisten, die Gewalt im Westjordanland unterstützen, weitgehend unberührt bleiben, werden arabische Israelis in eine prekäre Lage gedrängt. Die Regierung weiß genau, dass diese Bestimmung besonders arabische Politiker treffen wird, deren Kritik an der israelischen Besatzung oft als Bedrohung wahrgenommen wird. 

Verfassungsrechtliche Manipulation und der Umbau des Justizsystems 

Der Gesetzesentwurf von Katz ist kein isoliertes Projekt, sondern Teil eines umfassenderen Plans. Die geplante „Override-Klausel“ soll der Knesset das Recht geben, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit einfacher Mehrheit aufzuheben, womit die Gewaltenteilung praktisch untergraben wird. Der Oberste Gerichtshof verliert dadurch seine Macht, Gesetze zu stoppen, die Grundrechte verletzen könnten. Damit verwandelt sich die Knesset in eine unkontrollierte Legislative – ein Schritt hin zu autoritären Strukturen. 

Demokratischer Rückschritt und die politische Isolation der arabischen Minderheit 

Das Ziel dieser „Reformen“ ist nicht der Schutz vor Terrorismus, sondern die schrittweise Beseitigung der politischen Rechte arabischer Israelis. Der Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts könnte zu einem Boykott arabischer Bürger führen, was von der Regierung möglicherweise sogar gewünscht ist. Dieser Boykott würde die Demokratie Israels weiter schwächen und das Land in ein autoritäres System verwandeln, in dem arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse degradiert werden. 

Ein Weg in den demokratischen Zerfall 

Der Krieg gegen Hamas, Hisbollah und die iranischen Mächte ist für Israels Sicherheit entscheidend. Doch die rechte Regierung nutzt den Kriegszustand als Gelegenheit, um ihre destruktiven Reformpläne ohne Widerstand voranzutreiben. Der Umbau des Justizsystems, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die gezielte Diskriminierung arabischer Israelis sind keine Zufälle, sondern kalkulierte Schritte auf dem Weg in eine illiberale Demokratie. Israels rechter Putsch geht weiter – und die Frage bleibt, wie lange das Land als Demokratie bestehen kann, wenn seine Institutionen und Bürgerrechte systematisch ausgehöhlt werden.